POLITIK: Aktuell
Öffentlicher Gesundheitsdienst: Gesundheitsämter vor neuen Aufgaben


Der Wandel gesundheitspolitischer und sozialer Bedingungen zwingt dazu, die zukünftige Rolle des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) im gesundheitlichen Versorgungssystem neu zu überdenken. Hierzu
befragten das Gesundheitsamt Münster in Kooperation mit dem Institut für Bevölkerungsforschung und
Sozialpolitik der Universität Bielefeld 53 Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen. Bisher liegen 30
Rückmeldungen vor. Die Beteiligung der städtischen Gesundheitsämter an der empirischen Untersuchung liegt
zur Zeit bei 77 Prozent, die der Kreisgesundheitsämter bei 40 Prozent. Somit lassen sich in etwa aus allen
Regionen des Landes repräsentative Aussagen treffen.
Die Gesundheitsämter messen ihren klassischen Aufgabenfeldern wieder eine steigende Bedeutung zu. Die
AIDS-Problematik, das erneut wachsende Tuberkuloserisiko und die noch nicht abzuschätzenden BSE-Risiken
fordern staatliche Maßnahmen, die nicht ohne den ÖGD geleistet werden könnten. Das Gesundheitsamt müsse
zusammen mit der kurativen Medizin Maßnahmen zur Aufklärung, Prävention und Gefahrenabwehr ergreifen
können. Im Gutachtenwesen sollten die Aufträge reduziert, gesetzliche/rechtliche Regelungen aktualisiert und
Qualitätskriterien und -normen vereinheitlicht werden.
Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung
Eine neue Schwerpunktaufgabe sieht der ÖGD im medizinischen Umweltschutz. Viele Gesundheitsämter
wollen mit der Etablierung einer Gesundheitsverträglichkeitsprüfung stärker an der Erarbeitung von
Sanierungskonzepten, Schutzmaßnahmen und anderen Problemlösungsstrategien beteiligt werden. Neben
Überwachungs- und Beratungsfunktionen für Politik und
Verwaltung sollten den Gesundheitsämtern stärkere Informations-, Aufklärungs- und Beratungsfunktionen
zukommen. Die Nachfrage nach solchen Serviceleistungen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die große
Informationsdichte über mögliche Gefahren, zum Beispiel Tschernobyl, Glykol-Skandal, Altlasten, Asbest,
Trinkwasserbelastung, hat zu Verhaltensunsicherheiten und Ängsten geführt.
Die Neuausrichtung in der Gesundheitsförderung/Prävention vollzieht sich in den Kommunen und Kreisen
noch recht zögerlich. Dennoch gibt es neue Formen der Kooperation: mit Krankenkassen und Zahnärzten in
der Jugendzahnpflege, mit den niedergelassenen Ärzten bei Präventionsprogrammen zu Hautkrebs und bei
"Herzwochen". Mit einer gezielten Verbesserung von Präventionsprogrammen wollen die Gesundheitsämter in
Zukunft mit den im Gesundheitswesen Beteiligten vor Ort positive Impulse für ein besseres Gesundheitswissen,
Gesundheitsbewußtsein und Gesundheitsverhalten geben. Dabei beabsichtigen sie, sich wieder stärker
sozialmedizinisch auszurichten, zum Beispiel auf benachteiligte Bevölkerungs- und Randgruppen. Die
gestiegene Zahl von jugendlichen Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Obdachlosen hat die Sucht- und
Drogenprobleme mit einem hohen Anteil bereits junger Heroinkonsumenten verschärft und zu einer
zunehmenden Gewaltbereitschaft und Kriminalität geführt.
Vor dem Hintergrund drastischer Spar- und Effizienzanforderungen stehen die regionalen und kommunalen
Körperschaften, also auch die Gesundheitsämter, mehr denn je auf dem Prüfstand. Sie benötigen zeitgemäße,
dienstleistungsorientierte und bürgernahe Strukturen. Eine solche Neuorientierung betrifft zwangsläufig auch
das Verhältnis zwischen Verwaltung und Politik. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, daß der Anteil
gesundheitsrelevanter Fragestellungen in kommunalpolitischen Fachausschüssen von den Gesundheitsämtern
auf nur 10 bis maximal 30 Prozent eingeschätzt wird. Sie sollten die politischen Gremien vor Ort stärker für
ihre Aufgaben, die immer mehr auch sozialpolitische Bedeutung erlangen, nutzen.
Starke Eigenkompetenz reklamieren fast alle Gesundheitsämter dann, wenn es darum geht, die
Geschäftsstellenfunktionen für die lokale Koordinierung der Gesundheitsvorsorge und Gesundheitssicherung
zu übernehmen. In den kommunalen Gesundheitskonferenzen, die zur Zeit als "Runde Tische" innerhalb eines
Modellprojektes des Landesgesundheitsministeriums in 27 Kommunen und Kreisen in Nordrhein-Westfalen
erprobt werden, sehen sie aber oft nur Gremien mit hohen Fachkompetenzen, jedoch ohne
Entscheidungsbefugnisse.
Nach dem geplanten neuen Landesgesundheitsgesetz sollen die Gesundheitsämter neue Funktionen in den
Bereichen Koordinierung, Planung und Steuerung übernehmen. Dazu müssen sie auch Informationsgrundlagen
für lokale gesundheitspolitische Entscheidungen erarbeiten. Die Gesundheitsämter haben am Auf- und Ausbau
einer kommunalen Gesundheitsberichterstattung ein großes Interesse. Dabei wünschen sie sich eine
Partnerschaft mit den vor Ort tätigen medizinischen Einrichtungen und Leistungsträgern.
Inhaltliche Weiterentwicklung
Eine Neuorientierung wird aufgrund leerer Kassen zur Zeit voraussichtlich nur durch eine inhaltliche
Weiterentwicklung gesundheitspolitischer Zielvorstellungen in den Kreisen und Kommunen und durch
Anpassung der Organisationsstrukturen im Rahmen der Strukturreform der öffentlichen Verwaltung erfolgen
können. Eine Neuausrichtung und Umorganisation könnte durch Umwidmung von Ressourcen innerhalb der
Gesamtverwaltung zugunsten des Gesundheitsamtes erfolgen. Hierzu erwarten die meisten Gesundheitsämter
zur Stützung und Stärkung ihrer Institution von seiten des Landes Rechtsverbindlichkeit durch ein
Landesgesundheitsgesetz. In diesem sollten nicht nur Empfehlungen, Eckpunkte und Zielvereinbarungen
definiert werden. Je nach Interessen- und Finanzlage der Kommunen könnte dies zu unterschiedlichen
Aufgabenausrichtungen und Qualitäten in den einzelnen Gesundheitsämtern des Landes führen.
Anschrift des Verfassers:
Claus Weth MPH
Gesundheitsamt der Stadt Münster
Stühmerweg 8
48127 Münster