VARIA: Heilbäder und Kurorte
92. Deutscher Bädertag: Kuren in Zeiten der Armut


Als "Bauernopfer im politischen Schachspiel" füh-len sich Deutschlands Heilbäder und Kurorte. Dem Mann an
der Spitze des Deutschen Bäderverbandes (DBV), Dr. Christoph Kirschner, bleibt nicht viel mehr, als die
vorherrschende Stimmung seiner Basis in die Metaphorik des königlichen Spiels zu kleiden. Denn unterdessen
haben die Schlachtenlenker in Bonn Fakten geschaffen:
Seit Oktober können erholungsbedürftigen Arbeitnehmern pro Kurwoche zwei Tage Urlaub angerechnet
werden. Ab Januar steigt die Zuzahlung pro stationärem Kurtag von 12 auf 25 Mark in West- und von 9 auf 20
Mark in Ostdeutschland. Die Regelkurdauer wird auf drei Wochen verkürzt. Der Abstand zwischen zwei Kuren
verlängert sich von drei auf mindestens vier Jahre.
Hiobsbotschaften für den deutschen Kurbetrieb – und die Folgen lassen nicht auf sich warten. So war der
Bädertag auch Nachrichtenzentrale für Schadensmeldungen. Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Seit der
Wende wurden dort 17 Kurkliniken mit 4 000 Betten errichtet oder ausgebaut, dazu 16 Kinder-Kurkliniken mit
noch einmal 2 700 Betten. Investitionsvolumen: 1,2 Milliarden Mark für "blühende Landschaften".
"Einschneidende Auswirkungen" des Bonner Streichkonzerts befürchtet nun der mecklenburgische BäderPräsident, Mathias Löttge. Beispiel Bayern: Bereits jetzt sind 1 500 Arbeitskräfte weniger in den bayerischen
Heilbädern und Kur- orten beschäftigt als 1995. Franz Gnan, Vorsitzender des Bayerischen
Heilbäderverbandes, rechnet mit "acht- bis neuntausend weiteren Streichungen aufgrund der dritten Stufe der
Gesundheitsreform".
In Gesamtdeutschland ist der Rückgang bisher noch leicht, vom DBV allerdings bewertet als "Flaute vor dem
Sturm": 0,7 Prozent weniger Kurgäste und 2,5 Prozent weniger Übernachtungen standen 1995 gegenüber dem
Vorjahr zu Buche – die 96er und erst recht die 97er Zahlen, so erwarten Experten, werden wesentlich
schlechter aussehen. Vor diesem düsteren Hintergrund suchen Verbandsstrategen und Manager vor Ort
verstärkt nach neuen Attraktionen und Verlockungen für ein Publikum, das dafür zunehmend selbst in die
Tasche greifen müßte. Die Kompaktkur, die sich als neuer Standard zu etablieren beginnt, soll ausgebaut
werden, der "Gesundheitsurlaub" – wenn auch nicht als Kurersatz – in den Blickpunkt rücken.
Ob da allerdings die Geschäftsidee des mecklenburgischen Sozialministers Hinrich Kuessner (SPD) für Furore
sorgen wird, ist offen: Kuessner plädierte vor Verbandsvertretern im Ostseebad Boltenhagen für einen
"Wohlfühltourismus". Daran hätten, weiß der Minister, nämlich 10 Millionen Deutsche Interesse.
Oliver Driesen
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