ArchivDeutsches Ärzteblatt49/2005Arzneimittelimitate: Lifestyle-Medikamente – im Visier der Fälscher

POLITIK

Arzneimittelimitate: Lifestyle-Medikamente – im Visier der Fälscher

Hibbeler, Birgit; Korzilius, Heike

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Gefälschte Arzneimittel sind hauptsächlich ein Problem der Entwicklungsländer. Doch das Internet öffnet Kriminellen ein Einfallstor zu den regulierten Märkten der Industriestaaten.

In einer Plastikschüssel auf dem Kopf transportiert eine junge Afrikanerin ein Sammelsurium an Arzneimitteln – lose Medikamenten-Blister und Faltschachteln ordentlich hintereinander gereiht. Sie wird diese Medikamente auf dem Markt verkaufen wie andere Leute Obst und Gemüse. Wahrscheinlich verfügt sie selbst über keinerlei pharmazeutische Kenntnisse, ebenso wahrscheinlich ist es, dass ein Großteil ihres Warenangebots aus Fälschungen besteht – pharmazeutischer Alltag in vielen Entwicklungsländern.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA schätzt, dass es sich bei bis zu 25 Prozent aller Medikamente, die in Entwicklungsländern vertrieben werden, um Fälschungen oder Präparate minderer Qualität handelt. Gefälscht werden in erster Linie Antibiotika, Malaria-, Tuberkulose- und HIV-Präparate, also Medikamente gegen lebensbedrohliche Erkrankungen. Eine Studie, die der Lancet im Jahr 2003 veröffentlicht hat, ergab beispielsweise, dass bis zu 40 Prozent der Artesunate-Präparate keinen Wirkstoff enthalten und damit keine therapeutische Wirkung entfalten können. Die Präparate gelten als Mittel der Wahl gegen resistente Formen der Malaria. Von den rund eine Million Menschen, die jährlich an Malaria sterben, könnten 200 000 gerettet werden, wenn die verfügbaren Medikamente wirksam und von guter Qualität wären und korrekt angewendet würden, folgert die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Den Weg in die Medien finden nur die spektakulärsten Fälle. So starben 1995 während einer Meningitis-Epidemie in Niger 2 500 Menschen an einem gefälschten Impfstoff. Mit Frostschutzmittel versetzter Hustensaft verursachte im selben Jahr in Haiti 89 Todesfälle, drei Jahre später starben 30 Kinder in Indien ebenfalls an gepanschtem Hustensaft.
Armut, ein nur mangelhaft funktionierendes öffentliches Gesundheitswesen sowie kaum regulierte Arzneimittelmärkte öffnen den Fälschern Tür und Tor. „Von Fälschungen ist in erster Linie der Selbstmedikationsmarkt betroffen“, sagt Dr. Richard Jenke vom German Pharma Health Fund (GPHF), einer Entwicklungshilfeinitiative der forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland. „Und der beträgt in manchen Entwicklungsländern 80, 90 oder 100 Prozent des Arzneimittelmarktes.“ Der Bedarf an Medikamenten ist groß, die Preise sind für die meisten Kranken in Afrika, Asien und Lateinamerika unerschwinglich. Ihnen bleibt nur der Schwarzmarkt, wo sie in vielen Fällen wirkstofffreie, unter- oder überdosierte, verunreinigte oder abgelaufene Präparate erhalten. Die Folgen: Resistenzentwicklungen, Gesundheitsschädigungen, Todesfälle.
Um Fälschungen auch unter einfachsten Bedingungen auf die Spur zu kommen, hat der GPHF ein Minilabor entwickelt, das in zwei Reisekoffer passt. Nach Angaben Jenkes sind inzwischen rund 200 der so genannten Minilabs in 40 Ländern im Einsatz, unter anderem auch in mehreren afrikanischen Staaten im Rahmen des „Roll-Back- Malaria-Programms“ der WHO.
Lukratives Geschäft
Die UN-Organisation beschäftigt sich seit Mitte der 80er-Jahre mit dem Thema Medikamentenfälschungen. Das Geschäft mit den Imitaten ist lukrativ. Die Nachfrage nach den vermeintlichen Arzneimitteln ist hoch, die Produktionskosten sind gering – insbesondere dann, wenn statt eines Wirkstoffs Mehl oder Backpulver in Tablettenform gepresst werden. Da in den meisten Entwicklungsländern mangels Ressourcen weder die Arzneimittelqualität noch die Vertriebswege effektiv überwacht werden können, ist für die Fälscher auch die Gefahr, entdeckt und bestraft zu werden, gering. Derzeit verfügen von den 191 Mitgliedstaaten der WHO nur rund 20 Prozent über eine effektive Arzneimittelgesetzgebung und
