ArchivDeutsches Ärzteblatt3/1997Gesundheitspolitik: Honorierung und Krisenmanagement

POLITIK: Leitartikel

Gesundheitspolitik: Honorierung und Krisenmanagement

Weinhold, Ernst-Eberhard

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LNSLNS Mit der Einführung von Obergrenzen für die Summe der Vergütung aller Vertragsärzte ist ein wesentliches Ziel der Honorarverträge zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) – die angemessene Vergütung der ärztlichen Leistungen – noch schwieriger als früher zu erreichen.


Die "Angemessenheit" war stets ein unbestimmter Rechtsbegriff, wie er im Sozialgesetzbuch (SGB) oft vorkommt. Während sonst die Sozialgerichte bei der Klärung von Rechtsauslegungen meistens hilfreich gewesen sind – wenn auch nicht immer zur Freude der zahlungspflichtigen Krankenkassen –, haben sie sich bei der Definition des Begriffs der "Angemessenheit" der Vergütung der ärztlichen Leistungen hinter dem Vertragsgegenstand "Gesamtvergütung" in Sicherheit gebracht. Bezieht sich aber die "Angemessenheit" auf die Gesamtvergütung, sind es die Elemente, aus denen die Bewertung der ärztlichen Leistung abgeleitet wird – der Bewertungsmaßstab und die Honorarverteilungsmaßstäbe (HVM) –, die zur Manövriermasse einer Angemessenheit der Leistungsvergütung im einzelnen werden.
Zur Zeit gibt es keine stabilen Leistungspreise für die ärztliche Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Die "Honorargerechtigkeit", die von den Ärzten gefordert und die von den Patienten erwartet wird, ist nicht einmal in den Durchschnittsbewertungen zu garantieren, in denen sich der PreisLeistungs-Bezug in der Vergütung vertragsärztlicher Behandlungen ohnehin aufgelöst hat. Der "Wirtschaftsbereich Gesundheit" mit leistungsbezogenen Bewertungen der ärztlichen Arbeit ist zugunsten anderer Bereiche der Marktwirtschaft in einen "Sondermarkt" mit zugeteilten Ressourcen verwandelt worden. An die Stelle von Marktregeln, in denen sich soziale Unterschiede auswirken können, tritt in einem künstlich begrenzten, sozial finanzierten Anteil der Gesamtwirtschaft die Verteilung mit der immanenten Forderung nach "Verteilungsgerechtigkeit". Diese Variante einer Gerechtigkeit ist für den einen gerecht, für den anderen ungerecht, weil Leistung subjektiv besetzt ist und ihr Erfolg zumindest in der Patientenbehandlung nur selten vergleichbar ist. Es ist ähnlich wie mit dem politischen Begriff einer "sozialen Gerechtigkeit", der "Gerechtigkeit" als ordnenden Rechtsbegriff unbrauchbar gemacht hat. Jeder kann ihn zum eigenen Vorteil drehen und wenden.


