MEDIZIN
Proteomanalyse – eine neue Perspektive für die klinische Diagnostik
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Die Proteomanalyse, eine umfassende Darstellung von Proteinen und Peptiden in Körperflüssigkeiten, erlaubt die Erstellung eines Proteinmusters, welches idealerweise für eine Erkrankung charakteristisch ist. Das Verfahren, eine Massenspektroskopie nach kapillarelektrophoretischer Trennung, bildet eine große Anzahl von Polypeptiden schnell und verlässlich ab. So enthält der Urin eines Gesunden zwischen 500 und 1 500 Polypeptide, aus denen durch die Charakterisierung aus Masse, Konzentration und Migrationszeit eine Polypeptidkarte erstellt wird. Aus dem Vergleich der Polypeptidkarten Gesunder entsteht ein typisches Muster, das sich beispielsweise signifikant von dem eines Patienten mit Glomerulonephritis unterscheidet. Innerhalb einer Patientengruppe mit membranöser Glomerulonephritis, Minimal-change-Glomerulonephritis oder fokal segmentaler Glomerulosklerose kann durch die Proteomanalyse die Erkrankung differenziert werden. Diese Technik könnte darüber hinaus eine Differenzialdiagnostik auch bei anderen Erkrankungen ermöglichen. Durch die Sequenzierung unbekannter Peptide und Proteine könnte die Proteomanalyse zur Aufklärung der Pathogenese beitragen.
Schlüsselwörter: Spektroskopie, Proteomanalyse, molekulare Medizin, Glomerulonephritis, Diagnosestellung
Summary
Proteom Analysis: Perspectives for Future Clinical Diagnosis
Proteom analysis, a method to generate a comprehensive analysis of proteins and peptides in body fluids, allows to develop a polypeptide pattern typical and unique for a specific disease. The technique, capillary electrophoresis coupled to mass spectrometry, yields a rapid and reproducible identification of a large number of polypeptides. Thus, urine of healthy individuals contains 500 to 1 500 polypeptides. These polypeptides, characterized by mass, concentration and migration time, are forming a “polypeptide map“. Comparison of the maps of healthy individuals leads to a typical pattern. This pattern differs significantly from that obtained for example from urine of patients with glomerulonephritis. Moreover, proteom analysis is able to differentiate between patient groups with membranous nephropathy, minimal change disease or focal segmental glomerulosclerosis. Therefore, this method seems also promising regarding differential diagnosis of other diseases. In addition, polypeptides characterized by proteom analysis might contribute to the
elucidation of the pathogenesis of the disease.
Key words: spectroscopy, proteomic analysis, molecular medicine, glomerulonephritis, diagnosis
Das molekulare Verständnis für die Pathogenese von Erkrankungen wächst ständig. Zunehmend wird auch die Rolle bestimmter Gene bei der Krankheitsentstehung erforscht. Die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms hat jedoch deutlich werden lassen, dass die Genotypisierung in Verbindung mit der Analyse der entsprechenden Genprodukte, den Proteinen, vollzogen werden muss. In Körperflüssigkeiten findet man unterschiedliche Peptide und Proteine, die gemeinsam ein kompliziertes Netzwerk von Botenstoffen bilden und so den Gesamtorganismus steuern (2). Veränderungen in der Konzentration dieser Proteine treten insbesondere im Rahmen von pathologischen Prozessen auf und können entweder Ursache oder Anzeichen von Erkrankungen sein (3, 7). Derzeit wird, bedingt durch das Fehlen einer geeigneten Methode, nur die Konzentration einiger Substanzen (wie Zytokine, Peptidhormone) im Rahmen der klinischen Diagnostik bestimmt, üblicherweise mit immunologischen Methoden, wie ELISA („enzyme-linked immunosorbent assay“) oder RIA („radioimmuno assay“). Eine große Herausforderung ist daher die spezifische und umfassende Darstellung von Proteinen und Peptiden in Körperflüssigkeiten. Das Ziel ist die Erstellung eines Proteinmusters, einer „diagnostischen Karte“, die idealerweise für eine Erkrankung charakteristisch ist.
