ArchivDeutsches Ärzteblatt50/2005Private Krankenversicherung: Sinnvolles Nebeneinander

POLITIK

Private Krankenversicherung: Sinnvolles Nebeneinander

Uleer, Christoph

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LNSLNS Der Systemwettbewerb mit den gesetzlichen Kassen sollte erhalten bleiben. Die Zeit drängt, auch die Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen.

Die private Krankenversicherung (PKV) hat sich in den letzten Jahrzehnten zum unbestritten erfolgreichsten Kostenträger in Deutschland entwickelt und wird deshalb auch die Versicherungsart mit dem größten Rentneranteil werden. Die Frage ist allerdings, ob die begehrlichen Blicke mancher Politiker auf die zukunftssichere Aufstellung der PKV mit einem Kapitalstock von rund hundert Milliarden Euro und auch die Tendenzen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Selbstbedienung bei der PKV dazu führen könnten, ihr die Zukunft zu verbauen – oder ob die Ernüchterungen der Bundestagswahl im Gegenteil die Chance bieten, zukunftsweisend die Stärken von GKV und PKV zu kumulieren.
Verbleibende Teile der Wahlkonzepte
Eine die Zukunft der PKV gefährdende Leitidee muss man in der Konzeption der SPD und der Grünen zur Bürgerversicherung sehen. Nichts anderes gilt für den von der CDU entwickelten Gedanken einer Gesundheitsprämie, für die in den Vorwahlzeiten 107 Euro pro Bürger genannt wurden, ein vom Staat zu subventionierender Einheitsbeitrag, gegen die eine risikogerecht kalkulierende PKV keine Chance hätte. Beide Vorstellungen sind nun im Kern vom Tisch. Die Geschwindigkeit, mit der dies geschah, ist besonders bei der Gesundheitsprämie bemerkenswert, sicher ein Zeichen dafür, dass sie, anders als die SPD-Vorstellungen von der Volksversicherung, in der CDU ordnungspolitisch geschichtslos war.
Natürlich sind von den Gesamtkonzepten genug Rudimente übrig geblieben, die eine große Koalition in der beginnenden Legislaturperiode reichlich beschäftigen dürften. Wie schon vor drei Jahren dürfte die SPD mit einer zusätzlichen Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze liebäugeln, unter Inkaufnahme einer damit verbundenen Austrocknung der PKV. Sie könnte auch weiter den Ansatz verfolgen, GKV und PKV für den Neuzugang gleichzuschalten, jedem das Recht einzuräumen, zwischen GKV und PKV wählen zu können und aufgenommen zu werden. Keineswegs abwegig und sogar situationsgerecht weiterführend wäre es, wenn sie an dem Gedanken festhalten würde, neben den Lohneinkommen auch die sonstigen Einkünfte in die Beitragsbemessung mit einzubeziehen und die Beitragsfreiheit nicht berufstätiger Ehefrauen zur Disposition zu stellen.
Die CDU wiederum könnte versucht sein, der PKV künstliche Wettbewerbselemente zu implantieren und sie trotz der schlechten Erfahrungen der Kassen mit dem Finanzausgleich in diese Richtung zu drücken und zu verpflichten, beim Versicherungswechsel Alterungsrückstellungen mitzugeben.
Spannend wäre es zu erfahren, was die Versicherten selbst von solchen vermeintlichen Patentrezepten halten. Vermutlich würden nämlich neue Versicherte, wenn ihnen das Recht der Wahl zwischen Tarifen mit und ohne transportable Rückstellungen eingeräumt würde, der langfristigen Sicherheit (ohne die Gefahr, dass junge Versicherte große Teile des Kapitals mitnehmen) den Vorzug vor der Nutzung kurzfristiger Beitragsschwankungen geben. Es ist auch nicht abwegig, dass Wettbewerbsverfechter auf die Idee kommen könnten, der GKV das Recht zum Angebot von Wahltarifen anzubieten, sicher zum Erstaunen der europäischen Wettbewerbsbehörden, die den Deutschen doch soeben die vergleichsweise harmlosen Machenschaften bei den Landesbanken untersagt haben. Ebenso wie die SPD könnte aber auch die CDU ein wesentliches positives Element ihrer Pläne weiterverfolgen, nämlich die Entlastung bei den Lohnnebenkosten, sei es durch die Festschreibung des Arbeitgeberanteils oder durch noch weitergehender Schritte.