-überwachung. In 50 Prozent der Staaten befindet sich ein Regulierungssystem in verschiedenen Stadien des Aufbaus, bei den restlichen 30 Prozent kann von systematischer Arzneimittelüberwachung keine Rede sein. So weit die Situationsanalyse der WHO.
Die Organisation hat 1999 Leitlinien veröffentlicht, die betroffenen Staaten helfen sollen, gegen Fälschungen vorzugehen. Neben öffentlichen Informations- und Aufklärungskampagnen geht es dabei in erster Linie darum, Strukturen zu schaffen, die ein hohes Maß an Arzneimittelsicherheit gewährleisten. Dazu gehört aus Sicht der WHO eine entsprechende Gesetzgebung ebenso wie eine effektive Behördenstruktur. Inzwischen gibt es offenbar erste Fortschritte zu verzeichnen. Im vergangenen Jahr habe die chinesische Arzneimittelbehörde – das Land wird neben Nigeria, Indien und Russland immer wieder als eine der Drehscheiben im internationalen Handel mit gefälschten Medikamenten genannt – 1 300 illegale Produktionsstätten geschlossen und Fälschungsfälle mit einem Warenwert von rund 57 Millionen US-Dollar untersucht, so die WHO.
Doch Arzneimittelfälschungen sind nicht mehr nur ein Problem der Entwicklungsländer. Ende November 2003 meldet der 47-jährige Thomas W. beim Landratsamt im bayerischen Dillingen ein Gewerbe an. Der arbeitslose Hausmeister teilt der Behörde als Tätigkeitsfelder „freischaffender Künstler, Warenannahme und -ausgabe von Naturheilmitteln und Medikamenten“ mit. Im März 2004 stellt das Landratsamt bei einer gewerberechtlichen Kontrolle fest, dass Thomas W. in einem Büroraum große Mengen verschreibungspflichtiger Medikamente lagert. Bei der anschließenden Durchsuchung beschlagnahmt die Kriminalpolizei Arzneimittel im Wert von mehr als einer Million
Euro, darunter die potenzfördernden Präparate Viagra, Cialis und Levitra, das Haarwuchsmittel Propecia, außerdem Reductil zur Gewichtsreduktion und das Raucherentwöhnungsmittel Zyban. Sämtliche Medikamente sind Totalfälschungen, das heißt, Präparat und Verpackung sind gefälscht. Schnell wird klar, dass W. nur ein kleines Rad in einem weit verzweigten Vertriebssystem ist. Seine Aussage führt die Staatsanwaltschaft Augsburg zum Drahtzieher, dem US-Amerikaner Dr. Richard Adler. Der 67-jährige Arzt hatte die Präparate über das Internet angeboten und Thomas W. mit dem Versand beauftragt. Dieser hatte seinerseits bereits 2 000 Kunden in Deutschland beliefert. Verschickt wurden die Tabletten in kleine Plastiksäckchen eingetütet – ohne Verpackung, ohne Beipackzettel und ohne ärztliches Rezept. Das Amtsgericht erlässt wegen Verstoßes gegen das Arzneimittel- und Markengesetz, außerdem wegen Betruges Strafbefehl gegen Adler. Eine Geldstrafe von 720 000 Euro wird festgelegt. Zwei Konten mit einem Guthaben von 74 000 Euro werden beschlagnahmt. Adler selbst, der sich auf Mallorca aufhalten soll, tritt nicht in Erscheinung. Er lässt sich von einer Münchener Anwaltskanzlei vertreten.
Hohe Dunkelziffer
Beispiel Nigeria: Medikamente sind wie Obst und Gemüse im Straßenverkauf zu haben. Foto:AP
Beispiel Nigeria: Medikamente sind wie Obst und Gemüse im Straßenverkauf zu haben. Foto:AP
Dillingen ist ein Musterfall. Während in Entwicklungsländern bevorzugt Antibiotika, Chemotherapeutika, Entzündungshemmer und Analgetika im Visier von Kriminellen stehen, findet man in den Industriestaaten vorwiegend Imitate von so genannten Lifestyle-Medikamenten. Der Markt ist lukrativ, denn die Präparate sind teuer und werden, zumindest in Deutschland, nicht von den Krankenkassen erstattet. Das Potenzmittel Viagra beispielsweise hält die WHO für eines der am häufigsten gefälschten Medikamente weltweit. Allein im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Herstellers Pfizer zehn Millionen gefälschte Viagra-Tabletten von Behörden beschlagnahmt worden. Der Schaden belaufe sich auf zweistellige Millionensummen.