Technologie
Um eine große Zahl von teilweise noch unbekannten Polypeptiden und Proteinen zu analysieren, ist eine Technologie erforderlich, die individuelle Parameter der Polypeptide als Identifikationskriterium verwendet. Diese Technologie muss rasch, sensitiv und reproduzierbar sein. Hierzu wird die Massenspektrometrie, in Verbindung mit hochauflösenden Trennverfahren wie HPLC („high pressure liquid chromatography“), in der Grundlagenforschung seit langem eingesetzt. Die massenspektrometrische Analyse bietet sich zur Identifizierung von Polypeptiden an. Sie kann bei vorgeschalteten Hochleistungstrennmethoden die Konzentration und die Masse von mehr als 1 000 Peptiden und Proteinen gleichzeitig in einer einzigen Analyse bestimmen, ohne dass spezifische Reagenzien wie beispielsweise Antikörper nötig sind (4).
Zur möglichen späteren Anwendung im Rahmen einer weitreichenden klinischen Diagnostik wurde eine neue Technik etabliert, die zur Auftrennung von Proteinen eine Kapillarelektrophorese direkt mit einer massenspektrometrischen Analyse – einem Elektrospray-Ionization-Time-of-Flight-(ESI-TOF-) Massenspektrometer – koppelt (8). Dies ist notwendig, weil in einer unfraktionierten Plasma- oder Urinprobe zu viele Polypeptide vorhanden sind, um bei einer Messung erfasst zu werden. Daher müssen Hochleistungstrennverfahren wie die Kapillarelektrophorese (6) der massenspektrometrischen Analyse vorgeschaltet werden. Die Bestimmung der Masse und die Identifizierung der Polypeptide erfolgt danach mit dem hochauflösenden Massenspektrometer. Die Grafik 1 zeigt die Koppelung der Kapillarelektrophorese (CE) an das Massenspektrometer (MS). Der Vorteil dieser Kombination gegenüber früheren Verfahren liegt in der Schnelligkeit und hohen Reproduzierbarkeit.
Diagnostische Möglichkeiten und erste Ergebnisse
Um das diagnostische Potenzial und gleichzeitig eine mögliche klinische Einsatzfähigkeit der Methode zu prüfen, wurden zunächst Urinproben von gesunden Probanden und von Patienten mit nephrotischem Syndrom oder einem Diabetes mellitus untersucht. Die entsprechend aufbereiteten Proben (10) wurden kapillarelektrophoretisch getrennt und im Massenspektrometer analysiert, wobei ein Ergebnis innerhalb von 45 min zu erhalten war. Eine typische Analyse zeigt zwischen 500 und 1 500 unterschiedliche Polypeptide in einer Probe (1 mL Urin). Mit einer eigens entwickelten Software (10) wurde durch Charakterisierung mithilfe von Masse, Konzentration und CE-Laufzeit (Migrationszeit) eine Polypeptidkarte jeder Einzelprobe erstellt und diese zwischen den einzelnen Proben verglichen. Nur Polypeptide mit Massen von 800 Dalton und mehr wurden analysiert. Polypeptide wurden als gleich betrachtet, wenn ihre Massenabweichung unter 0,05 Prozent lag und die Abweichung der Laufzeit in der Kapillarelektrophorese weniger als 5 min betrug. Um die Reproduzierbarkeit der Messungen zu gewährleisten, wurden auch verschiedene Zeitpunkte zur Probenentnahme getestet. Es zeigte sich, dass der zweite Spontanurin des Tages am besten für die Messungen geeignet war, wenn dieser innerhalb von zwei Stunden verarbeitet oder eingefroren und bei –20°C gelagert wurde. Die Analyse von 24h-Sammelurin führte bei manchen Patienten zur Degradation größerer Polypeptide (> 5 kDa), bedingt durch die proteolytische Aktivität des Urins beziehungsweise der oft vorhandenen mikrobiellen Kontamination.
Die Analyse der Urinproben von mehr als 57 gesunden Probanden ohne Albuminurie oder Hämaturie oder Leukozyturie erbrachte vergleichbare Muster. In einer Urinprobe konnten zwischen 500 und 1 500 Polypeptide mit Molekulargewichten von 800 bis 65 000 Dalton detektiert und in einer Datenbank gespeichert werden. Aus den resultierenden Polypeptidlisten der Einzelproben wurde in einem zweiten Schritt die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der die Polypeptide im Urin eines Gesunden nachgewiesen werden können. 173 Polypeptide waren in mehr als 90 Prozent dieser Urinproben vorhanden, weitere 156 Polypeptide in mehr als 75 Prozent der Proben und 361 in mehr als 50 Prozent der getesteten Urine gesunder Personen. Aus diesen 690 Polypeptiden wurde ein typisches Polypeptidmuster gesunder Probanden erstellt.
