ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2005Krätze weiterhin verbreitet: Endemien in Pflegeheimen erfordern konsequente Synchronbehandlung

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Krätze weiterhin verbreitet: Endemien in Pflegeheimen erfordern konsequente Synchronbehandlung

Haustein, Uwe-Frithjof; Paasch, Uwe

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LNSLNS Zusammenfassung
Die hochkontagiöse, durch Sarcoptes scabiei var. hominis hervorgerufene Skabies ist weltweit in allen Altersgruppen verbreitet. Insbesondere Endemien in Alters- und Pflegeheimen erfordern eine spezielle Bekämpfungsstrategie. Diese besteht in der synchronen Untersuchung aller involvierten Patienten und Kontaktpersonen einschließlich dem Pflegepersonal, sowie der Selektion und Isolierung von so genannten Indexpatienten mit ausgedehntem Befall als chronische Infektionsquellen (Scabies crustosa) und in der gleichzeitigen Applikation von topischen Antiskabiosa wie Allethrin (Spray) oder Permethrin (fünfprozentige Creme). Gegebenenfalls ist eine zehntägige Quarantäne zur Unterbrechung der Infektkette angezeigt. Problempatienten erhalten zusätzlich Ivermectin als systemische Gabe. Auch die potenziell inkubierten Patienten müssen topisch mitbehandelt werden. Das Pflegepersonal wird angehalten, Handschuhe zu tragen. Die Umgebung (Bett- und Körperwäsche, Handtücher, Kleidung, Polstermöbel, Teppiche) muss ebenfalls saniert werden. Mit dieser Strategie konnten Endemien in fünf Heimen an 432 Patienten erfolgreich bekämpft werden. Permethrin gilt als das gegenwärtig wirksamste und nebenwirkungsärmste topische Antiskabiosum mit weltweiter Langzeiterfahrung. Es ist seit 2004 auch in Deutschland zugelassen.

Schlüsselwörter: Milbendermatitis, Skabies, Pflegeheim, Hygienemanagement, Therapiekonzept, Permethrin

Summary
Scabies Still Distributed Widely
The highly contagious scabies caused by Sarcoptes scabiei var. hominis is distributed in all age groups world-widely. Particularly endemies in old age and nursing homes require a special strategy of eradication. It consists of synchroneous clinical investigation of all patients involved as well as contact persons including nursing personnel. Furthermore selection and isolation of so-called indexpatients with extensive involvement of the skin as a chronic infectious source (scabies crustosa) and simultaneous application of topic scabicides such as allethrin (spray) or permethrin (cream) and eventually ten days of quarantaine in order to block the infectious chains are essential. Problem patients are treated with systemic ivermectin. Also the seemingly healthy but potentially incubated persons are treated topically.The environment (laundry, towels, clothing, upholstered furniture and carpets) have to be sanitated. With this strategy endemies in 432 patients of five nursing homes were eradicated successfully. World-wide Permethrine has been shown to be the most effective and safe topic scabicide. The substance received market approval in Germany as of December 2004.

Key words: acarodermatitis, scabies, nursing home, hygiene management, therapeutic concept, permethrine

