VARIA: Feuilleton
Heinrich Heine: „Sie küßte mich krank“


Über Heinrich Heines Krankheiten ist viel geschrieben, spekuliert und gestritten worden. So präsentierten beispielsweise Rechtsmediziner der Universitäten Düsseldorf und Göttingen die These, dass Heinrich Heine an einer Bleivergiftung gestorben sei. Sie hielten es sogar für möglich, dass er ermordet wurde (dazu DÄ, Heft 1–2/1998). Der Berliner Neurologe Prof. Dr. med. Roland Schiffter ist da anderer Ansicht. In einer jetzt vorgelegten Publikation vertritt er die Auffassung, dass Heine mit sehr großer Wahrscheinlichkeit „an einer so genannten meningovaskulären Lues gelitten hat“.
Der gut gesicherte Beginn der neurologischen Krankheit Heinrich Heines ist der Sommer des Jahres 1832. So teilte er am 24. August seinem Freund F. Merckel mit: „Obgleich an einer lahmen und schwachen Hand leidend, bekomme ich doch plötzlich den Drang, Dir zu schreiben.“ In einem Brief an J. H. Detmold vom 16. Januar 1838 äußerte er: „Ein böses Missgeschick hat vor 6 Wochen mich plötzlich überfallen: Ich konnte plötzlich nicht mehr sehen oder vielmehr sah ich alles doppelt und verfließend, ein Zustand, der bis heute nicht ganz behoben ist.“ Schiffter sieht damit eine Nervus-oculomotorius-Lähmung für praktisch gesichert an.
Eine Verschlechterung mit neuen neurologischen Symptomen schildert Heine in einem Brief vom 12. April 1843 an seinen Bruder Maximilian: „Fast die ganze linke Seite ist paralysiert, in Bezug auf die Empfindung, die Bewegung der Muskeln ist noch vorhanden.“ Im Revolutionsjahr 1848 verschlechterte sich Heines Gesundheitszustand unaufhaltsam. Mitte Mai des Jahres begab er sich noch einmal in den Louvre zur Venus von Milo. Danach konnte er seine Wohnung nie mehr selbstständig verlassen, die Zeit der „Matratzengruft“ begann. Heinrich Heine starb am 17. Februar 1856 in Paris.
Der Dichter wurde nach den damals anerkannten Regeln der „romantischen Medizin“ behandelt. Das wichtigste Medikament, das er jahrelang bis zu seinem Tod einnahm oder über ein Haarseil oder Brandwunden resorbierte, war Opium beziehungsweise Morphium. Wahrscheinlich wichtig und in Grenzen wirksam war seine Behandlung mit Eisenjodid beziehungsweise Jodkali.
Die Frage der Ansteckung konnte nicht zuverlässig geklärt werden; viel wichtiger erscheint Schiffter jedoch auch die Tatsache, dass Heine selbst davon überzeugt gewesen sei, venerisch infiziert zu sein. So deutete Heine in einem Briefentwurf an Louis-Désiré Véron vom 15. September 1848 an, seine Rükkenmarkserkrankung sei die „Krankheit der glücklichen Männer“, also die Folge einer Geschlechtskrankheit. In der „Nachlese“ (1854–1856) fand Schiffter folgende Verse:
Heinrich Heine auf dem Krankenlager,
Holzstich um 1865, nach einem Gemälde
von Heinrich Lefler
Fotos: picture
Für Schiffter gibt es nur eine mögliche Diagnose:
Die Analyse der verfügbaren Briefe und anderen schriftlichen Quellen bestätige nachdrücklich die alte Diagnose einer Neurosyphilis in Form der chronischen Meningitis mit kranialer Polyneuritis und ausgedehnter Polyradikulitis, der früher so genannten Lues cerebrospinalis. Der sich über 25 Jahre erstreckende chronisch rezidivierende Verlauf mit multiplen schweren Hirnnervenlähmungen, dramatischen radikulären Neuralgien und radikulären Paresen sowie inkomplettem zervikothorakalen Querschnittssyndrom und finalen Hustenattacken und Brechanfällen bei Fehlen von Hirn- und Hirnstammsymptomen lasse kaum eine andere Diagnose zu.
Es könne als ausgeschlossen gelten, dass man eine tuberkulöse Meningitis an der Schädelbasis und dem gesamten Spinalkanal 24 Jahre überleben könne, und erst recht nicht eine generalisierte Tuberkulose mit „Multiorganbeteiligung“. Für ebenso unwahrscheinlich hält Schiffter es, dass Heine ausschließlich an einer chronischen Bleivergiftung gelitten habe. Die Gesamtheit der klinischen Symptomatik und der Krankheitsverlauf seien mit einer Bleipolyneuropathie oder gar einer Bleienzephalopathie unvereinbar. Ebenso ließen sich eine multiple Sklerose oder eine amyotrophe Lateralsklerose als Ursache seiner neurologischen Symptome und seines Sterbens weitgehend ausschließen. Die schweren über Jahre undulierenden peripheren Hirnnervenlähmungen ohne Hinweis auf Hirnstammschädigung kämen bei multipler Sklerose ebenso wenig vor wie die schweren radikulären neuralgischen Schmerzanfälle fast des ganzen Körpers und die eindeutig peripher-neurogenen Lähmungen in Armen und Beinen. Kli
Literatur
Schiffter R: Das Leiden des Heinrich Heine, Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2005; 73: 30–43.
Prof. Dr. med. Roland Schiffter, Wiesenerstraße 53, 12101 Berlin, E-Mail: urschiffter@gmx.de