ArchivDeutsches Ärzteblatt11/2005Hintergrundmusik: „Zwangsbeschallung“ oder „klingender Uterus“

VARIA: Post scriptum

Hintergrundmusik: „Zwangsbeschallung“ oder „klingender Uterus“

Hibbeler, Birgit

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Die Ohren kann man nicht schließen.“ Deshalb seien Patienten
der „Zwangsbeschallung mit Weichspülermusik“ in Warte- und Behandlungszimmern vieler Arztpraxen schutzlos ausgeliefert, beschwert sich ein Patient, der die schlimmsten Befürchtungen hegt: „Eine falsche Art der Entspannung des Arztes kann im schlimmsten Fall tödliche Folgen für den Patienten haben.“ Bereits George Orwell habe darauf hingewiesen, dass Musik das Bewusstsein schwäche, die Neugier trübe und darauf hinwirke, dass man sich den Tieren annähere. Der besorgte Patient fragt sich, ob denn das mit dem ärztlichen Berufsethos zu vereinbaren sei, und fordert die Einrichtung abgetrennter Wartezimmer mit einem „Recht auf Stille“.
Etwas gelassener sieht der Musikpsychologe Prof. Dr. Reinhard Kopiez von der Universität Hannover die Sachlage. Grundsätzlich sei es denkbar, dass Musik zu einem entspannten Umgang zwischen Arzt und Patient beitrage. Die
Funktion von Hintergrundmusik sei das Schaffen von Orientierung, eines „klingenden Uterus“. „Der kritische Punkt“, so Kopiez weiter, „ist die Art der Musik. Sie muss der Situation und dem Zustand der Anwesenden angemessen sein.“ Eine Studie zu Warteschleifenmusik einer Hotline habe gezeigt, dass die meisten Anrufer bei Entspannungsmusik auflegten.
Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) hat unterdessen kein Problem damit, Arztpraxen auf eine Stufe mit Friseursalons und dem Einzelhandel zu stellen: Für alle gelten die gleichen Tarife.
Das Abspielen von CDs und Kassetten auf einer Fläche
bis 100 Quadratmeter kostet monatlich 7,68 Euro. Selbst gebrannte CDs sind etwas teurer. Für die Beschallung mit Hörfunk nimmt die GEMA bei der gleichen Fläche immerhin 25,40 Euro. Unerwartet hohe Kosten kann Telefonwarteschleifenmusik verursachen: Pro 30 angefangene Amtsleitungen zahlt der Arzt 15,60 Euro. Glücklicherweise hat der Markt schon reagiert:
Es gibt inzwischen auch gebührenfreie Warteschleifenmusik.
Dr. med. Birgit Hibbeler

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote