POLITIK
Früherkennungsuntersuchungen: Sorge um die Vorsorge
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Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verzeichneten
bei der Krebsfrüherkennung im
Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang.
Foto: Eisermann/laif
2004 gestiegen, obwohl die Fallzahlen sinken.
Die Gesundheitsreform wirkt.“ Mit diesen Worten kommentierte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor kurzem die Finanzlage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Kassen hatten das Jahr 2004 mit einem Überschuss von vier Milliarden Euro abgeschlossen. Es gab noch mehr Erfreuliches zu berichten. „Die Ausgaben für ärztliche Früherkennungsuntersuchungen sind sogar um rund 22 Prozent gestiegen“, teilte das Ministerium mit. Dafür sei ebenso wie für Schutzimpfungen und Arztbesuche von Kindern und Jugendlichen keine Praxisgebühr zu zahlen.
Kurz zuvor hatte die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) allerdings verbreitet, dass ihre Versicherten deutlich seltener zur Früherkennung gingen als zuvor. Im ersten Halbjahr 2004 sank die Beteiligungsquote im Vergleich zum Vorjahr bei den Männern um fast sechs Prozent, bei den Frauen um elf Prozent. „Die Vermutung liegt nahe, dass der Rückgang seine Ursache in der Einführung der Praxisgebühr hat“, sagte der KKH-Vorstandsvorsitzende Ingo Kailuweit. „Die Praxisgebühr hindert die Versicherten nicht daran, Vorsorge und Früherkennung zu nutzen“, behauptete hingegen Ende März die Barmer.
Fragt sich, ob im Jahr 2004 bundesweit mehr oder weniger Männer, Frauen und Kinder Früherkennungsmaßnahmen in Anspruch genommen haben als 2003. Und wieso die Ausgaben dafür um fast ein Viertel gestiegen sein sollen. Fakt ist: Abschließende Behandlungsfallzahlen für 2004 liegen noch nicht vor. Für das erste Halbjahr ist der Trend allerdings klar. „Insgesamt sind die Fallzahlen zurückgegangen“, sagt ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Demnach verzeichneten die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte bei der Krebsfrüherkennung für Männer einen Rückgang um 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bei Frauen sank die Zahl um 3,1 Prozent. Ebenfalls rückläufig war die Inanspruchnahme des Check-up (–3,8 Prozent). Nur leicht sank die Zahl der Kinder- und Jugenduntersuchungen (–0,4 Prozent). Ähnlich verhielt es sich bei Schutzimpfungen (–4,1 Prozent) und Mutterschaftsvorsorge (–0,7 Prozent).
Dass sich diese Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte 2004 fortsetzte und zum Teil sogar verstärkte, legt eine Stichprobenanalyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein nahe. Dort gingen die zulasten der GKV abgerechneten Früherkennungsuntersuchungen bei Erwachsenen im gesamten Jahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr zurück. Einzige Ausnahme war die Koloskopie. Bei der Krebsfrüherkennung reduzierten sich die Behandlungsfälle bei Männern um acht Prozent, bei Frauen um 8,1 Prozent. Diese Daten seien nicht repräsentativ, erklärte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMGS) auf Anfrage. Doch ZI-Geschäftsführer Dr. Gerhard Brenner ist überzeugt davon, dass das bundesweite amtliche Ergebnis für 2004 am Ende ähnlich ausfallen wird.
Die seit kurzem neu aufgenommene präventive Koloskopie kann nach übereinstimmender Einschätzung des AOK-Bundesverbandes, der KBV und des ZI nicht alleinige Ursache eines Ausgabenanstiegs bei den Früherkennungsmaßnahmen sein. Rund 500 000 Versicherte ließen 2003 eine Darmspiegelung vornehmen, schätzungsweise ebenso viele 2004. Die Kosten dafür beliefen sich 2003 auf rund 120 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2004 wurden für Früherkennungsmaßnahmen nach den bisherigen GKV-Daten rund 733 Millionen Euro ausgegeben.
Die Sprecherin des BMGS verweist darauf, dass differenzierte Angaben erst im Spätsommer möglich seien, wenn umfangreichere Daten vorlägen. Beim Bundesverband der Innungskrankenkassen ist allerdings schon klar, dass sich in die jüngste GKV-Ausgabenstatistik bei der Früherkennung Fehler eingeschlichen haben. „Das Datenmaterial ist nachpflegebedürftig“, heißt es dort.
Ein „Ausreißer“ geht auf das Konto der See-Krankenkasse. Sie erhöhte auf dem Papier die Ausgaben für Früherkennungsmaßnahmen bei ihren rund 70 000 Versicherten um mehr als 80 Prozent. In Wirklichkeit werden es jedoch wohl nur rund zwei Prozent – wenn überhaupt. Der Rechenfehler geht auf ein Versehen im Jahr 2003 zurück, das fälschlicherweise auch die Statistik für 2004 beeinflusste. Auch bei den Ersatzkassen gibt es eine mit einem Ausreißer bei den Daten zur Früherkennung. !
ZI-Geschäftsführer Brenner kann sich den hohen Ausgabenanstieg nicht erklären. Doch er ist davon überzeugt, dass die Früherkennungsmaßnahmen rückläufig sind und dies eine Folge der Praxisgebühr ist. Sie wirke kontraproduktiv, meint Brenner. Er glaubt, dass viele Menschen gar nicht streng zwischen Prävention und kurativer Behandlung unterscheiden. Häufig wird eine Früherkennung eben mit erledigt, wenn man sowieso bei der Gynäkologin ist. Bei vielen Patientinnen bleibt dann hängen, dass es doch wieder zehn Euro Praxisgebühr gekostet hat.
Dass diese Zuzahlung insbesondere in den ersten Monaten ein „Riesenthema“ gewesen sei, bestätigt die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel (SPD). Viele Bürger hätten sich beschwert, dass sie auch für eine Früherkennung zehn Euro bezahlen müssten. Die Begründung der Ärzte sei häufig gewesen, so Kühn-Mengel, dass sie sonst kein Gespräch hätten führen können. Doch auch nach mehr als einem Jahr GKV-Modernisierungsgesetz kämen immer noch regelmäßig Beschwerden.
Einen Zusammenhang zwischen rückläufigen Früherkennungsmaßnahmen und der Praxisgebühr sieht auch Dr. Manfred Steiner, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte: „Mit Einführung der Praxisgebühr ging die Vorsorge zurück.“ Die meisten Frauen kämen eben nicht speziell wegen der Früherkennung in die Praxis, sondern wegen körperlicher Beschwerden oder eines Anliegens. Dann würden aber umgehend zehn Euro Gebühr fällig. Die jetzige Regelung sei deshalb „vollkommen praxisfremd“, ärgert sich Steiner.
Auch Dr. Hans-Friedrich Spies vom Berufsverband Deutscher Internisten sieht die Praxisgebühr trotz Ausnahmeregelung als Bremsklotz auf dem Weg zu mehr Prävention. Das ganze System sei zu kompliziert aufgebaut. Verwirrung bei vielen Versicherten und bei manchen Ärzten sei die logische Folge, zumal Patienten tatsächlich nur selten aus Gründen der Prävention einen Arzt aufsuchten. Seine Einschätzung teilt Dr. Heinz Jarmatz, Vorstandsmitglied des Deutschen Hausärzteverbandes. Aus seiner Erfahrung heraus gibt es den „absoluten Präventionspatienten“ kaum.
Samir Rabbata, Sabine Rieser
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