Angesichts der Tatsache, dass die alte Gesundheitsministerin auch die neue ist, dürfte in der weiteren Reformdebatte auch ihr Vorschlag eine Rolle spielen, die private und die gesetzliche Pflegeversicherung zusammenzulegen und damit auch die 14 Milliarden Euro individueller Alterungsrückstellungen der privaten Pflegeversicherung (PPV) und die aus den Anfangsüberschüssen erwachsenen globalen Rückstellungen der sozialen Pflegeversicherung (SPV) von weniger als zwei Milliarden Euro schlicht zu vermischen.
Was nun könnte angesichts dieser Gemengelage an Reformbestrebungen und -notwendigkeiten politisch getan werden?
An den Stärken des deutschen Systems anknüpfen
Zunächst sollten sich die ernüchterten Politiker darauf konzentrieren, bei den erforderlichen weiteren Reformen wieder den Einklang mit den Stärken des deutschen Systems zu suchen. Eine Stärke unseres gegliederten Schutzes besteht darin, dass es nicht auf einem reinen Umlageverfahren beruht, sondern den anderen Industriestaaten den Umstand voraus hat, dass immerhin zehn Prozent der Bevölkerung über einen kapitalgedeckten Gesundheitsschutz verfügen. Würde er mit der Schwächung der PKV reduziert, dann würden die Beiträge der schmalen jungen Generation von morgen noch mehr belastet werden. Schließlich würde auch die Qualität unseres Gesundheitswesens, das immer noch eine Spitzenstellung einnimmt und Wartezeiten wie in vielen Nachbarländern nicht kennt, mit dem Verschwinden des Systemwettbewerbs zwischen GKV und PKV kräftig Schaden nehmen.
Übersehen wird regelmäßig, dass sich unser Gesundheitswesen trotz der Beitragssteigerungen der letzten Jahre durch eine relativ große Kostenstabilität auszeichnet. Die OECD verweist auf den vergleichsweise geringen Kostenanstieg der deutschen GKV als geradezu vorbildlich. Tatsächlich ist der Anteil der Kassenausgaben am Bruttoinlandsprodukt mit rund sieben Prozent seit 20 Jahren im Wesentlichen stabil geblieben. Bei der üblichen Darstellung des deutschen Gesundheitswesens als drittteuerstes der Welt wird fälschlicherweise immer nur der Ausgabenanteil von 10,7 Prozent am Bruttoinlandsprodukt genannt und ignoriert, dass der Kassenanteil, der allein relevant für die Lohnnebenkosten ist, viel niedriger liegt.
Nötig sind neue Wege der Zukunftssicherung
Ein zweiter Punkt wird in der neuen Legislaturperiode wichtiger denn je sein, nämlich die Herausforderung, das Gesundheitssystem zukunftssicherer zu machen, die GKV für die Bewältigung der demographischen Herausforderungen zu wappnen. Dass die PKV hier nicht ausgeblendet werden kann, ist klar. Der Grundgedanke unseres subsidiären Systems aus der GKV für jene Bürger, die eher des staatlichen Schutzes bedürfen, und der PKV für jene, die zur (prinzipiell teureren) Eigenvorsorge befähigt sind, verträgt durchaus einige Korrekturen.