Auf etwa 29 Milliarden Euro Umsatz beziffert der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie die globale Arzneimittelfälschungsindustrie in einem Positionspapier. Es sei jedoch unmöglich, die wahren Ausmaße des Handels mit gefälschten Medikamenten abzuschätzen, denn in Europa tauchten Fälschungen hauptsächlich jenseits der offiziellen Pharmavertriebswege auf.
Angesichts solcher Summen verwundert es nicht, dass die betroffenen Pharmafirmen in die Offensive gehen. Im Sommer haben Pfizer, MSD, Lilly, Hoffmann-LaRoche, GlaxoSmithKline und Abbot in einem Brief den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt um Unterstützung im Kampf gegen Arzneimittelfälschungen gebeten. Bei einem anschließenden Treffen waren auch Vertreter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes zugegen. Die Öffentlichkeit sollte ebenfalls auf das Problem aufmerksam gemacht werden. Das war nicht immer so. In der Vergangenheit waren viele Firmen um Diskretion bemüht, wenn Fälschungen ihrer Präparate auf dem Markt auftauchten. Zu groß war die Furcht vor Imageschäden, der Verunsicherung von Ärzten und Patienten und daraus resultierenden Umsatzeinbußen. In den großen Konzernen ermitteln die eigenen Security-Abteilungen.
„Das Problem wächst. Wir müssen Verbraucherschutz betreiben“, erklärt MSD-Sprecher Michael Winnebeck die neue Offenheit. Die Firma ist mit ihrem Haarwuchsmittel Propecia von Fälschungen im lukrativen „Lifestyle-Markt“ betroffen. Einfallstor für die Imitate ist das Internet. „Das Geschäft läuft diskret ab – ohne Rezept, ohne Arzt, ohne Apotheker.“ Im Fall Dillingen wurde das gefälschte Propecia, getarnt in Hundefutterbehältern, aus China geliefert. „Die Tabletten kann man in jedem Labor herstellen“, sagt Winnebeck. Was hinterher als Propecia verkauft wird, ist „schwankende Ware“: ohne Wirkstoff, unter- oder überdosiert – alles sei möglich.
Spitzenreiter Viagra
Fall Dillingen: Beschlagnahmte Ware im Wert von einer Million Euro Foto: MSD
Fall Dillingen: Beschlagnahmte Ware im Wert von einer Million Euro Foto: MSD
„Gefälscht wird prinzipiell alles“, sagt Prof. Dr. Harald Schweim von der Universität Bonn. Neben den Wirkstoffen seien Verpackungen und Beipackzettel betroffen. Auch die Verfallsdaten würden verlängert. Dabei werden die Fälschungen immer perfekter. Selbst ein Fachmann könne Original und Fälschung oft nur sehr schwer voneinander unterscheiden, so Schweim.
Dem Bundeskriminalamt (BKA) sind seit 1996 in der legalen Verteilerkette von Hersteller, Großhandel und Apotheke 36 Fälle von Arzneimittelfälschungen bekannt geworden, davon 27 mit Bezug zu Deutschland. Sie gelangten meist über den Großhandel in den Markt. Entdeckt wurden die Präparate unter anderem von Überwachungsbehörden und Apothekern. Ihre Herkunft war meist nicht eindeutig festzustellen und ihr Weg nicht lückenlos nachvollziehbar. Dem BKA zufolge gibt es jedoch Hinweise darauf, dass die Medikamente aus Osteuropa, Südostasien und Südafrika stammten. In den meisten Fällen handelte es sich um illegale Reimporte in gefälschter Verpackung, also Arzneimittel, die zum Export aus der Europäischen Union bestimmt waren, dann aber in gefälschter Aufmachung auf den deutschen Markt gelangten. Auch HIV-Präparate und Antibiotika waren unter den beschlagnahmten Produkten. In der Regel enthielten die Präparate einen reduzierten Substanzgehalt. Völlig wirkungslose oder gesundheitsgefährdende Medikamente sind innerhalb der legalen Verteilerkette bislang in Deutschland nicht aufgetaucht.
Im vergangenen Jahr hat der Zoll in 29 Fällen gefälschte Medikamente aufgegriffen. Bis Ende September 2005 waren es schon 43 Fälle. Die Präparate gingen den Zollbeamten in der Regel im Rahmen der Abfertigung von Post- und Luftfrachtsendungen ins Netz. In rund 90 Prozent der Fälle handelte es sich um Viagra-Fälschungen. Rund 50 Prozent der Funde stammten aus Indien. Weitere Ursprungsländer waren Ägypten, China, Thailand, Indonesien und die USA.