Regelmäßig wird über nach etwa 15 Jahren wiederkehrende Ausbrüche von Skabies mit relativ hohen Häufigkeiten alle 30 Jahre berichtet. Dies erklärt unter anderem die Sensibilisierung, gefolgt von einer Infektresistenz. Diese Begründung ist aber keinesfalls bewiesen, zumal sehr oft auch ein Mehrfachbefall bei demselben Patienten beobachtet wird. Während 45 Jahren klinisch-dermatologischer Erfahrung beobachteten die Autoren in der Regel jede Woche eine floride Skabiesinfestation mit einer saisonalen Häufung im Herbst/ Winter (3, 4).
Als Erreger der Krätze gilt Sarcoptes scabiei var. hominis, mit Spezifität für den Menschen (Abbildung 1). Auch bei Tierinfektionen (Schwein, Hund) ist eine gewisse Speziesspezifität bekannt, die möglicherweise über olfaktorische Auslesefaktoren erklärt werden kann. Übertragungen auf den Menschen sind möglich, jedoch ist der Krankheitsverlauf kurz und selbstheilend. Zumeist ist hier ein Milbennachweis trotz verbesserter Verfahren (unter anderem Videomikroskopie) nicht möglich (2). Die Übertragung der humanen Milben ist selbst durch Kurzkontakte nachgewiesen, insbesondere begünstigt bei Älteren oder Immungeschwächten, und durch hohe Milbenzahlen wie bei Scabies crustosa (Abbildung 2, 3). Kinderreiche Familien und gemeinsame Schlafplätze, darüber hinaus auch Kontakte über das Pflegepersonal in Heimen, fördern die Ansteckung (4). Auch die indirekte Transmission ist bekannt. Die Krätzmilben überleben nach Abschuppen aus Herden infizierter Patienten für 24 bis 36 Stunden bei 21 Grad Celsius in Schlafzimmerfußböden oder Polstermöbeln, vereinzelt sogar bis zu 96 Stunden außerhalb des menschlichen Wirtes. Eine Milbendichte von 1 bis 5 Milben/0,1g Staub oder 1 bis 9 Milben/ m2 Oberfläche wurde gemessen (1).
Der Goldstandard der Diagnose besteht im Nachweis der Milbe zum Beispiel aus Hautgeschabsel. Der Erfolg dieser Vorgehensweise ist von der Erfahrung und dem Geschick des Untersuchers abhängig, weil die Zahl der Milben bei florider Infestation bereits rückläufig ist und nur noch durchschnittlich elf beträgt. Mit der Dermatoskopie beziehungsweise der Videomikroskopie sind die Milben bei Vergrößerungen von 8- bis 400fach gut zu erkennen und in ihrer Wanderung zu beobachten (2). Bei Hundeskabies wurde ein ELISA-Test erfolgreich eingesetzt, um Antikörper beziehungsweise Antigene zu entdecken. Darüber hinaus ist die Verwendung der Polymerasekettenreaktion (PCR) in Entwicklung und künftig ebenfalls von besonderem Wert zur Diagnostik humaner Infektionen (1). In den letzten Jahren wurden im Regierungsbezirk Leipzig immer wieder endemische Infektionen in Alten- und Pflegeheimen, öffentlichen Heimen sowie bei Einwanderern beobachtet (4). Ältere und immunsupprimierte Patienten klagen häufig nicht oder nur geringgradig über den sonst so typischen Juckreiz, sodass sie über längere Zeiträume unerkannt als Reservoir fungieren und die Ausbreitung zur Endemie begünstigen. Oftmals wurde erst spät oder gar nicht an die Möglichkeit einer Skabiesinfektion gedacht. Der betreuende Arzt hatte häufig zudem nur den Einzelpatienten zu versorgen, weil es an einem für alle Patienten verantwortlichen Heimarzt mit einer durchgehenden Behandlungsstrategie, die auch potenziell befallene Kontaktpersonen erfasst, fehlte. Mancher Patient wurde unzureichend oder gar fehlerhaft behandelt. So trug die Anwendung von glucocorticoidhaltigen Externa zur Verschleierung der Diagnose bei. Darüber hinaus erwies sich oft ein Patient mit einer Scabies crustosa als „Streuherd“ beziehungsweise Indexpatient. Die Übertragung der Milben wurde offenbar durch das medizinische Pflegepersonal selbst über Gummihandschuhe unterstützt.