Im Anschluss hieran wurde Urin von Patienten mit einer zum nephrotischen Syndrom führenden membranösen Glomerulonephritis (MGN; n = 18), einer Minimal-change-Glomerulonephritis (MCG; n = 17) oder einer fokal segmentalen Glomerulosklerose (FSGS; n = 10) in unterschiedlichen Krankheitsphasen gemessen und mit den Daten gesunder Probanden und untereinander verglichen. Ein homologes Proteinmuster wurde in den einzelnen Erkrankungsgruppen gefunden, welches sich signifikant vom Polypeptidmuster gesunder Personen unterschied. Typische Beispiele sind in der Grafik 2 dargestellt.
Neue Proteine waren nachweisbar, andere, im Urin gesunder Personen vorhandene Eiweiße, fehlten. Die statistische Analyse (Random Forests [1]) zeigte eine Genauigkeit der Zuordnung in der so genannten Lernstichprobe von 96,5 Prozent in Bezug auf den Vergleich gesunder Probanden mit Patienten mit Nierenerkrankungen. Nach der Kreuzvalidierung wurde eine Sensitivität von 81,3 Prozent und eine Spezifität von 94,3 Prozent erreicht (9). Mit der Vergrößerung des Patientenkollektivs wird die diagnostische Trennschärfe noch weiter zunehmen. In Bezug auf die Diskriminierung der einzelnen Erkrankungen wurden aufgrund der kleinen Gruppe von Patienten mit FSGS Patienten mit FSGS oder MCG gemeinsam betrachtet. Die Genauigkeit der Zuordnung in der Lernstichprobe betrug 94,1 Prozent. Nach der Kreuz-
validierung lag sie bei 84,3 Prozent (93,8 Prozent für gesunde Probanden, 71,4 Prozent für Patienten mit MCG/ FSGS and 92,9 Prozent für Patienten mit MGN [9]).
Alternativ wurde die statistische Analyse mittels „support vector machines“ durchgeführt, weil man mit diesen Verfahren in der Lage ist, simultan mehrere Parameter zu werten (9). Hier betrug die korrekte Klassifizierung gesund versus krank 98,0 Prozent nach kompletter Kreuzvalidierung. Eine Differenzialdiagnose der drei Krankheiten MCG, MGN beziehungsweise FSGS war mit einer Spezifität von 94,1 Prozent, 92,3 Prozent und 89,3 Prozent möglich.
Diese Resultate zeigen die Vorteile von „support vector machines“ gegenüber dem anderen verwendeten statistischen Verfahren. Eine weitere Verbesserung der korrekten Zuordnung wird auch hier mit größer werdenden Fallzahlen möglich sein. Prospektive Studien müssen diese viel versprechenden Ergebnisse bestätigen und zeigen, dass mit dieser umfassenden Polypeptidanalyse mit hinreichender Sensitivität und Spezifität die Diagnose einer bestimmten Glomerulonephritis gestellt werden kann.
Als klinische Konsequenz könnte zumindest bei einem Teil der Patienten zur Diagnose einer Glomerulonephritis auf eine Nierenbiopsie verzichtet werden. Darüber hinaus weisen erste Ergebnisse darauf hin, dass die Methode Aussagen zum Ansprechen oder Versagen einer Therapie liefern kann. Dies hätte für die Therapieplanung einen entscheidenden Vorteil.
Zur weiteren Ausschöpfung der Möglichkeiten der Urinanalyse wurden Patienten mit einem Typ-2-Diabetes-mellitus mit und ohne Mikroalbuminurie oder manifester Proteinurie untersucht (n = 66). Ein „diabetisches“ Polypeptidmuster konnte etabliert werden (Grafik 3). Ein Muster der „diabetischen Nierenschädigung“ bei Patienten mit einer Albuminurie mit Werten von mehr als 100 mg Albumin/L konnte ebenfalls identifiziert werden. Interessanterweise fand sich dieses Schädigungsmuster auch bei 35 Prozent der Patienten mit einer Albuminurie mit Werten unter 100 mg Albumin/L und sogar bei zwei Patienten, bei denen keine Albuminausscheidung nachzuweisen war.
