ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2005Arztgeschichten: Stopp in der Stratosphäre

VARIA: Feuilleton

Arztgeschichten: Stopp in der Stratosphäre

Förster, Helmut

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Seit 2003 veröffentlicht das Deutsche Ärzteblatt regelmäßig Arztgeschichten – zunächst aus der Literatur, seit Heft 3/2004 vorwiegend Beiträge aus der Leserschaft.

Eine ärztliche, noch dazu eine urologische Untersuchung in 10 000 Metern Höhe, wenn mir das einer im Studium vorausgesagt hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Aber auf dem letzten Flug von Mallorca nach Düsseldorf, gerade waren die Reste des spartanischen Mittagssnacks abgeräumt, gerade die Plastikkaffeetasse sicher an den Mund balanciert, [. . .] draußen märchenhafte Stratokumulustürme . . ., da beginnt ein Kind zu schreien, nun ja, zunächst leise, dann immer lauter, zu laut zum Einnicken, immer intensiver, verzweifelter und jetzt mit einem erschöpfenden Schluchzen, das Kind hat etwas, auf jeden Fall mehr als ein „Böckchen“, es leidet ganz unüberhörbar.
Da kam es, was kommen musste: „Ist ein Arzt an Bord?“ . . .
Oh Gott, wenn es das Kind ist, ich bin doch kein Kinderarzt, also Tauchstation . . . nein, keiner steht auf . . . ich bin offensichtlich der einzige . . . also, allen Mut zusammenreißen und auf geht’s! Die Stewardess führt mich, alle schauen unaufhaltsam in Richtung des schreienden Kindes, da liegt es, völlig erschöpft auf den Knien des verzweifelten Vaters, nach Atem ringend, Tränen in den Augen, „kein Erbrechen“, erfahre ich. Bauch weich, zwischen zwei Schluchzern zuckt ein kleiner Zeigefinger fahrig über den Unterbauch, also doch der Blinddarm, nein kann nicht sein, nichts passt wirklich, nur über der Blase ist der Bauch deutlich gespannt, Dämpfung des Klopfschalls unter dem Finger, also: pralle Blase! „Wann? . . .“ Heute morgen das letzte Mal, hat gebrannt, und wie! Also, Harnverhalt bei Harnwegsinfekt! Was tun? Behutsam nähere ich mich mit den Zeigefingerspitzen dem Harn-
röhrenausgang und spreize ihn ganz vorsichtig – da plötzlich eine gewaltige Fontäne, dem verdutzten Vater direkt ins Gesicht, aufs Kissen, Serviette drüber, auch die feuchtet durch, es läuft und läuft wie auf dem Oktoberfest.
Mit sich entleerender Blase und abschwächendem Strahl hört das Kind tatsächlich auf zu schreien, atemlose Stille, . . . der Vater lächelt. Das Kind weint nicht mehr, es nuckelt sichtlich erleichtert . . . Geschafft! Stolzer Rückweg. Aber was wäre, wenn Äskulap nicht assistiert hätte? Dr. med. Helmut Förster

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