ArchivDeutsches Ärzteblatt PP11/2003Analytische Langzeittherapie: Vorteile gegenüber kurzzeitiger Therapie

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Analytische Langzeittherapie: Vorteile gegenüber kurzzeitiger Therapie

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LNSLNS Psychoanalytische Behandlungen beseitigen nicht nur Symptome, sondern können eine Umstrukturierung der Persönlichkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit erreichen als kürzere Psychotherapien. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenschaftler der Psychosomatischen Abteilungen des Universitätsklinikums Heidelberg und des Universitätsklinikums Benjamin Franklin, Berlin, in der „Praxisstudie analytische Langzeittherapien“ (PAL). Die noch unveröffentlichte Studie wurde auf der Tagung „Zur Wirksamkeit von Psychoanalysen und Psychotherapien“ an der Psychosomatischen Universitätsklinik Heidelberg am 17. und 18. Oktober vorgestellt.
Seit 1996 untersuchten Prof. Dr. med. Gerd Rudolf, Heidelberg, et al. insgesamt 72 Personen, die an neurotischen und Persönlichkeitsstörungen litten, meist verbunden mit körperlichen Beschwerden. Bei insgesamt 60 Prozent der psychoanalytisch behandelten Patienten wurde eine nachhaltige Persönlichkeitsveränderung nachgewiesen; wurde dagegen Psychotherapie angewandt, gelang dies nur bei circa elf Prozent der Patienten. Die psychoanalytische Behandlung ist gekennzeichnet durch eine Dauer von 240 bis 300 Stunden mit etwa drei Sitzungen pro Woche, während Psychotherapien rund 50 bis 80 Stunden und meist eine Sitzung pro Woche umfassen. „Psychoanalyse und Psychotherapien haben unterschiedliche Ziele“, erklärt Dr. Tilman Grande, Dipl.-Psych., Heidelberg, der an der Studie beteiligt war. Während Psychotherapien auf die Bewältigung der aktuellen Konflikte und Belastungen abzielten, soll durch die Psychoanalyse eine tiefergreifende Änderung der Persönlichkeitsstruktur erreicht werden.
Sowohl die Patienten selbst, ihre Therapeuten sowie die wissenschaftlichen Beobachter stellten unabhängig voneinander deutliche Merkmale der Strukturveränderung bei Psychoanalyse-Patienten fest. So waren bei diesen intensivere Therapieprozesse zu beobachten, ihre Symptome gingen deutlich zurück, das Selbsterleben wurde positiver, die Lebensqualität nahm zu. Dadurch waren die Betroffenen in der Lage, die Belastungen zu ertragen und ihr
Leben besser zu gestalten. Gleichzeitig wurden medizinische Leistungen wesentlich weniger häufig in Anspruch genommen.
Rudolf weist darauf hin, dass die Ergebnisse der Studie gerade unter dem gegenwärtigen Kostendruck im Gesundheitswesen von Bedeutung seien. „Oft wird die Wirksamkeit der Psychoanalyse mit dem Hinweis angezweifelt, dass bereits kürzere Psychotherapien effektiv seien.“ Psychische und psychosomatische Beschwerden seien jedoch häufig Ausdruck von tieferliegenden Schwierigkeiten der Persönlichkeit. Nachhaltige Veränderungen der Persönlichkeit könnten aber meist nur durch eine intensive und längere Behandlung erreicht werden, wie sie in der Psychoanalyse angeboten wird.
Da solche Therapien mehrere Jahre dauern können, sei die Effektivität der Behandlung bislang noch nicht ausreichend wissenschaftlich geprüft worden, sagte Rudolf. Es sei schwierig, die nötigen Finanzmittel für derartige Studien der Versorgungsforschung einzuwerben. Die PAL-Studie wurde überwiegend von der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V. sowie der Robert-Bosch-Stiftung finanziert. In einer weiteren Studie untersuchen die Wissenschaftler, ob die erfolgreich behandelten Patienten auch nach einer therapiefreien Zeit von ein bis drei Jahren immer noch besser in der Lage sind, ihre Lebensprobleme zu meistern, und zudem weniger Krankheitssymptome zeigen. PB

Rudolf G, Dilg R, Grande T, Jakobsen TH, Keller W, Krawietz B, Langer M, Oberbracht C, Stehle S: Praxisstudie Analytische Langzeittherapie (PAL) (unveröffentlicht)

Rudolf G: Strukturelle Veränderungen in psychoanalytischen Behandlungen – Zur Praxisstudie analytische Langzeittherapien (PAL). In: Stur U, Leuzinger-Bohleber M, Beutel M (Hrsg.): Langzeitpsychotherapie. Perspektive für Therapeuten und Wissenschaftler. Stuttgart: Kohlhammer 2001, 238.

Prof. Dr. Gerd Rudolf, Psychosomatische Universitätsklinik, Voßstraße 2, 69115 Heidelberg

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