ArchivDeutsches Ärzteblatt48/2005Arbeitszeitgesetz: Arzt „alter Schule“
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Foto: Eberhard Hahne [m]
Foto: Eberhard Hahne [m]
. . . Als ich 1965 meine Tätigkeit in der Klinik begann, war es selbstverständlich, dass wir bei einer offiziellen Arbeitszeit von 48 Stunden tatsächlich täglich 11 bis 12 Stunden – dazu Samstag bis mittags gearbeitet haben. Es galt für uns auch der Zwang des Normativen, und wir fühlten uns zu dieser Hingabe aber nicht gezwungen. Unser Motiv war, die uns anvertrauten Patienten optimal zu versorgen. Außerdem hatten wir das Bedürfnis, möglichst viel zu lernen – nach einem Lebenssinn haben wir uns dabei nicht gefragt. Unser Ziel war es, ein möglichst guter Arzt zu werden. Häufig haben wir auch bis tief in die Nacht gearbeitet – sei es an der Dissertation, später an Forschungsprojekten, an Veröffentlichungen, an der Vorbereitung von Vorträgen und Fortbildungskursen. Wir empfanden es dabei als Privileg, an einer bekannten Klinik arbeiten zu dürfen. Ab 1977 – aus der Sicht des Chefarztes – haben unsere Ärzte es akzeptiert, täglich ein bis zwei Stunden über die vorgesehene Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Durch ein bis zwei Nachtdienste hat sich das Einkommen der Ärzte ganz wesentlich erhöht, da wir 24 bis 36 Stunden durchgearbeitet haben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dies ohne große Probleme möglich ist. Bis Ende der 1990er-Jahre hatten wir ein Überangebot an jungen Kli-
nikärzten, die eine Stelle suchten – sie waren dankbar, wenn sie eingestellt wurden – auch unter der Bedingung, täglich (ohne Vergütung) zwei Stunden Mehrarbeit zu leisten. Dabei ging es darum, nicht nur Personalkosten zu sparen, sondern um eine umfassende
Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Wenn das Arbeitszeitgesetz jetzt zu Schichtdiensten zwingt, bedeutet dies für die Patienten zweifellos eine Verschlechterung – außerdem führt es zu einer Senkung der Effizienz der ärztlichen Arbeit. Die Problematik langer Arbeitszeiten betrifft übrigens nicht nur die Klinikärzte, sondern auch die niedergelassenen Kollegen. Viele können von einem zehnstündigen Arbeitstag nicht einmal träumen. Lange Arbeitszeiten kollidieren offensichtlich mit dem heutigen Anspruch auf Lebensgenuss. Da die Wertschätzung des ärztlichen Ethos nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Ärzten zurückgegangen ist, sind diese nicht mehr bereit, eigene Bedürfnisse hintanzustellen und länger zu arbeiten, als es in anderen Berufen üblich ist. Auch wenn den Ärzten die oberste Leitung der Kliniken genommen wurde und wenn ihnen etwas von ihrem Sozialprestige abhanden kam, so sollte dies kein Grund sein, jetzt eine Arbeitszeit wie in der Klinikverwaltung zu fordern – das heißt von acht bis 16 Uhr. Wir stützen ja unser ärztliches Ethos teilweise darauf, dass wir ohne Rücksicht auf eigene Interessen uns voll engagieren, um anderen Menschen zu helfen. Ich bin sicher, dass die Ärzte „alter Schule“ durchaus nicht ausgestorben sind und dass diese in ihrer Arbeit einen außerordentlich befriedigenden Lebensinhalt sehen.
Dr. med. Uwe Kleen, Fallmeisterweg 1, 91438 Bad Windsheim

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Stellenangebote