Der PKV-Verband selbst hat Wege für ein weiterentwickeltes Nebeneinander aufgezeigt. Er hat sich bemerkenswerterweise offen für eine Neujustierung der Risikoverteilung zwischen GKV und PKV gezeigt, um dem Vorwurf, die PKV ziehe zulasten der GKV die guten Risiken an, offensiver gegenübertreten zu können. Ein Weg wäre natürlich die freie Wahl zwischen GKV und PKV ohne Gesundheitsprüfung, sei es für die Gesamtbevölkerung, wie es die Bürgerversicherungskonzepte vorsehen, sei es für den bisherigen Kreis der sozial nicht Schutzbedürftigen. Die dann auftauchenden Fragen wären allerdings die gleichen, die sich bei der gescheiterten Gesundheitsprämie ergeben hätten. Vor allem: Wer soll einspringen, wenn die Prämie für einen solchen Tarif mit Kontrahierungszwang zu teuer würde? Eine Analogie zu dem vor zehn Jahren von der PKV selbst entwickelten Standardtarif, der notfalls aus anderen Tarifen subventioniert werden kann, ist insoweit nicht möglich, da es dort darum ging, allen bereits privat Versicherten eine preiswerte Tarifalternative für den Fall des Einkommensabsturzes im Alter zu bieten. Die Befürworter der Bürgerversicherung werden einwenden, die PKV solle doch ebenso wie die Kassen einfach zu einkommensabhängigen Beiträgen übergehen, die Leistungen völlig einebnen und die Risiken durch Beteiligung am Finanzausgleich der GKV abfedern. Das wäre eine Rutschpartie. Dass zusätzlich die die PKV-Beiträge verteuernden Alterungsrückstellungen auf der Strecke blieben, wäre die logische Folge. Ausweglos ist die Offensiv-Strategie des PKV-Verbandes dennoch nicht, zumal nicht in der Pflegeversicherung. In der Krankenversicherung ist die Risikolage generell noch sehr unübersichtlich.
Subventionieren die Privaten das Gesundheitssystem?
Möglicherweise stellen die privat Versicherten nämlich dem Gesundheitswesen viel mehr Geld zur Verfügung, als sie zahlen würden, wenn sie lebenslang in der GKV geblieben wären. Das Wissenschaftliche Institut der PKV und der Verbandsvorsitzende Reinhold Schulte sprechen von Mehrzahlungen in Höhe von 8,5 Milliarden Euro jährlich. Aktuelle Vergleichszahlen über die möglichen Selektionsverluste der GKV gibt es nicht, sie dürften schon überschlagmäßig deutlich niedriger liegen. Eine Aufarbeitung ist geboten, ehe die Koalition zu voreiligen Schlüssen kommt.
Einigermaßen klar ist dagegen, welche finanzielle Dimension die die GKV in den nächsten Jahrzehnten bedrohenden demographischen Risiken haben. Der Dortmunder Professor Hof hat errechnet, dass ein Beitragszuschlag von zehn Prozent für den GKV-Bestand (und wohl auch zugunsten der GKV bei den Übertretern zur PKV, solange sie statistisch gute Risiken sind) notwendig wäre, um eine kollektive Rücklage zu bilden, die bis zum Jahre 2050 die rein demographisch bedingten Beitragsrisiken im Wesentlichen ausgleichen könnte. Eine politisch chancenlose Idee? Für die privat Versicherten ist ein solcher Zuschlag vom Gesetzgeber im Jahre 2002 ohne längeres Zögern eingeführt worden.
Viel transparenter und noch brennender ist die Lage in der Pflegeversicherung. Transparenter deshalb, weil die PKV hier keinerlei Überzahlungen zu leisten hat, und brennender, weil die Pflege letztendlich im Wesentlichen eine zusätzliche Altersvorsorge darstellt, die die kommende demographische Krise deshalb dramatisch verschärfen wird.