Krankenversicherung auf Markt getrimmt?
Zur Zeit läuft in der Gesetzgebung der Versuch, aus dem GKV-System einen sozial finanzierten, geschützten Marktbereich zu formen. Im Rahmen von Selbstverwaltungsvereinbarungen sollen sich Wettbewerbselemente ordnend und qualitätsfördernd auswirken und dabei die Vorteile einer pluralistischen Wirtschaftsstruktur nutzen: mit Freiberuflern, selbständigen Gesundheitsberufen, Handwerkern und mit im eigenen wie im Patienten-Interesse sparsam arbeitenden Krankenhäusern.
Da aber der politische Machtkampf nicht entschieden ist zwischen denen, die ein sozialistisches Gesundheitswesen in seiner Funktion als Herrschaftsinstrument in einem entscheidenden Lebensbereich der Bürger unbedingt erhalten wollen, und denen, die überall in der Gesellschaft soviel Freiheit und Verantwortung wie möglich wirksam werden lassen wollen, ist es Sache der Ärzte, ihre Option für eine qualifizierte, persönliche und humane Krankenversorgung offenzuhalten. Unter so instabilen politischen Verhältnissen gerät die Vorstellung von einer Honorargerechtigkeit für den Arzt zur Utopie. Für die gesamte Berufsgruppe müssen an die Stelle des Kampfes aller gegen alle um die zu geringen Ressourcen gemeinsame Überlebensstrategien treten. Die Konzepte dafür müssen in erster Linie die dem Patienten verantwortliche Arztrolle festschreiben.
Einheitliche Bewertungsmaßstäbe und HVM sind Versuche, eine hochentwickelte und effiziente ambulante Krankenversorgung durch unruhige und finanziell magere Jahre zu steuern. Mehr sollte von ihnen nicht erwartet werden. In ihrem Rahmen bleibt den Ärzten nur übrig, für die Krankenversorgung das Beste daraus zu machen. Dafür wird ein Krisenmanagement benötigt. Denn trotz der Finanzierungsdefizite gebietet es der ärztliche Auftrag, die leistungsfähigen Versorgungsstrukturen zu erhalten. Dazu haben die Kassenärztlichen Vereinigungen einen gesetzlichen Sicherstellungsauftrag. Sie müssen möglich machen, was weder der einzelne Arzt noch eine Gruppe von Ärzten zustande bringen kann.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind eben nicht nur Honorarverteilungs- und Verwaltungsbehörden. Sie sind auch nicht nur dazu da, mit den Krankenkassenverbänden Verträge zu schließen. Sie sind in erster Linie eine Genossenschaft von Ärzten, eine ärztliche Organisation, die ermöglichen soll, was ein Vertragsarzt auch in finanziell bedrängten Zeiten an qualifizierter Krankenversorgung, unter Einsatz seiner und seiner Kollegen persönlichen und medizinisch-technischen Möglichkeiten, für seine Patienten leisten kann.
Die Ärzte in der Krankenversorgung dürfen in solchen Zeiten nicht gegeneinander streiten. So hervorragend ist keiner, daß er durch kollegiale Zusammenarbeit nicht noch besser werden könnte. Mit ihren Genossenschaften, den Kassenärztlichen Vereinigungen, dienen die Ärzte ebenso der Patientenversorgung wie mit ihrer eigenen Arbeit. Organisation, Kommunikation und Qualitätssicherung sind Gemeinschaftsaufgaben, die nicht jeder für sich aufbauen kann. Die "Monopolstellung", die von den volkswirtschaftlichen Dogmatikern lediglich als Marktprivileg beurteilt wird, ist unverzichtbarer Teil einer modernen Arbeitsteilung in der praktizierten Medizin. Sie steht deshalb nicht als beliebig austauschbare Vertragsvariante zur Disposition.
Es ist notwendig, daß der Gesellschaft wieder klar wird, daß die persönliche Krankenversorgung nicht im Dienste von Krankenkassen oder, von Ausnahmen abgesehen, auch nicht im Dienste des Staates erfolgt, sondern im Dienste der Gesundheit des einzelnen Menschen. Daran ändert auch der soziale Ausgleich nichts, der durch die Krankenkassenbeiträge oder durch eine Steuerfinanzierung erfolgt. Nicht wer zahlt, schafft an, sondern es ist der Auftrag des Arztes in hippokratischer Tradition, der sich auch in der deutschen Gesetzgebung wiederfindet. Insbesondere die Krankenkassen als privilegierte Kassierer von BeitragsMilliarden scheinen sich nicht immer darüber bewußt zu sein, daß sie dieses Geld verwalten, um in Anspruch genommene Leistungen zugunsten ihrer Versicherten bezahlen zu können, und nicht dafür, die Versicherten als Nutznießer von Dumping-Preisen einer fragwürdigen Situation auszusetzen. Auch das könnte einmal Anlaß zum Wechsel einer Krankenkasse werden.
Nach ihrem beruflichen Selbstverständnis können sich die Ärzte nicht ökonomisch fremdbestimmen lassen. Sie müssen jeweils tun, was sie können, nach bestem Wissen und Gewissen. Eine Gesellschaft, die dies erhalten will, muß wissen, daß sie dafür Spielräume offenhalten muß. Die Menschen und ihre Schicksale sind verschieden, und aus dieser Verschiedenheit resultiert ein unterschiedlicher Bedarf an Ressourcen für ihre Heilbehandlung. Das verbietet auch bei Nutzung statistischer Durchschnitte eine Budgetierung. Ebenso verbietet sich unter Ärzten ein vorrangiger Wettbewerb um hohe Gewinne aus ihrer Berufstätigkeit. Wer darauf nicht verzichten will, sollte einen anderen Beruf wählen. Die hohe Zahl an Interessenten am Arztberuf läßt vermuten, daß dieses Merkmal des Arztberufes nicht allen gegenwärtig ist.
Die finanzielle und strukturelle Krise in der Krankenversorgung ist mit motivierten und kollegial eingestellten Ärztinnen und Ärzten jedenfalls eher zu überwinden als mit einem Wettbewerb, bei dem der Arztberuf unter die Räder gerät.


Prof. Dr. med. Ernst-Eberhard Weinhold
Dorfstraße 140
27637 Nordholz

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