Auf Ersuchen der jeweiligen Amtsärzte haben die Autoren eine tragfähige Konzeption bei der Eradikation von Skabiesendemien erstellt (4). Diese besteht aus folgenden Komponenten:
- Synchrone Behandlung aller Betroffenen und Kontaktpersonen (unabhängig vom Nachweis einer floriden Infestation) mit Allethrin-Spray oder fünfprozentiger Permethrin-Creme. Die therapeutische Effizienz von Permethrin übersteigt nach persönlicher Einschätzung und Erfahrung (4) die von Lindan, was im Folgenden begründet wird. Im Kontext mit der potenziellen perkutanen Resorption bei durch krustöse Skabies geschädigter Haut, der ohnehin 20fach höheren Resorption und der bekannten Neurotoxizität von Lindan empfiehlt sich Permethrin als Alternative in der Therapie der Skabies bei Indexpatienten, älteren Menschen, Kindern, Schwangeren und Stillenden. Die Einmalapplikation reduziert zusätzlich den Arbeitsaufwand bei der Sanierung größerer Populationen. Permethrin ist thermo- und photostabil, weist eine sehr geringe perkutane Resorption auf, wird rasch in der Haut metabolisiert, zeigt keine Verfärbung der Kleidung, ist geruchlos und wird kosmetisch gut akzeptiert. Es ist im Vergleich zu Lindan 40fach geringer toxisch und weist einen hohen Selektivitätsindex von 4 400 aus, der ausdrückt, dass Insekten deutlich stärker getroffen werden als Säugetiere. Bei Organophosphaten (Malathion) beträgt dieser Index 34. In mehr als 16 Jahren haben die Autoren mit Permethrin bei Tausenden von Patienten im Rahmen von Studien zuverlässige Ergebnisse erzielt und keine Nebenwirkungen gesehen. Dies trifft auch auf allergische Sensibilisierungen und Resistenzentwicklungen zu. Ein permethrinhaltiges Antiscabiosum (fünfprozentig) wurde in Deutschland im Dezember 2004 zugelassen.
- Behandlung von Indexpatienten in Quarantäne zusätzlich mit Ivermectin einmalig und gegebenenfalls wiederholt nach acht Tagen (200 µg/kg KG).
- Einhaltung einer zehntägigen Quarantäne zur sicheren Infektkettenunterbrechung
- Zeitgleiche Sanierung der Umgebung: Wechseln der Kleidung, Unter- und Bettwäsche sowie Handtücher, Waschen der Kleidung bei 60oC, Verschluss nicht waschbarer Kleidung in Plastiksäcken für 14 Tage, Behandlung von Teppichböden und Polstermöbeln mit leistungsstarken Staubsaugern. Mit dieser Strategie wurden die Endemien in fünf Heimen mit 432 Patienten, inkubierten beziehungsweise gefährdeten Bewohnern erfolgreich bekämpft. Die klinischen, sozialen und ökonomischen Vorteile dieses Vorgehens überwiegen klar gegenüber Befürchtungen über potenziell toxische beziehungsweise ökologische Belastungen von Betroffenen und Umwelt.

Manuskript eingereich: 10. 5. 2004, revidierte Fassung angenommen: 17. 6. 2004

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 45–46 [Heft 1–2]

Literatur
1. Hay R: Scabies – learning from the animals. J Europ Soc Dermatol Venerol 2004; 18: 129–130.
2. Micalli, G, Lacarrubba, F, Tedeschi A: Videodermatoscopy enhances the ability to monitor efficacy of scabies treatment and allows optimal timimg of drug application. J European Soc Dermatol Venerol 2004; 18: 153–154.
3. Mimouni D, Ankol OE, Davidovitsch N et al.: Seasonality trends in scabies in a young adult population: a 20 year follow-up. Br J Dermatol 2003; 149: 157–159.
4. Paasch U, Haustein U-F: Behandlung der endemischen Skabies mit Allethrin, Permethrin und Ivermectin. Evaluation eines Behandlungskonzeptes. Hautarzt 2001; 52: 31–37.

Anschrift der Verfasser:
Prof. Dr. med. Uwe-Frithjof Haustein
Priv.-Doz. Dr. med. Uwe Paasch
Klinik für Dermatologie, Venerologie
und Allergologie der Universität Leipzig
Stephanstraße 11
04103 Leipzig

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