

Wenn Psychotherapeuten demnächst in ihren telefonischen Sprechzeiten Anrufe von Hilfe suchenden Menschen erhalten, denen im Internet eine „major depression“ diagnostiziert wurde, sollten sie wissen, wie diese darauf kommen. Diejenigen haben dann vermutlich die sieben Fragen zum persönlichen Erleben und Wohlbefinden des „Depressionsbarometers“ beantwortet und liegen mit ihrem persönlichen Depressionsindex zwischen 55 und 105 Punkten, was auf eine behandlungsbedürftige schwere Depression schließen lässt – vorausgesetzt sie haben die Fragen ernst genommen und wahrheitsgemäß beantwortet. Die sofortige Auswertung im Internet legt dem Getesteten in dem Fall nahe, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Die Fragen stammen aus der klinischen Psychiatrie, zum Beispiel: „Ich bin in meiner Aktivität gehemmt“ – „meistens“ bis „so gut wie nie“, oder „meine Fähigkeit, mich zu freuen“ ist „genauso wie früher“ bis „eigentlich nicht mehr vorhanden“. Aus den Antworten lässt sich ein Index von null bis 105 errechnen; ab 40 Punkten ergibt sich der Verdacht auf eine Depression. Den Initiatoren des Depressionsbarometers, das Management Zentrum Witten an der Universität Witten/Herdecke zusammen mit dem Marktforschungsinstitut idalab GmbH und der Künstler- und Eventagentur expedere, Berlin, geht es jedoch weniger um den Einzelnen, vielmehr wollen die Wirtschaftswissenschaftler die Stimmungslage im Land herausfinden, denn diese hat bekanntlich Einfluss auf die Wirtschaft. Deshalb stellten sie am 5. Juli 2005 den Depressionstest ins Netz, www.depressionsbarometer.de, den seitdem mehr als 80 000 Personen beantwortet haben. Nun wurden erste Ergebnisse bekannt gegeben und ein „reales“ Depressionsbarometer in Form einer drei Meter hohen Skulptur mit täglich aktualisierten Daten vor der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz aufgestellt – ein bisschen Spaß muss sein. Betrachtet man den Index im Verlauf seit Juli sind deutliche Ausschläge nach oben – je höher der Wert, desto depressiver die Stimmung – sichtbar, beispielsweise an den Tagen der Terroranschläge in London, und als der Hurrikan Katrina New Orleans verwüstete. Glücklicher machte die Menschen hingegen das Bundesliga-Eröffnungsspiel und der Papstbesuch. Zwei Tage vor der Bundestagswahl stieg die Stimmung der Deutschen deutlich (18,1 Punkte), um sich am Tag danach wieder im Normalbereich einzupendeln (29,4), als klar wurde, dass es keinen Aufbruch in die eine oder die andere politische Richtung geben wird.
Die Entwicklung des Index im Zeitverlauf führt zu einer Erkenntnis, die nicht überrascht: „Die gefühlte Situation der Menschen und die Erwartungen an die Zukunft sind tendenziell negativ“, bestätigte Prof. Fritz B. Simon, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Depressionsbarometers. Der Mittelwert liegt bei 33,7 Punkten. Weitere Ergebnisse der nicht-repräsentativen Befragung, an der deutlich mehr Männer (64 Prozent) teilnahmen: Mit höherem Bildungsstand und ebenso mit höherem Einkommen nehmen die Depressionswerte ab. Frauen über 60 sind am unglücklichsten im Gegensatz zu Männern derselben Altersgruppe, die einen niedrigeren Index aufweisen.
Ein besonderes „Event“ gibt es zum Schluss: Die Endergebnisse werden als „Überfall auf die Nationale Depression“ im November auf dem Berliner Gendarmenmarkt präsentiert. Vielleicht trägt das zur kurzfristigen Erheiterung bei. Petra Bühring
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