ArchivDeutsches Ärzteblatt PP11/2003Weiterbildung: Stigmatisierung abbauen
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LNSLNS Der Antrag auf Alternativbenennung des Gebiets in „Medizin psychischer Erkrankungen“ erfolgte keineswegs überraschend, sondern war im Vorfeld mit allen wichtigen psychiatrisch-psychotherapeutischen Verbänden und dem Hausarztverband konsentiert. Lediglich der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin hatte vor dem Ärztetag nach anfänglicher Zustimmung dann doch Zurückhaltung geäußert. Erst auf dem Ärztetag wurde massiver Widerstand deutlich. Der von Herrn Kettler kritisierte Begriff des zweistrangigen Versorgungssystems für psychisch Erkrankte ist Fakt. Ein eigenständiges psychosomatisches Versorgungssystem existiert de facto nicht. Nachweislich werden in psychosomatischen Kliniken zu 80 bis 90 % primär psychische Erkrankungen – mehrheitlich Depressionen – behandelt. Auch im niedergelassenen Bereich hat sich bisher keine deutlich vom Gebiet Psychiatrie/Psychotherapie abgegrenzte Profilbildung vollzogen. Die Neubenennung des Faches für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie soll ja gerade über die Weiterbildungsinhalte zu einer tatsächlichen Abgrenzung eines Facharztes für psychische und eines Facharztes für psychosomatische Erkrankungen führen.
Deswegen wurde die Umbenennung des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin in Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie von den psychiatrisch/psychotherapeutischen Verbänden ohne Einwand akzeptiert. Insofern sollte der Alternativbenennung des Psychiaters und Psychotherapeuten zum Facharzt für psychische Erkrankungen auch nichts entgegenstehen.
Die Unterstellung, die Psychiatrie würde ausschließlich den Weg der Auswirkungen organischer Störungen auf die Psyche verfolgen, ist absurd und ebenso unzeitgemäß wie die Feststellung, dass sie sich um die Überwindung ihrer kustodialen Haltung bemühen müsse. (Ich verweise diesbezüglich u. a. auf das externe Qualitätssicherungsprojekt der Landesärztekammer Baden-Württemberg zur Depressionsbehandlung in psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken.)
Herr Kettler vertritt zum ersten Mal in seinem Artikel öffentlich den Standpunkt, dass unser Fach den historisch belasteten und für viele Patienten als problematisch erachteten Begriff der Psychiatrie beibehalten soll. Er hat offensichtlich keinerlei Verständnis für das Bemühen, jedwede Art von Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und der sie behandelnden Institutionen abzubauen. Möchte er vielmehr den Reputationsvorteil, den der Begriff Psychosomatik im Vergleich zur Psychiatrie eindeutig besitzt, fortgeschrieben wissen? Dann dürfen wir Herrn Kettler daran erinnern, dass das Fach Psychotherapeutische Medizin in ganz Deutschland 150 Assistenten weiterbildet, während das Fach Psychiatrie und Psychotherapie einen Weiterbildungsnachwuchs von etwa 3 800 Assistenten aufweist.
Dass sich selbst an dem Stigmaproblem berufspolitische Fronten auftun und öffentlich ausgetragen werden sollen, ist unserem Nachwuchs nicht zu vermitteln. So lässt sich Ärztenachwuchsmangel nicht beheben!
Dr. med. Christa Roth-Sackenheim, Breite Straße 63, 56626 Andernach

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