POLITIK
Ärztliche Leichenschau: Qualität mangelhaft


die Anzahl der Obduktionen gering. Ein (Muster-)Gesetzentwurf der Bundesärztekammer für die Leichenschau soll dies ändern.
Messer in der Brust glatt übersehen“ – mit diesen und anderen Umschreibungen wird in den Medien häufig versucht, Aufmerksamkeit für das Thema Qualitätssicherung in der ärztlichen Leichenschau zu erlangen. Dabei bedarf es nicht einmal reißerischer Aussagen, um den Handlungsbedarf auf diesem Gebiet zu vergegenwärtigen. Eine Auflistung aktueller Studienergebnisse aus der Rechtsmedizin reicht bereits aus.
So kam eine Studie des Münsteraner Instituts für Rechtsmedizin über Fehlleistungen bei der Leichenschau in der Bundesrepublik Deutschland zu dem Ergebnis, dass mehr als 10 000 nichtnatürliche Todesfälle pro Jahr unerkannt bleiben, darunter mindestens 1 200 Tötungsdelikte (1). Eine weitere Münsteraner Studie zur Praxis der ärztlichen Leichenschau, bei der eine Umfrage unter 1 000 Ärzten aus dem Bereich der Ärztekammer Westfalen-Lippe durchgeführt wurde, kam ebenfalls zu eindeutigen Resultaten (2). Nur ein Viertel der Ärzte gab an, die Leiche bei der Untersuchung vollständig entkleidet zu haben, viele schilderten Beeinflussungsversuche durch Angehörige oder Polizeibeamte bei der Klassifizierung der Todesart. Nicht zuletzt fand eine Studie zur Obduktionsfrequenz in Deutschland heraus, dass 1999 nur noch bei 5,3 Prozent aller Verstorbenen eine Obduktion vorgenommen wurde – im internationalen Vergleich ein sehr niedriger Prozentsatz (3). „Gerade hier“, so der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin in Münster und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Bernd Brinkmann, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, „sind qualitätssichernde Maßnahmen wichtig.“
Die Bundesärztekammer (BÄK) nahm die Studienergebnisse und wiederholte Forderungen auf dem Deutschen Ärztetag zur Verbesserung der Qualität der Leichenschau zum Anlass, sich der Thematik anzunehmen. Um die bisher von Land zu Land unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zur Durchführung der Leichenschau zu vereinheitlichen und dadurch mehr Qualität zu schaffen, entwarf der Arbeitskreis Pathologie der BÄK einen (Muster-)Gesetzentwurf. Die Leichenschau muss hiernach, so wird es gemäß § 4 verlangt, an der vollständig entkleideten Leiche durchgeführt werden, damit bei der Klassifizierung der Todesart, die in § 7 behandelt wird, keine voreiligen Schlüsse mehr gezogen werden. Außerdem muss die Klassifizierung gemäß § 7 frei von behördlichem Einfluss und vom Einfluss Dritter getroffen werden. § 6 des Musterentwurfs verlangt darüber hinaus, dass sich die auf der Todesbescheinigung dokumentierte Todesursache auf eindeutige medizinische Befunde stützen muss, das heißt, eine unbekannte Todesursache ist unvereinbar mit der Dokumentation einer natürlichen Todesart. § 10 bestimmt die Verpflichtung aller Ärzte zur Leichenschau.
Ärztliche Spezialisierung umstritten
Seit einem Dreivierteljahr befindet sich der Entwurf nun in den Händen der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK), den die BÄK ihr mit der Bitte um Berücksichtigung bei anstehenden gesetzlichen Änderungen auf Landesebene Anfang des Jahres zugesandt hat. Durch das Missverhältnis von Todesfällen und Sektionsraten, so die BÄK in ihrem Schreiben an die GMK, gelte nach wie vor die Warnung der Generalstaatsanwälte der Länder und des Generalbundesanwaltes aus den 80er-Jahren: Durch die „Leichenschau in der zur Zeit normierten Form [...] [ist] die sichere Feststellung nicht natürlicher Todesfälle nicht gewährleistet [...]“. Mit etwas Glück wird sich die Arbeitsgruppe der Obersten Landesgesundheitsbehörden, die dieses Jahr im Herbst in Sachsen zusammentrifft, mit dem Gesetz befassen.
Brinkmann, der als einziger Rechtsmediziner in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet hat, setzt trotz Zusammenarbeit mit der BÄK auf eine von der Kammer ungeliebte Variante: die der Spezialisierung. Indem die Durchführung der Leichenschau – wie bisher sogar von einigen Ländern angedacht – auf besonders fortgebildete Ärzte beschränkt werde, käme es auch seltener zu Unsicherheiten. „Die beste Idee wäre die Einführung eines amtlichen Leichenbeschauers wie in England“, so Brinkmann. Dort sei die Anzahl der Obduktionen dementsprechend höher.
Ähnlich argumentiert auch Lothar Hermann, Mitglied des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und Kommissar am Frankfurter Polizeipräsidium. Während seiner damaligen Tätigkeit im Morddezernat habe er die Erfahrung gemacht, dass die meisten Allgemeinmediziner überfordert gewesen seien. „Es hätte jemand einen Mord begehen können, und keiner hätte es gemerkt“, so Hermann rückblickend. Allein aus diesem Grund sei es notwendig, Spezialisten mit der Leichenschau zu beauftragen. Auch eine bessere Bezahlung der Leichenschau hält der Kommissar für einen gangbaren Weg. Bisher liegt die Vergütung bei etwa 15 Euro.
Trotz aller Vorschläge und Initiativen hält sich die Begeisterung Brinkmanns in Grenzen. Viele der Bemühungen habe es bereits vor 30 Jahren gegeben, geändert hätte sich dagegen nichts. Mit diesem Thema könne sich die Politik eben keine Lorbeeren verdienen. Martina Merten
Literatur
1. Brinkmann B, Banaschak S, Bratzke H et al.: Fehlleistungen bei der Leichenschau in der Bundesrepublik Deutschland: Ergebnisse einer multizentrischen Studie (I), (II), Arch Kriminol 1997; 199: 1–12, 65–74.
2. Vennemann B, Du Chesne A, Brinkmann B: Die Praxis der ärztlichen Leichenschau, Dtsch Med Wschr 2001; 126: 712–716.
3. Brinkmann B, Du Chesne A, Vennemann B: Aktuelle Daten zur Obduktionsfrequenz in Deutschland, Dtsch Med Wschr 2002; 127: 791–795.
Ahland, R.
Christian, Anette
Helmecke, Gerd