ArchivDeutsches Ärzteblatt21/2005Machtwechsel und Neuwahlen: Vertrauensfrage

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Machtwechsel und Neuwahlen: Vertrauensfrage

Stüwe, Heinz

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LNSLNS Nach der Wahl ist vor der Wahl. Diese politische Weisheit hat sich nach dem Erdrutsch-Sieg der CDU in Nordrhein-Westfalen noch am Wahlabend überraschend bewahrheitet. Bundeskanzler Gerhard Schröder will nach dem Machtverlust an Rhein und Ruhr eine vorgezogene Bundestagswahl in diesem Herbst. Ist die Ursache des rot-grünen Wahlde
sasters – die hohe Arbeitslosigkeit – nicht zu übersehen, so sind die Motive des Kanzlers für seine taktische Volte undurchsichtig. Zweifellos ist die „klare Unterstützung“ seiner Regierung durch eine Mehrheit der Bürger, die Schröder als unabdingbar für eine Fortsetzung der Reformpo-
litik ansieht, nicht gegeben. Deshalb ist es richtig, dass der Kanzler dem „Souverän“, dem ganzen Wahlvolk, die Vertrauensfrage stellen will. Worauf er allerdings die Hoffnung stützt, die Antwort könne im Herbst anders ausfallen als heute, ist nicht zu erkennen. Die Konjunktur wird ihm nicht zu Hilfe kommen, durchgreifende Erfolge der Arbeitsmarktreformen kann er schnell kaum erwarten. Die Flucht nach vorn soll wohl vor allem disziplinierende Wirkung auf die eigene Partei haben. Nach dem Machtverlust im sozialdemokratischen Stammland hätte sich der aufgebrochene innerparteiliche Streit über einen Kurswechsel in der Sozial- und Finanzpolitik verschärft. Schon deshalb hätte sich bis zu einer Wahl im Herbst 2006 in Berlin nicht mehr viel getan. Dabei sind dringende Aufgaben, wie die Reform der Pflegeversicherung, zu bewältigen.
Wirklich vorbereitet auf den Wahlkampf sind beide großen Parteien nicht. Bei der SPD fehlt ein überzeugendes Konzept für eine
Reform der Sozialsysteme. Das Modell der Bürgerversicherung löst nicht einmal bei allen Sozialdemokraten Begeisterung aus. Der SPD käme zugute, wenn Union und FDP ein wirtschaftsfreundliches Gegenkonzept mit spürbaren Einschnitten beispielsweise beim Kündigungsschutz und einer weitgehenden Steuerfinanzierung der sozialen Sicherung vertreten würden. Bei der Union sind da Zweifel erlaubt. Das zeigt nicht nur der mühsame Formelkompromiss bei der Gesundheitsprämie. Mit Jürgen Rüttgers siegte in Düsseldorf ein Politiker, der für Sozialpartnerschaft und Interessenausgleich eintritt. Auch deshalb verfing die Kapitalismuskritik Franz Münteferings nicht. Zuweilen als überholt abgetan, scheint der rheinische Kapitalismus eines immer noch zu sein: mehrheitsfähig. Heinz Stüwe

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