POLITIK
Schicksale jüdischer Ärzte nach 1933: Die KV Berlin arbeitet ihre Geschichte auf


Katja Riemann und Michael Wenninger lasen aus autobiografischen
Zeugnissen jüdischer Ärzte und Ärztinnen, darunter
Käte Frankenthal (deren Schicksal schildert ein DÄ-Comic,
eine weitere Folge erscheint in diesem Heft).
Foto: Ulli Winkler
Zu einer Gedenkstunde für die in der NS-Zeit vertriebenen und ermordeten jüdischen Ärzte kamen am 7. November Ärzte und Politiker im Berliner Centrum Judaicum, der früheren Synagoge in der Oranienburger Straße, zusammen. Die Initiative dazu ging, wie schon bei einer gleichartigen Veranstaltung vor zwei Jahren, von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin sowie Vertretern jüdischer Ärzte aus. Der Berliner KV-Vorsitzende Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm setzt sich aktiv dafür ein, die Geschichte der Organisation in Berlin aufzuarbeiten. Seit gut zwei Jahren läuft dazu ein Forschungsprojekt, in das auch das Medizinhistorische Institut der Berliner Universitäten einbezogen ist. Die ursprünglich Berliner Initiative wird nunmehr auch von der Bundesärztekammer, deren Präsident, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, ein Gedenkwort sprach, und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, deren Vorsitzender Richter-Reichhelm ist, unterstützt.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurden die jüdischen Ärzte konsequent ausgeschaltet. Von den etwa 3 600 Berliner Kassenärzten seien rund 2 000 jüdischer Herkunft gewesen, erläuterte die Medizinhistorikerin Dr. phil. Rebecca Schwoch anlässlich der Gedenkveranstaltung. Ihnen wurde 1938 die Approbation entzogen, einige durften als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten arbeiten, in Berlin waren das 279. In ganz Deutschland seien es rund 700 von insgesamt 8 000 bis 9 000 jüdischen Ärzten gewesen, schätzte Dr. med. Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Alle Juden seien „Schritt für Schritt für vogelfrei erklärt“ worden.
An der Vertreibung aus dem Beruf waren Ärzterepräsentanten maßgeblich beteiligt. Richter-Reichhelm sprach von einer „institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen den Spitzenverbänden der deutschen Ärzteschaft und dem Gesetzgeber“ und von der Mitschuld der Ärzteschaft an den Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft. So auch der Präsident der Bundesärztekammer: Führende Vertreter der Ärzteschaft hätten sich aktiv an der Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen und Kolleginnen beteiligt. Er erwähnte namentlich Dr. med. Karl Haedenkamp. Hoppe bat namens der Ärzteschaft um Vergebung und erinnerte an seinen Vorgänger Karsten Vilmar, der beim Deutschen Ärztetag 1987 um die Gnade des Verzeihens gebeten habe, und an den Ärztetag 1996, der sich
zu der schuldhaften Verstrickung der Ärzteschaft bekannt hatte.
Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder bemerkte, Medizinstudenten wüssten zu wenig über die NS-Zeit, wären jedoch sehr interessiert, darüber mehr zu erfahren. Er schlug vor, die Information im Studium zu verbessern und die medizinhistorische Forschung zu fördern, beispielsweise durch einen gemeinsam von Bundesgesundheitsministerium und Ärzteschaft auszulobenden Preis.
Schröder sprach anstelle von Ministerin Ulla Schmidt, die gleichfalls am
7. November im ehemaligen KZ Sachsenhausen (in Oranienburg, nördlich von Berlin) die Dauerausstellung „Medizin und Verbrechen“ eröffnete. Die Rolle der Medizin während des Dritten Reiches sei noch nicht rundum aufgearbeitet, erklärte Schmidt, auch wenn
„die heutige Ärzteschaft in Deutschland gewillt ist, nach vielen Jahren des Zögerns Erinnerungs-Arbeit zu leisten.“
Aktuell fördern bereits KV Berlin, Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Deutscher Ärzte-Verlag die Aufarbeitung des Reichsarztregisters mit rund 97 000 Karteikarten. Auf vielen dieser Karten sind Hinweise auf die Lebenswege jüdischer Ärzte zu finden. Diesen soll nachgegangen werden. Auch erhofft man sich Aufschlüsse über Struktur und Entscheidungsprozesse der Ärzteschaft und ihrer Untergliederungen während der Nazizeit. Richter-Reichhelm und der Vorsitzende des in Gründung begriffenen Verbandes jüdischer Ärzte, Dr. med. Roman Skoblo, regten zudem an, die ursprüngliche Führerschule der NS-Ärzteschaft in Alt-Rehse zu einer Gedenk-, Begegnungs- und Forschungsstätte umzuwandeln.
Ministerin Schmidt äußerte sich in Sachsenhausen besorgt über die Erfolge rechtsradikaler Gruppierungen bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Ähnlich Dr. Schuster vom Zentralrat der Juden bei der Berliner Veranstaltung: Er könne nicht verstehen, „dass
man menschenverachtenden Ideologien in freier und geheimer Wahl seine Stimme gibt“. Norbert Jachertz
Hampel, Robert
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