ArchivDeutsches Ärzteblatt44/2005Identitätskrise: Zweiklassenmedizin ist menschenverachtend
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LNSLNS Herr Kollege Jaumann preist die Vorteile von privat Krankenversicherten gegenüber gesetzlich Versicherten mit den Worten: „Schnellere Terminvergabe für Untersuchungen und Operationen, freie Arztwahl, Verordnung innovativer Medikamente sowie intensivere Zuwendung im Patienten-Arzt-Gespräch“ sowie „Sonder-Sprechstunden für Privatversicherte“. Er erfreut sich damit an einer allgegenwärtigen Zweiklassenmedizin. Wenn aufgrund der Zahlungskraft der Menschen die einen während des Wartens auf einen Diagnostiktermin Metastasen entwickeln, die anderen sofort operiert werden können, so ist das menschenverachtend. Wenn aufgrund einer Versicherungszugehörigkeit Menschen Nebenwirkungen, z. B. bei einer Chemotherapie, in Kauf nehmen müssen, wäh-
rend andere innovative Medikamente, z. B. gegen Erbrechen, erhalten, so ist das nur mit Unaufrichtigkeit gegenüber dem Patienten und verdrängender Rechtfertigung gegenüber dem eigenen Gewissen möglich. Wenn Menschen Termine nach anderen Kriterien als nach Dringlichkeit, Medikamente nach anderen Kriterien als Notwendigkeit und Indikation erhalten, menschliche Zuwendung des Arztes nicht durch die Erfordernisse der Situation und intrinsisch-empathisch motiviert ist, sondern durch die PKV-Karte getriggert wird, so kann niemand mehr Vertrauen in unser System haben: nicht der gesetzlich Versicherte, weil er nie wissen kann, ob ihm Leistungen vorenthalten werden, und auch nicht der Privatversicherte, weil er als zahlungskräftiger „Kunde“ Anlaufstelle für vielerlei Werbung für Leistungen und Zusatzleistungen ist, über deren tatsächlichen Nutzen er wenig oder nichts weiß. Und wir Ärzte selbst? Werden wir noch unterscheiden können zwischen menschlichen, fachlichen und wirtschaftlichen Handlungsanreizen, wenn der eigene Vorteil oder gar die Stelle beziehungsweise das wirtschaftliche Überleben davon abhängt?
Luzia Mittermaier, Michael-Burgau-Straße 9, 93049 Regensburg

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