Nicht übersehen werden darf aber, dass die privat Versicherten auch in der Pflegeversicherung in den zehn Jahren ihres Existierens deutlich mehr an Beitragsvolumen aufgebracht haben, als sie gezahlt hätten, wenn sie in die SPV einbezogen worden wären. Dies zeigen allein die 14 Milliarden Euro an Rückstellungen, die die privat Versicherten zusätzlich zu ihrem Risikobeitrag finanzieren mussten. Sie sind versicherungsmathematisch so berechnet worden, dass sie die Altersabsicherung der heutigen Generation sicherstellen, unter entsprechender Entlastung der dünneren nächsten. Die ersten Jahrgänge der privat Pflegeversicherten haben damit einen doppelten Beitrag erbracht, nämlich zum einen für den Ausgleich des Risikos der schon Alten, die selbst keine Rückstellungen bilden konnten, und zum anderen für die eigene Absicherung. Sie waren daneben vom Gesetzgeber auch noch verpflichtet worden, die Finanzierung der 1,6 Millionen Versicherten der Spezialkrankenkassen von Bundesbahn und Bundespost zu übernehmen, die nach der Privatisierung keinen Nachwuchs mehr haben.
Ein Lösungsansatz
Solange die enormen Anfangsbelastungen zu schultern waren, gab es kaum politische Kommentare zur privaten Pflegeversicherung, zumal keine, die die großen Zukunftsanstrengungen gelobt hätten. Nunmehr, nachdem die Hauptlast geschultert ist und neue Mitglieder der privaten Pflegeversicherung beitragsmäßig um rund 30 Prozent günstiger dastehen als vor zehn Jahren, gerät die PPV in den Fokus der Kritik. Lösungen sollten sich aber auch hier finden lassen.
Der PKV-Verband hat bereits Hinweise gegeben, wie seitens der Privatversicherung die Kapitaldeckung zugunsten der SPV gefördert werden könnte. Er plädiert für eine obligatorische Zusatzversicherung zur Finanzierung eventueller künftiger Leistungsausweitungen. Mit ihr verbunden oder statt ihrer könnte ein Obligatorium zur Zukunftssicherung des Grundschutzes eingeführt werden. Der finanzielle Beitrag der Privaten könnte darin bestehen, dass sich die künftigen Übertreter zur PPV zusammen mit den Kassenmitgliedern am Aufbau dieses Kapitalstocks zur Entlastung der SPV beteiligen, solange sie bei Verbleib in der SPV dem Alter nach durchschnittlich gute Risiken geblieben wären. Ein Gedanke, der der PKV keineswegs fremd ist, da hier beim internen Wechsel über den Verlust der Alterungsrückstellungen ein Ausgleich zu zahlen ist. Wie hoch der von den Übertretern zu zahlende Abstand zu sein hätte, wäre zu prüfen. Ein Anhaltspunkt könnten die Beitragsersparnisse sein, die die Übertreter von heute im Vergleich zu denen von gestern haben. Der Kapitalstock könnte von den Versicherern nach festen mathematischen Prinzipien kollektiv zur Abfederung der kommenden demographischen Belastungen der SPV eingesetzt werden. Ein Weg, der zwar noch vieler Detailarbeit bedürfte, aber an die Vorzüge des deutschen Systems anknüpft und ordnungspolitisch und verfassungsrechtlich auch seriöser wäre als eine schlichte einmalige Vermischung der völlig unvergleichbaren Rückstellungen von SPV und PPV. Allerdings: Die Zeit drängt. In spätestens 20 Jahren ist die volle Krise da.
Der neue Bundestag und auch die Partner des Gesundheitswesens werden vor großen Herausforderungen stehen. Notwendig ist, über den Tellerrand des eigenen Interesses hinaus zu denken und dennoch nicht aus den Augen zu verlieren, was der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Hoppe, so formuliert hat: „Wir sollten nicht leichtfertig ein System der sozialen Sicherung über Bord werfen, das alle Katastrophen im letzten Jahrhundert überstanden hat und vielen Generationen Sicherheit in der Krankenbehandlung gegeben hat.“ Dr. jur. Christoph Uleer

Der Autor war bis Mitte 2002 Direktor und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V., Köln.

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