ArchivDeutsches Ärzteblatt43/2005Rückenschmerzen: Flexibilität ist gefordert

MEDIZINREPORT

Rückenschmerzen: Flexibilität ist gefordert

Stoschek, Jürgen

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Die Wirbelsäule: eine Kette in eleganter S-Kurve angeordneter Knochen Foto: Deutsche Schmerzliga e.V.
Die Wirbelsäule: eine Kette in eleganter S-Kurve angeordneter Knochen Foto: Deutsche Schmerzliga e.V.
Bewegung, Dynamik und wechselnde Körperhaltungen sind Voraussetzungen zur Gesunderhaltung des Rückens.

R ückenschmerzen sind in den westli-chen Industrieländern eine der häufigsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Während früher die Auffassung vorherrschte, das Heben schwerer Lasten sei eine der Hauptursachen der Beschwerden, gilt heute sitzende Tätigkeit als ein wichtiger Belastungsfaktor. Das hat allerdings kaum etwas an der Tatsache geändert, dass beim Thema Rückenschmerzen das Kurieren an Symptomen nach wie vor im Vordergrund steht und die Prophylaxe am Arbeitsplatz noch immer zu kurz kommt.
Für den schwedischen Orthopäden Prof. Dr. med. Alf Nachemson (Göteborg) ist Bettruhe bei Rückenschmerzen kontraproduktiv. „Leg dich nicht ins Bett, geh zur Arbeit“, laute deshalb die Empfehlung. Denn Bewegung und wechselnde Körperhaltungen sorgten dafür, dass die Bandscheiben besser mit Nährstoffen versorgt würden, sagte Nachemson beim 2. Interdisziplinären Kongress ergomechanics in Amberg.
Trotz der großen klinischen Bedeu-tung von Rückenschmerzen gebe es vergleichsweise nur wenige Daten zur Entwicklung der Bandscheibendegeneration, berichtete der Pathologe Prof. Dr. med. Andreas Nerlich (Krankenhaus München-Bogenhausen). Dass das Aus-maß degenerativer Veränderungen mit dem Alter zunimmt, sei zwar bekannt. Überraschend sei jedoch, dass erste histologische Zeichen schon in der Kindheit auftreten – zu einer Zeit also, in der sich die Vaskularisation der Bandscheibe physiologischerweise zurückbildet. Solche Veränderungen nehmen nach Nerlichs Darstellung vor allem während der Adoleszenz erheblich zu.
Werden Patienten mit Rücken-schmerzen im Kernspintomographen untersucht, geschieht dies in der Regel in waagerechter Position. Der schottische Biomechaniker Prof. Dr. Malcolm Pope hat Probanden auch in sitzender und stehender Position untersucht und dabei herausgefunden, dass die Bauchwandmuskulatur erheblichen Einfluss auf die Belastung der Wirbelsäule hat. Zudem ergeben sich je nach Untersuchungsposition wesentliche Unterschiede bei der Höhe der Bandscheiben. Gleiches gilt bei Untersuchungen am Morgen oder am Abend sowie vor oder nach einem einstündigen Lauf. Entscheidend sei der Flüssigkeitsverlust aus dem Nukleus pulposus bei Belastung und dessen Regenerationsfähigkeit, betonte Pope.
Fortwährendes Sitzen beeinflusst nach Untersuchungen, die der Physiker und Biomechaniker Prof. Dr. Michael A. Adams aus Bristol/England gemacht hat, den Gehalt und die Verteilung der Flüssigkeit in den Bandscheiben so stark, dass dadurch der Transport von Stoffwechselprodukten begünstigt oder behindert werden kann. Um den Flüssigkeitsaustausch zu erhöhen und die Diffusion innerhalb der Bandscheibe zu fördern, empfiehlt es sich, regelmäßig zwischen einer kyphotischen und lordotischen Haltung zu wechseln. Eine gute Sitzposition, in der die Lendenwirbelsäule leicht kyphosiert ist, sollte nach Adams Auffassung einen flachen Rükken bedingen. Die Konstruktion von Sitzen sollte eine leichte Flexion in der Lendenwirbelsäule anregen und den Rücken so abstützen, dass die Muskeln entspannen können.
Ein erhöhtes Risiko, Rückenschmer-zen im Lendenwirbelbereich zu bekommen, hätten Berufskraftfahrer, berichtete Dr. med. Marianne Magnusson von der Halmstad-Universität in Schweden. Das liegt nicht nur an den Ganzkörper-schwingungen, die von den Fahrzeugen erzeugt werden, sondern auch an der Sitzhaltung und der manuellen Handhabung von Lasten, die Berufskraftfahrer oftmals zusätzlich ausführen müssen.
Eine Befragung von Bus-, Traktor-, Baumaschinen- und LKW-Fahrern sowie Hubschrauberpiloten ergab, dass 56 Prozent in der Vergangenheit und 30 Prozent aktuell Rückenschmerzen oder Rückenschmerzen mit ausstrahlenden Schmerzen ins Bein hatten.
Besonders häufig sind Rückenschmerzen bei Piloten, die deshalb aber nur vergleichsweise selten krankgeschrieben sind. Begünstigt werde das Auftreten von Rückenschmerzen offenbar durch zu wenige Pausen während eines Arbeitstages, ungünstige Körperhaltungen und höhere Vibrationsbelastungen, sagte Magnusson.
Einflussfaktoren auf die Bandschei-bendegeneration zu untersuchen ist Aufgabe des Forschungsprojektes Eurodisc, das 2003 begonnen wurde und das von der Europäischen Union über einen Zeitraum von drei Jahren geför-dert wird. Sieben Forschergruppen aus sechs europäischen Ländern wollen herausfinden, warum Bandscheiben degenerieren, ob es eine erbliche Veranlagung gibt und welchen Einfluss Alter, Ernährung und körperliche Beanspruchung haben, berichtete die Biologin Dr. Cornelia Neidlinger-Wilke (Universität Ulm). Ziel sei die Entwicklung präventiver Maßnahmen, objektiverer Diagnoseverfahren und besserer Therapiekonzepte. Jürgen Stoschek

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