Mit der 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes hat der Gesetzgeber im Jahr 2004 erste Schritte eingeleitet, um dem wachsenden Problem der Medikamentenfälschungen zu begegnen. Seither ist die Fälschung von Arzneimitteln und deren Vertrieb ein eigenständiger Straftatbestand. Die Delikte konnten zuvor lediglich als Produktpiraterie verfolgt werden. Als Fälschungen gelten Arzneimittel, die „hinsichtlich ihrer Identität oder Herkunft falsch gekennzeichnet“ sind. Wer solche Arzneimittel herstellt oder in Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.
Eine weitere wichtige Änderung: Der Großhandel mit Medikamenten ist jetzt genehmigungspflichtig. Damit verbunden ist auch eine behördliche Überwachung der Betriebe.
„Die 12. AMG-Novelle ist ein guter Ansatz“, urteilt Michael Winnebeck aus der Sicht der Pharmaunternehmen. „Das Problem ist derzeit noch die Umsetzung.“ Wie bei den übrigen Wirtschaftsdelikten müssten die Strafverfolgungsbehörden Schwerpunkte bilden. Staatsanwälte und Kriminalbeamte müssten sich im Fach „Arzneimittelkriminalität“ spezialisieren, um eine effektive Strafverfolgung betreiben zu können.
Für die Überwachung der am Arzneimittelhandel beteiligten Betriebe und Einrichtungen sind die Bundesländer zuständig. Die Aufgabenverteilung ist allerdings von Land zu Land unterschiedlich. Das Bundesgesundheitsministerium gibt in einem „Verzeichnis der für den Vollzug des Arzneimittelgesetzes zuständigen Behörden, Stellen und Sachverständigen“ auf 70 DIN-A4-Seiten einen Überblick über die Zuständigkeiten. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise überprüfen die Bezirksregierungen die Hersteller, Vertriebsunternehmer und den Großhandel. Für die Kontrolle der Apotheken sind die Landkreise und Städte verantwortlich. Außerdem verpflichtet die „Apothekenbetriebsordnung“ die Apotheker zu stichprobenweisen Prüfungen von Fertigarzneimitteln.
Risiko Internet
Medikamente, die in Deutschland über die legale Verteilerkette vertrieben werden, hält Prof. Dr. rer. nat. Volker Dinnendahl, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, deshalb für sicher. „In Deutschland ist es relativ schwierig, Arzneimittelfälschungen in den legalen Markt zu bringen“, betont Dinnendahl. An ein erhöhtes Risiko durch Re- und Parallelimporte glaubt er nicht. Nach Ansicht des Apothekers werden die offiziellen, seriösen Händler schon aus Eigeninteresse alles daransetzen, dass keine Fälschungen nach Deutschland gelangen. Für Dinnendahl liegt das größte Risiko im Internethandel – eine Einschätzung, die auch Schweim teilt. Der hält es für einen Fehler, dass der Gesetzgeber mit der Gesundheitsreform 2004 den Versandhandel von Medikamenten und damit auch den Vertrieb über das Internet erlaubt hat. Man müsse neu überdenken, ob die Freigabe des Warenhandels ein höheres Gut darstelle als die Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung. „Das Internet ist praktisch nicht kontrollierbar“, kritisiert Schweim.
Zumindest um Kontrolle bemüht, beobachtet neben den zuständigen Landesbehörden auch der Zoll den Internethandel. Die Landeskriminalämter und das BKA führen ebenfalls Recherchen in den Datennetzen durch, sowohl in konkreten Verdachtsfällen als auch anlassunabhängig. Seit einem Beschluss der Innenministerkonferenz von 1998 sucht die „Zentralstelle für anlassunabhängige Recherchen in Datennetzen“ des BKA im Internet nach strafrechtlich relevanten Inhalten. Im Mittelpunkt steht dabei allerdings der Bereich Kinderpornographie. Arzneimittelfälschungen spielen (noch) eine untergeordnete Rolle. Dass es Überlegungen gibt, die Beobachtung des Arzneimittelhandels im Internet zu zentralisieren, bestätigte Dr. Undine Soltau gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Die endgültige Entscheidung darüber stehe jedoch noch aus, räumte die Direktorin der „Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten“ ein.
China: Viagra-Imitat zwischen Kondomen und Tütensuppe Foto:AP
