ArchivDeutsches Ärzteblatt PP11/2003Weiterbildung: Hauptfächer stärken
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LNSLNS Herrn Kollegen Kettler muss ich uneingeschränkt zustimmen, wenn er das mangelnde Selbstverständnis mancher Psychiater beklagt; Umbenennungen sind im Gesamtgebiet der Nervenheilkundefächer eine beliebte Spielerei, um alten Wein in neue Schläuche umzufüllen. Ich bin schon gespannt, wie sich die altehrwürdige Baden-Badener „Wanderversammlung südwestdeutscher Irrenärzte und Neurologen“ nennen wird, wenn der Psychiater tatsächlich den Irrenarzt in Kaisers neuen Kleidern frisch gehäutet verlassen wird. Ich befürchte, dass ich mich danach in Sackleinen mit einem Gucci-Schildchen dran wieder finden werde.
Ich stimme Herrn Kollegen Kettler nicht zu in seinem Bemühen, die Psychiatrie deutlicher von der psychotherapeutischen Medizin zu differenzieren, wie es für mich in der Praxis auch unmöglich ist, die Neurologie von der Psychiatrie zu trennen. Die ICD wird die propagierte Trennung nicht zulassen, so wenig wie sie jetzt schon logisch ist bei Nervenkrankheiten, die sich nicht problemlos in die Kapitel F und G der ICD zuordnen lassen und in beiden Kapiteln mit Nummern versehen sind, wie die Demenzen, oder einfach nur in den Syndromen der Kapitel I und X oder bei den Internisten oder Orthopäden auftauchen.
Ich stelle zur Diskussion, ob wir wirklich elf Gebiete, Bereiche und Zusatzbezeichnungen für das Gesamtgebiet der Nervenheilkunde vorhalten müssen. Durch diesen Wirrwarr steigen selbst Nervenheilkundler und Mitarbeiter der Weiterbildungsausschüsse nicht mehr durch. Nach meinem Verständnis dienen die Facharzt- und Zusatzbezeichnungen dazu, dem Patienten und seinem Hausarzt Wegweiser zur richtigen Behandlung beim Spezialisten zu sein. Diese Aufgabe erfüllen sie schon lange nicht mehr.
Außerdem beobachte ich bei den Fachgesprächen zur Erlangung einer Fachgebietsbezeichnung in den Fächern Neurologie und Psychiatrie zunehmend, dass gründliches Basiswissen in den Hauptgebieten fehlt und vielen Kollegen mehr am Sammeln von Titeln für das Arztschild und den Briefkopf gelegen ist als an einer gründlichen Weiterbildung. Nicht selten haben wir uns in den Prüfungen gefragt, ob das dargebotene Wissen ausgereicht hätte, durch die Staatsexamensprüfung zu kommen. Wir müssen wieder darauf zurückkommen, die Hauptfächer zu stärken und die Weiterbildungsordnung mehr an Bedürfnissen der Patienten zu orientieren als an Narzissmen und Selbstwertstörungen. Von den elf Gebiets- und Zusatzbezeichnungen entfallen bezeichnenderweise nur vier auf die somatischen Fächer Neurologie, Neurochirurgie, Neuroradiologie und Neuropathologie, die anderen sieben in verwirrender Vielfalt auf die Psychiatrie und ihre Verzweigungen. „Qui bono?“ Und erst danach: „Quo vadis?“ Wenn er niemandem dient, ist der Fortschritt nicht mehr wert als ein falsches Markenschild auf Sackleinen.
Dr. med. Hans Baiker, Lange Straße 55, 32756 Detmold

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