ArchivDeutsches Ärzteblatt PP5/2005Therapievielfalt / Evidenzbasierte Psychotherapie: Zum Wohle der Patienten

EDITORIAL

Therapievielfalt / Evidenzbasierte Psychotherapie: Zum Wohle der Patienten

Bühring, Petra

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LNSLNS Neidisch seien die Schweizer Psychotherapeuten auf ihre deutschen Kollegen, die völlig in die kassenärztliche Versorgung integriert seien, wohingegen Patienten von Schweizer Psychologen den größten Teil der Behandlung selbst zahlen müssten, schreibt Prof. Dr. Klaus Grawe, Institut für Psychologie in Bern im Psychotherapeutenjournal: „Aber welcher Preis wurde dafür bezahlt? Welche Freiheiten genießen wir im Vergleich zu unseren durch irrationale Richtlinien gegängelten deutschen Kollegen.“ In der Schweiz dürfe Psychotherapie „so wirksam wie möglich gemacht werden“, indem man alles nutze, was sich als wertvoll erwiesen habe.
In Deutschland dagegen dürfen niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten – zumindest offiziell – nur die drei bekannten Verfahren der Richtlinienpsychotherapie durchführen. Denn obwohl die Systemische Therapie von ärztlichen Psychotherapeuten und in Kliniken erfolgreich und legal praktiziert wird – vom Ausland abgesehen – wurde sie 1999 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) als „nicht wissenschaftliches Verfahren“ eingestuft, was die sozialrechtliche Anerkennung durch den damaligen Bundesausschuss ausschloss. Prof. Dr. Kirsten von Sydow, Universität Hamburg, stellte bei dem Symposium „Perspektiven der evidenzbasierten Psychotherapie“ der Bundespsychotherapeutenkammer Anfang April in Berlin, eine Metaanalyse aktueller Wirksamkeitsstudien zur Systemischen Therapie vor: In 20 von 24 untersuchten randomisiert-kontrollierten Studien für die Therapie Erwachsener erwies sich die Methode als wirksam. Von Sydow verlangt die Neubewertung der Systemischen Therapie durch den WBP –
eine Forderung, der sich der (noch) amtierende Vorsitzende des Beirats, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Basel, anschließt: „Die damals vorgelegten
Studien waren sehr schwach, es sollte ein neuer Antrag gestellt werden“, sagte er im Gepräch mit PP.
Allerdings können vom Antrag bis zur Kassenzulassung viele Jahre vergehen, wie das Beispiel der Gesprächspsychotherapie (GT) zeigt. Nach Antragstellung im Jahr 2000 und erfolgter wissenschaftlicher Anerkennung durch den WBP im September 2002, konnte sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) noch nicht zu einer Entscheidung durchringen. Die Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie kämpft – inzwischen recht verzweifelt – gegen die „sachlich unbegründete Verschleppungstaktik“ des Unterausschusses Psychotherapie des G-BA. Dr. jur. Rainer Hess, Vorsitzender des G-BA, versprach bei dem Symposium, die GT „nicht am langen Haken hängen zu lassen“, sieht jedoch Probleme durch die Einschränkung der Beiratsempfehlung auf fünf Anwendungsbereiche. Margraf hingegen kann die sachlichen Probleme mit der Anerkennung nicht nachvollziehen.
Man kann nur mutmaßen, was hinter den langen Bearbeitungszeiten steckt: Interessenskonflikte im Unterausschuss, in dem Vertreter der etablierten Therapieverfahren sitzen? Die Angst vor zusätzlichen Leistungserbringern? In die Zukunft gedacht, wäre eine Abkehr vom Therapieschulendenken sinnvoll – zum Wohle der Patienten. Grawe, der Vertreter einer „integrierten“ Psychotherapie, stellte fest, dass sich die Wirksamkeit der Therapien in der Schweiz gegenüber der Zeit, als noch schulenabhängige Psychotherapie durchgeführt wurde, deutlich verbessert hat. Petra Bühring

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