ArchivDeutsches Ärzteblatt50/2003Kardiologie: Adulte Stammzellen als Hoffnungsträger

POLITIK: Medizinreport

Kardiologie: Adulte Stammzellen als Hoffnungsträger

Koch, Klaus

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LNSLNS Auch deutsche Forschergruppen präsentierten bei dem Kongress der American Heart Association in Orlando Ergebnisse aus diesem innovativen Forschungsgebiet.

Noch vor fünf Jahren schien die Zukunft der Kardiologie in der Gentherapie zu liegen. Nach zahlreichen Fehlschlägen sind die Hoffnungsträger jetzt adulte Stammzellen, die in ersten Versuchen genauso vielversprechend erscheinen wie damals die Gentherapie. Bei der Jahrestagung der American Heart Association in Orlando haben sechs Forscherguppen – darunter drei deutsche – ihre Erfahrungen präsentiert. Mittlerweile sind weltweit 150 Herzkranke mit adulten Stammzellen (gewonnen aus ihrem Knochenmark oder Blut) behandelt worden. Weiteren 50 Patienten injizierte man Skelettmuskelzellen aus der Beinmuskulatur intrakardial.
Den Stand der Dinge beschreibt die erste randomisierte Studie, die Kardiologen der Medizinischen Hochschule Hannover in Orlando vorgestellt haben. Die Gruppe um Dr. Kai Wollert und Prof. Helmut Drexler hat 30 Patienten wenige Stunden nach einem Infarkt mit ST-Hebung zusätzlich zur üblichen Therapie eigene Knochenmark-Stammzellen in den geschädigten Bereich des Herzens injiziert.
Moderate Verbesserungen der Ejektionsfraktion
Weitere 30 Patienten wurden lediglich angioplastiert: Nach sechs Monaten war die linksventrikuläre Auswurffraktion in der Kontrollgruppe von 51,3 auf 52 Prozent gestiegen, in der mit Stammzellen behandelten Gruppe aber von 50 auf 56,7 Prozent. „Dieser Unterschied könnte auf Dauer für die Patienten von großer Bedeutung sein“, hofft Wollert. Die Studie bestätigt die in den letzten Monaten veröffentlichten Untersuchungen, die nach der Injektion von Stammzellen in infarktgeschädigte Herzen ähnlich moderate Verbesserungen der Ejektionsfraktion gesehen hatten. Prof. Bodo Strauer, der an der Universität Düsseldorf seit März 2001 ausgewählte Patienten mit Stammzellen aus dem Knochenmark behandelt, berichtete, dass es den 20 ersten Patienten auch nach bis zu 15 Monaten noch gut gehe. Wie viele Patienten er mittlerweile behandelt hat, wollte er nicht sagen.
Positiv sind auch die Ergebnisse einer Gruppe um Prof. Stefanie Dimmeler und Prof. Andreas Zeiher von der Universität Frankfurt/Main, die 59 Infarktpatienten adulte Stammzellen ins Herz injiziert haben. Auch hier war nach vier Monaten der Schaden am Herzmuskel etwas verkleinert. Mittlerweile hat die Gruppe 64 Herzinsuffizienz-Patienten mit eigenen Blutstammzellen behandelt. Nach zwei Monaten gab es jedoch keine spürbaren Besserungen. „Wir sind gerade erst am Anfang“, so Zeiher.
Ob die beobachteten Effekte dauerhaft sind, können nur Langzeitstudien beantworten. Denn auf die Bildung von „steifem“ Narbengewebe reagiert das Organ mit Hypertrophie. Bei vielen Infarktpatienten führt der Umbauversuch des Muskels nach Jahren oder Monaten zur chronischen Überlastung – Herzinsuffizienz ist die langfristige Folge. Wollert glaubt nicht, dass Stammzellen diesen Prozess völlig verhindern können: „Aber es wäre schon ein Vorteil, wenn sie ihn um einige Jahre verlangsamen könnten“, sagt er.
Zeiher hält die Zeit für reif, größere Studien zu beginnen, um das Potenzial der Stammzellen ernsthaft zu testen: „Die bisherigen Daten sind gut genug.“ Andere Forscher halten das allerdings für voreilig. Das Risiko eines Fehlschlags sei noch zu hoch, glaubt Silviu Itescu von der Columbia University: „Vorher müssen wir mehr darüber wissen, welchen Typ von Zellen wir welchen Patienten in welchen Mengen injizieren sollen.“ In Tierversuchen sterben 90 bis 99 Prozent der Stammzellen nach der Injektion. Keine der Forschergruppen weiß so genau, was aus den wenigen überlebenden Zellen nach der Injektion ins Herz eines Patienten wird. Tierversuche, wie die von Dr. Mark Berry von der University of Pennsylvania, dämpfen allzu große Erwartungen in die Reparaturfähigkeiten der Stammzellen.
Differenzierung zu Kardiomyozyten blieb aus
Seine Gruppe hat Ratten nach einem experimentellen Infarkt menschliche Stammzellen in das betroffene Gebiet injiziert. Acht Wochen später hatten sich zwar humane Zellen in den Rattenherzen angesiedelt, ihre Differenzierung zu Kardiomyozyten blieb jedoch aus. „Möglicherweise ist es schon ein Vorteil, wenn die Zellen nur dafür sorgen, dass die Infarktnarbe weniger dick und steif wird“, sagt Berry. Während die Forscher, die körpereigene Stammzellen erproben, bereits weitere Experimente planen, wird es mit embryonalen Stammzellen wohl auf Jahre hinaus keine Versuche am Menschen geben.
Was passieren kann, wenn man unreife embryonale Stammzellen in Herzen injiziert, berichtete eine Gruppe um Jeannette Nussbaum und Charles Murry (University of Washington in Seattle). Bei den Mäusen bildeten sich nach der Injektion große Teratome, die bis in die Lunge der Tiere wucherten. Sollte man jemals aus embryonalen Stammzellen gewonnene Zellen zur Therapie am Menschen verwenden, muss sichergestellt sein, dass sich darunter keine unreifen Stammzellen mehr befinden, so die Schlussfolgerung. Klaus Koch

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