ArchivDeutsches Ärzteblatt31-32/2003Organhandel: Erschütternde Fakten
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11 500 Menschen warten derzeit auf ein Spenderorgan – 988 Nieren (ohne Lebendspenden) konnten im Jahr 2002 transplantiert werden. Foto: picture alliance
11 500 Menschen warten derzeit auf ein Spenderorgan – 988 Nieren (ohne Lebendspenden) konnten im Jahr 2002 transplantiert werden. Foto: picture alliance
Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ will sich ab Herbst mit den Themen Organhandel und Lebendspende beschäftigen.

Neu ist das Thema „Organhandel“ für die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Bundestages nicht. Dennoch hat ein im Juni veröffentlicher Bericht des Europarates dazu beigetragen, der Thematik eine gehörige Portion Brisanz zu verschaffen. Unter welchen Bedingungen eine Lebendspende möglich sein soll und ob sich das Transplantationsgesetz in seiner jetzigen Form bewährt hat, wird nun ab Herbst in einer Arbeitsgruppe der Enquete-Kommission im Rahmen des Themenkomplexes „Transplantationsmedizin“ diskutiert.
In dem Bericht, den die Schweizer Politikerin Ruth-Gaby Vermot-Mangold für den Europarat erstellt hat, wird auf die Zunahme des illegalen Organhandels in Europa aufmerksam gemacht. Vor allem in armen Regionen der Nachfolgestaaten der Ex-Sowjetunion komme der Handel mit Nieren dem aus Asien und Südamerika bekannten „Transplantationstourismus“ immer näher. Grund hierfür sei vor allem die Armut in weiten Teilen Osteuropas, die Folge der dortigen Massenarbeitslosigkeit sei und den Markt für kriminelle Organisationen wachsen lasse. Als Beispielland nennt der Bericht Moldawien, eines der ärmsten Länder Europas mit einer offiziellen Erwerbslosigkeit von 50 Prozent und einem durchschnittlichen Monatseinkommen von umgerechnet 30 US-Dollar. Hier verkaufen dem Bericht zufolge junge Menschen aus ländlichen Regionen ihre Organe für 2 500 bis 3 000 Dollar, während die Empfänger bis zu 250 000 Dollar bezahlt haben. Zu den Nutznießern dieses Handels gehörten unter anderem einschlägig spezialisierte Ärzte, die die Entnahme der Organe in gut ausgestatteten Kliniken in der Türkei vornähmen. Anschließend seien die Lebendspender meist nicht länger als fünf Tage in den auswärtigen Kliniken versorgt worden – in ihrem Heimatland gebe es meist gar keine medizinische Nachsorge, da das Gesundheitswesen auf dem Land nicht mehr funktioniert. Lebenslängliche gesundheitliche Schäden der Betroffenen seien in vielen Fällen programmiert, so Vermot-Mangold.
Im Anschluss an die Ausführungen der Schweizerin hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats „Empfehlungen zur Bekämpfung des Organhandels in Europa“ an das Ministerkomitee gerichtet. Hierin werden sowohl die so genannten donor countries als auch die demand countries angesprochen. Die Geberländer werden unter anderem dazu aufgefordert, mehr Informationskampagnen in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, den Medien und wichtigen internationalen Hilfsorganisatonen in ländlichen Gegenden vorzunehmen. Darüber hinaus sollen Kontrollen an den Grenzen und nationale Anti-Korruptionsprogramme eingeführt werden. Von den Nehmerländern wird verlangt, durch staatliche Informationskampagnen und die Unterstützung des Europäischen Tages der Organspende und Transplantation das Bewusstsein für die Organspende zu schärfen. Vor allem müssten gesetzliche Schlupflöcher geschlossen werden. So soll zum Beispiel europaweit deutlich gemacht werden, dass die Verpflanzung gekaufter Körperteile durch Ärzte strafrechtlich verfolgt werden kann.
Vermot-Mangold hält gesetzliche Verbote des Organhandels bei der Überwindung des Transplantationstourismus zwar für wichtig, helfen könne letztlich jedoch nur die Überwindung der Armut. Wirtschaftliche Unterstützungsprogramme der internationalen Gemeinschaft müssten verstärkt werden, um die Ökonomie im Osten aufzubauen.
Nach Angaben von Dr. med. Wolfgang Wodarg, Mitglied der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ und Mitglied der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, soll im Rahmen eines so genannten Monitoring-Verfahrens der Parlamentarischen Versammlung geprüft werden, ob die Mitgliedsstaaten ihren Pflichten im Umgang mit Organen nachkommen. Martina Merten

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