Hier kann vermutet werden, dass diese Patienten – zurzeit mit den bislang verfügbaren Untersuchungsmethoden noch ohne Hinweise für eine diabetische Nephropathie – bereits eine frühe renale Schädigung haben und somit gefährdet sind, ohne therapeutische Intervention, das Vollbild einer diabetischen Nephropathie zu entwickeln, wie dies bei etwa 30 Prozent der Diabetiker bei nicht optimaler Behandlung zu erwarten ist. Durch die Proteomanalyse ist eine frühzeitige Diagnostik möglich. So könnte eher therapeutisch interveniert werden, um nicht nur das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, sondern eine Rückbildung der Schädigung zu erreichen. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich auch der Erfolg einer medikamentösen Intervention in den Proteinmustern des Urins abbilden lässt.
Die Ausweitung der Proteomanalyse auf weitere Körperflüssigkeiten wie Liquor und Serum und die Anwendung bei anderen nicht renalen Erkrankungen hat bereits begonnen. Auch hier können entscheidende diagnostische Vorteile erwartet werden (5).
Schlussfolgerung
Der Einsatz der Massenspektroskopie nach kapillarelektrophoretischer Trennung scheint eine viel versprechende Methodik für die zukünftige klinische Diagnostik zu sein. Eine große Anzahl von Polypeptiden kann in jeder einzelnen Probe schnell und verlässlich abgebildet werden. Eine differenzialdiagnostische Anwendung erscheint möglich, vorausgesetzt, die Ergebnisse können durch prospektive Studien bestätigt werden. Darüber hinaus bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, noch unbekannte Peptide und Proteine im Urin durch Sequenzierung zu identifizieren und damit zur Aufklärung der Pathogenese von Erkrankungen beizutragen.
Manuskript eingereicht: 22. 7. 2003, revidierte Fassung angenommen: 31. 3. 2004
Frau Prof. Haubitz und Herr Prof. Haller sind wissenschaftliche Berater für nephrologische Fragestellungen von Mosaiques Diagnostics and Therapeutics, Hannover. Herr Prof. Fliser hat keinen Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors.
zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1514–1517 [Heft 21]
Literatur
1. Breiman L: Random forests. http://oz.berkeley.edu/users/breiman/randomforest2001.pdf
2. Figeys D: Proteomics approaches in drug discovery. Anal Chem 2002; 74: 412–419A.
3. Herrmann PC, Liotta LA, Petricoin EF: Cancer proteomics: the state of the art. Dis Markers 2001; 17: 49–57.
4. Hochstrasser DF, Sanchez JC, Appel RD: Proteomics and its trends facing nature´s complexity. Proteomics 2002; 2: 807–812.
5. Kaiser T, Wittke S, Just I, Krebs R, Bartel S, Fliser D, Mischak H, Weissinger EM: Capillary electrophoresis coupled to mass spectrometer for automated and robust polypeptide determination in body fluids for clinical use. Electrophoresis (im Druck).
6. Kasicka V: Recent advances in capillary electrophoresis of peptides. Electrophoresis 2001; 22: 4139– 4162.
7. Lottspeich F: Proteome analysis: a pathway to the functional analysis of proteins. Ang Chem Int F 1999; 38: 2476–2492.
8. Tsuji T, Shiozaki A, Kohno R, Yoshizato K, Shimohama S: Proteomic profiling and neurodegeneration in Alzheimer´s disease. Neurochem Res 2002; 27: 1245–1253.
9. Weissinger EM, Wittke S, Kaiser T, Haller H, Bartel S, Krebs R, Golovko I, Rupprecht HD, Haubitz M, Hecker H, Mischak H, Fliser D: Proteomic patterns established with capillary electrophoresis and mass spectrometry for diagnostic purposes. Kidney Int 65 (im Druck).
10. Wittke S, Fliser D, Haubitz M, Bartel S, Krebs R, Hausadel F, Hillmann M, Golovko I, Koester P, Haller H, Kaiser T, Mischak H, Weissinger EM: Determination of peptides and proteins in human urine with capillary electrophoresis-mass spectrometry a suitable tool for the establishment of new diagnostic markers. J Chromatogr A 2003; 1013: 173–181.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Marion Haubitz
Abteilung Nephrologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30623 Hannover
E-Mail: Haubitz.Marion@MH-Hannover.de
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