MEDIZIN: Diskussion
Neue Erkenntnisse zur Pathogenese der multiplen Sklerose – Potenzial für die Erweiterung der therapeutischen Optionen: Multiple Sklerose – eine Zeckenbisserkrankung?


So weist die Neuroborreliose im zerebralen Befallsmuster häufig große Ähnlichkeiten mit der MS auf. Die Standard-Elisa besitzen im Fall der Borreliose – aus einer Vielzahl von Gründen (zum Beispiel Immunsuppression, HIV-Infektion, Erregerheterogenität) – eine reduzierte Sensitivität, die immer wieder zu den beobachteten Therapieversagern und „Steroidkatastrophen“ bei vermeintlichen MS-Patienten führt. Letztgenannte sind in Wirklichkeit serologische „Non-Responder“ einer Borreliose.
Es ist bekannt, dass seronegative Neuroborreliosepatienten eine stark erhöhte intrathekale Antikörperproduktion gegen Borrelien aufweisen können, wohingegen der serologische Nachweis im Blut nicht – oder erst nach einer Antibiose – gelingt (3, 4).
Ein Liquor-Serumindex von 8 als zwingende Vorraussetzung für den Beweis einer Neuroborreliose anzunehmen, ist vor dem Hintergrund der diagnostischen Unsicherheiten und der Non-Responder-Problematik ernsthaft infrage zu stellen und nicht geeignet, eine Neuroborreliose sicher auszuschließen. Auch die Borrelientestung mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) weist im Fall der Liquor-Diagnostik nur eine Sensitivität von zehn bis 30 Prozent auf und hilft nicht weiter (2).
Mit Blick auf die diversen Subtypen der MS, ihrem Nord-Süd-Gefälle im globalen Verteilungsmuster und der Vielzahl von durch Zecken übertragenen Krankheitserregern muss diskutiert werden, ob die verschiedenen Subtypen der MS nicht Ausdruck differenter und unterschiedlicher Anthropozoonosen sind, die unter dem Begriff der MS als einheitliche Entität fälschlicherweise zusammengefasst werden.
So wurden jüngst auf dem achten internationalen Potsdamsymposium in Jena neue, durch Zecken übertragene Erreger, wie beispielsweise das Eyach-, das Erve-, das Lipovnik- und das Uukuniemivirus, vorgestellt.
Im Hinblick auf den heterogenen Erregerbefall der Zecken gilt es künftig infektgetriggerte Prozesse, die einer antibiotischen Therapie zugänglich sind, pathogenetisch bei der MS in Erwägung zu ziehen und im Einzelfall abzugrenzen. Nur so können die verheerenden Folgen einer systemischen Immunsuppression bei diesen Patienten abgewendet werden. Interessanterweise weist die im Artikel offenkundig propagierte Basistherapie mit Interferonpräparaten eine inhibitorische Wirkung gegen Chlamydien auf (1).
Literatur
1. Treib J, Haaß A: Infektionskrankheiten des Nervensystems – Möglicher Auslöser der multiplen Sklerose. Dtsch Ärztebl 1999; 96: A 2906–13 [Heft 45].
2. Brouqui P et al.: Guidelines for the diagnosis of tick-borne bacterial diseases in Europe – ESCMID STUDY GROUP REPORT European Network for Surveillance of Tick-Borne Diseases – Diagnosis of tick-borne diseases. Clin Microbiol Infect 2004; 10: 1108–32.
3. Dattwyler RJ et al.: Seronegative lyme disease. New Engl J Med 1988; 319: 1441–46.
4. Schultzer S et al.: Sequestration of antibody to Borrelia burgdorferi in immune complexes in seronegative Lyme disease. Lancet 1990; 335: 312–5.
Cord Uebermuth
Keldachstraße 6, 40225 Düsseldorf
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