MEDIZIN: Kurzberichte
Chronisch-obstruktive Bronchitis und Lungenemphysem
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Chronisch-obstruktive Bronchitis und Lungenemphysem werden auch als chronisch-obstruktive Lungenerkrankung zusammengefaßt. Charakteristisch hierfür ist neben den Grundsymptomen Husten und Auswurf die Dyspnoe aufgrund einer latenten oder manifesten Bronchialobstruktion mit Atemnot.
Epidemiologie
Faßt man chronisch-entzündliche Bronchiallungenerkrankungen unter dem ICD-Schlüssel 490 bis 496
zusammen, so wurden 1993 wegen dieser Gesundheitsstörungen 10 823 Frühberentungen und 38 288
stationäre Heilbehandlungen von der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland
finanziert. Dabei fällt auf, daß der Anteil an Frühberentungen durch die Arbeiterrentenversicherung wegen
dieses Krankheitskomplexes bei Männern 78 Prozent und bei Frauen 56 Prozent betrug, trotz eines
Versicherten-Anteils von nur 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen. Die Arzneimittelkosten für
"Broncholytika/Antiasthmatika" beliefen sich zu Herstellerabgabepreisen auf 821,8 Millionen DM. Die
standardisierte Sterbeziffer lag 1992 für Asthma bei 7,4 je 100 000 Einwohner und für chronisch-obstruktive
Bronchitis und Lungenemphysem bei 19,8 je 100 000 Einwohner, wobei die Diagnosesicherung für die
Ausgangsdaten nicht gewährleistet ist (3).
Pathogenese
Bei der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung handelt es sich um einen Dauerzustand, während das
Asthma bronchiale durch anfallartige Atemnot und variable Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist. Am
Beginn beider Erkrankungen stehen entzündliche Veränderungen der Bronchialschleimhaut. Der Schleim ist
meist zäh und häufig von Entzündungszellen durchsetzt. Dyskrinie und entzündliche Schwellungen sind die
Hauptursache für die Einengung der zentralen und/oder peripheren Luftwege, welche durch eine Kontraktion
der glatten Bronchialmuskulatur verstärkt werden kann (5). Sie führt durch einen exspiratorischen
Ventilmechanismus zur Erweichung der Alveolareingangsringe, zur Atrophie der intraalveolären Septen und
somit zum Lungenemphysem. In letzter Zeit macht man vermehrt auch Störungen des Gleichgewichts
zwischen Proteasen und ihren Inhibitoren, besonders von neutrophiler Elastase und Antielastasen, sowie die
verminderte Entgiftung von reaktiven Sauerstoffspezies verantwortlich. Insofern ist es leicht verständlich, daß
heute die Entzündungsvorgänge im Alveolarraum als Hauptursache für die Ausbildung eines
Lungenemphysems gewertet werden. Eine klassische Pathogenese liegt bei ererbtem schweren Alpha-1Antitrypsin-Mangel vor, wenn offensichtlich vorwiegend die aus Leukozyten stammenden Proteasen den Abbau
des Lungengewebes bewirkt haben.
Diagnose
Der objektive Nachweis einer Bronchialobstruktion, die sich auskultatorisch durch ein abgeschwächtes
Vesikuläratmen und durch giemende Atemgeräusche äußert, erfolgt durch die Ganzkörperplethysmographie,
die als Goldstandard gilt und auch das gesamte intrathorakale Gasvolumen anzeigt. Hilfsweise kann man das
Atemstrom-/Atemvolumen-Diagramm (Flow-Volume-Kurve) anfertigen, welches den verstärkten Abfall der
Strömungsgeschwindigkeit während der Ausatmung mißt und vorwiegend über eine Einengung der peripheren
Luftwege Aufschluß gibt. Die einfachste, allerdings von der Mitarbeit des Probanden abhängige Methode ist
die Durchführung des Atemstoßtests, der die Verminderung des maximal in einer Sekunde ausatembaren
Atemvolumens in Prozent der Vitalkapazität anzeigt (FEV1). Die Totalkapazität ist vermehrt.
Röntgenologisch fallen überhelle Lungenfelder, abgeflachte Zwerchfelle und oft eine glockenförmige
Konfiguration des Brustkorbs auf. Es werden auch vorwiegend im Bereich der Unterfelder grobe,
unregelmäßige und streifige Verschattungen beobachtet. Die hochauflösende Computertomographie zeigt die
emphysematische Zerstörung der Alveolarstrukturen besonders eindrucksvoll, ist aber wegen ihrer im
Vergleich zum Gesamtorgan räumlich sehr beschränkten Aussagemöglichkeit und aus Gründen der Strahlen-
und Kostenbelastung für die Emphysemdiagnostik keine Standardmethode. Das klassische Bild einer mehr
oder weniger fein gemusterten Lungenfibrose gehört nicht zur obstruktiven Atemwegserkrankung.
Ätiologie
Die häufigste Ursache der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung ist die Einatmung von aggressiven
Stäuben und die damit verursachte Überforderung des intrapulmonalen Reinigungsmechanismus. Im
Vordergrund stehen die Rauchgewohnheiten. Auch die Einatmung von hohen Schadstoffkonzentrationen am
Arbeitsplatz begünstigt die Entwicklung einer obstruktiven Lungenerkrankung und eines Emphysems. Bekannt
ist dies schon seit langem für die Einwirkung von Cadmiumstäuben. In jüngster Zeit werden auch Häufungen
von Symptomen einer chronischen Atemwegserkrankung in Textil-, Bau- und Transportbetrieben sowie an
Schmelzöfen berichtet (1).