China: Viagra-Imitat zwischen Kondomen und Tütensuppe Foto:AP
Rückschlüsse auf die Lukrativität des illegalen Arzneimittelmarktes im Internet lässt die Zahl der so genannten Spam-Mails zu. Mit einem Anteil von 41,4 Prozent sind Arzneimittel Spitzenreiter im Geschäft mit dem Werbe-Müll. Das ergab eine Auswertung des Software-Anbieters Sophos von August dieses Jahres. Diesen Trend bestätigt auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der eine eigene Beschwerdestelle für Werbemüll-Empfänger eingerichtet hat. „Unter den 7 000 bis 8 000 Beschwerden, die täglich bei uns eingehen, ist der Anteil, der die Medizin betrifft, besonders hoch“, sagt Carola Elbrecht vom vzbv. Da die meisten Medikamenten-Mails jedoch von ausländischen „Spammern“ stammten, sei die Rechtsverfolgung schwierig. „Wir konzentrieren uns zurzeit auf mutmaßlich deutsche Absender.“
„Grundsätzlich gilt: Hände weg von weltweit operierenden Internethändlern“, sagt vzbv-Abteilungsleiter Thomas Isenberg. Vorsicht sei geboten, wenn keine Adresse identifizierbar und kein telefonischer Kontakt zum Anbieter möglich sei. Auch die zuständige Aufsichtsbehörde und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sollten ersichtlich sein. Für bedenklich hält Isenberg Anbieter, die sich nicht an die Rezeptpflicht halten. Der Verbraucherschützer fordert Maßnahmen, die es den Kunden erleichtern, seriöse Angebote zu identifizieren. Transparenz könne etwa durch die Vergabe eines Siegels geschaffen werden, möglichst nach einheitlichen europäischen Gütekriterien.
Versandapotheken haben in Deutschland bislang die Möglichkeit, das Siegel des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken zu erwerben. Die Voraussetzungen dafür sind identisch mit denen, die der Gesetzgeber für die Zulassung einer Versandapotheke vorsieht. Allerdings wolle man das Siegel weiterentwickeln und in den Anforderungen noch über die gesetzlichen Auflagen hinausgehen, betont Verbandsvorsitzender Johannes Mönter. Rund 15 Versandapotheken haben bislang das Siegel erworben. Da in Deutschland der Versandhandel per Internet nur von Betreibern einer Offizinapotheke angeboten werden darf, dürfte es sich hier allerdings in der Regel ohnehin um vertrauenswürdige Anbieter handeln.
Doch auch die Industrie ist gefordert, Originalpräparate besser zu kennzeichnen. Die meisten Arzneimittel sind bislang lediglich mit einem Strichkode, der Chargennummer und dem Verfallsdatum markiert. Neu ist die Kennzeichnung mit Hologrammen, die Biokodierung durch DNA-haltige Etiketten oder das Aufbringen von Transpondern. Dabei handelt es sich um elektronische Chips, die nach dem Prinzip der Radiofrequenzidentifikation (RFID) arbeiten. Sie sollen es künftig ermöglichen, den Weg eines Arzneimittels vom Hersteller bis zum Patienten zu verfolgen. Befürworter der RFID-Technik ist unter anderem die FDA. Geradezu banal erscheint im Vergleich der Vorschlag der „EU Patient Safety Packaging Initiative“, Arzneimittelverpackungen künftig zu verkleben. Nach dem Öffnen reißen die Verpackungen ein, bei erneutem Verkleben tritt eine Farbreaktion auf. So können Medikamente nicht, wie bisher, beliebig umgepackt werden. Bleibt schließlich der Rat des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie: „Der sichere Weg geht über die Apotheke!“
Dr. med. Birgit Hibbeler, Heike Korzilius


Arten von Fälschungen
Nach § 8 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln versteht man unter Fälschungen „hinsichtlich ihrer Identität oder Herkunft falsch gekennzeichnete Arzneimittel“.

Typen von Fälschungen
- gefälschter Wirkstoff in Originalverpackung
- Originalpräparat in gefälschter Verpackung (Originalverpackung wird für den Vertrieb anderer Fälschungen eingesetzt)
- Totalfälschung, bei der Präparat und Verpackung gefälscht sind

Gefälschte Präparate enthalten
- einen reduzierten Wirkstoffgehalt
- einen falschen Wirkstoff
- keinen Wirkstoff oder
- gesundheitsschädliche Substanzen.

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