Chronische Bronchitis oder Emphysem als neue Berufskrankheit?
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben sich in den letzten Jahren dahingehend verdichtet, daß durch die
besonderen Einwirkungen im Steinkohle-Bergbau unter Tage in erheblich höherem Grade eine chronischobstruktive Bronchitis oder ein Lungenemphysem auftritt. Deshalb wurde vorgeschlagen, zukünftig unter
Nummer 4111 der Berufskrankheitenliste eine neue Berufskrankheit in den Anhang der für die Bundesrepublik
Deutschland geltenden Berufskrankheitenverordnung wie folgt aufzunehmen: "Chronisch-obstruktive
Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohle-Bergbau bei Nachweis der Einwirkung
einer kumulativen Feinstaubdosis von in der Regel 100 [(mg/m3) mal Jahre]". Die eingehende
wissenschaftliche Begründung liegt im Bundesarbeitsblatt veröffentlicht vor (Nummer 10: 1995; 39-45).
Jüngste Publikationen haben diesen Zusammenhang weiterhin bestätigt (4). Aus einer Reihe epidemiologischer
Untersuchungen ist ableitbar, daß bei dieser Personengruppe in der Regel nach einer kumulativen
Feinstaubdosis von 100 [(mg/m3) mal Jahre] gegenüber der übrigen Bevölkerung eine Risikoverdoppelung
eintritt, an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis oder an einem Emphysem zu erkranken. Die kumulative
Feinstaubdosis errechnet sich aus der Feinstaubkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz in mg/m3,
multipliziert mit der Anzahl der Expositionsjahre, bezogen auf 220 verfahrene Schichten zu je acht Stunden.
Jeder Arzt und Zahnarzt in der Bundesrepublik ist verpflichtet, den begründeten Verdacht auf das Vorliegen
einer derartigen Berufskrankheit an die Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bochum) oder den zuständigen
Landesgewerbearzt anzuzeigen. Zu beachten bleibt aber die in der Legaldefinition enthaltene Voraussetzung,
wonach es sich um eine langjährige Unter-Tage-Tätigkeit im Steinkohle-Bergbau gehandelt haben muß.
Therapie
Zunächst stehen die Beendigung der Rauchgewohnheiten und Staubschutzmaßnahmen an erster Stelle.
Während beim Asthma der Einsatz inhalierbarer Kortikosteroide für die Entzündungsbekämpfung zum
Standard gehört, ist der therapeutische Nutzen dieser Wirkstoffgruppe für die chronisch-obstruktive
Lungenerkrankung noch nicht gesichert. Es mehren sich Mitteilungen, die auch für diese Indikation den
erfolgreichen Einsatz von Kortikosteroiden berichten (2). Meist kommt man mit der inhalativen Applikation
aus. Hilfreich ist eine täglich mehrfache Inhalationsbehandlung mit aerosolisierter isotonischer
Kochsalzlösung, wobei die Tröpfchengröße zwischen ein und fünf µm Durchmesser betragen sollte. Die
Behandlung der Bronchialobstruktion erfolgt ferner durch die zunächst inhalative, wenn notwendig auch
perorale Verabreichung von Beta-Sympathikomimetika, schließlich auch von Theophyllin-Präparaten.
Infektbedingte Exazerbationen erfordern die vorübergehende Verabreichung von Antibiotika. Für schwere
Erkrankungsformen mit arterieller Hypoxie kommen eine Sauerstofflangzeitbehandlung, eine intermittierende
Selbstbeatmung, im Extremfall eines Lungenemphysems auch Lungenvolumen-vermindernde Operationen und
die Lungentransplantation in Betracht.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-235–236
[Heft 5]
Literatur
1. Burge PS: Occupation and chronic obstructive pulmonary disease (COPD). Eur
Respir J 1994; 7: 1032-1034
2. Guia de TS: Inhaled corticosteroids in COPD. Chest 1995; 108: 1486-1587
3. Lauber B: Sozialmedizinische Daten zu chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen in der
Bundesrepublik Deutschland. Atemw-Lungenkrkh 1996; 22: 63-72
4. Lewis S et al: A cross-sectional study of the independent effect of occupation on lung function in British coal
miners. Occup Environ Med 1996; 53: 125-128
5. Nolte D: Chronische Bronchitis – eine Volkskrankheit multifaktorieller Genese. Atemw-Lungenkrkh 1994;
20: 260-267
6. Siafakas NM et al: Optimal assessment and management of chronic obstructive pulmonary disease (COPD),
ERS-Consensus statement. Eur Respir J 1995; 8: 1398-1420
7. Wettengel R et al: Empfehlungen der deutschen Atemwegsliga zur Behandlung von Patienten mit chronischobstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem. Med Klinik 1995; 90: 3-7
Anschriften der Verfasser:
Prof. Dr. med. Günter Fruhmann
Vorstand von Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin,
Klinikum Innenstadt, und
Leiter der Pneumologischen Abteilung, Klinikum Großhadern der
Ludwig-Maximilians-Universität München
Ziemssenstraße 1
80336 München
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz
Vorstand von Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin der
Justus-Liebig-Universität Gießen
Aulweg 125/III 35392 Gießen
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