

Es gibt wenig Anhaltspunkte dafür, dass die alte und neue Ressortchefin Ulla Schmidt (SPD) richtig einzuschätzen weiß, welcher Unmut sich bei den Ärztinnen und Ärzen über die Bedingungen ihrer Arbeit in Klinik und Praxis angestaut hat. Hätte sie sonst mutwillig eine Neiddiskussion angestoßen, indem sie einer Absenkung der Privathonorare auf das Niveau der Gebührensätze der gesetzlichen Kassen das Wort redete? Plante sie sonst (unterstützt von der Union) mit der Festsetzung von Tagestherapiekosten einen Arzneimittelregress neuer Qualität und Schärfe? Hätten Landes- und Bundespolitiker begriffen, was Ärztinnen und Ärzte umtreibt, würden sie nicht die Geltung des Arbeitszeitgesetzes im Krankenhaus um ein weiteres Jahr hinausschieben.
So aber muss sich die Politik nicht wundern, wenn die Protestwelle durch das Land rollt. Sie wird von Klinikärzten wie Niedergelassenen gleichermaßen getragen. Die bisher nicht gekannte Breite der Mobilisierung wird daran deutlich, dass sich überall neue Initiativen bilden, in denen sich nicht nur diejenigen engagieren, die immer aktiv sind. Neu und für viele noch ungewohnt ist das Verständnis in der Bevölkerung und in der veröffentlichten Meinung für die Anliegen der Ärzte. Solange das so bleibt und nur so lange, besteht die Chance, echte Verbesserungen zu erreichen. Eine unbedachte Äußerung, ein Patient, der in einem „bestreikten“ Krankenhaus zu Schaden kommt, könnten das Blatt wenden – zuungunsten der Ärzteschaft. Nicht ausgeblendet werden kann außerdem die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage mit hoher Arbeitslosigkeit und einem Verlust an Kaufkraft.
All das nimmt den ärztlichen Forderungen nicht die Berechtigung. Aber es kommt auf das richtige Maß an, auf den richtigen Ton, eine differenzierte, aber klare Argumentation. Ärzte dürfen es den Politikern nicht durchgehen lassen, wenn die sich um die kritischen Punkte herumdrücken. Wenn beispielsweise Staatssekretär Klaus Theo Schröder im DÄ-Interview (Heft 51–52/2005) den Eindruck erweckt, im angeblichen Versagen der Selbstverwaltung von Krankenkassen, Krankenhausträgern und Ärzten liege der Kern des Problems, verschweigt er, dass diese unter Budgetbedingungen arbeiten muss, die der Gesetzgeber geschaffen hat.
Der medizinische Bedarf lässt sich nicht per Dekret festlegen. Ärzte sind verpflichtet, spätestens dann aufzubegehren, wenn eine gute Versorgung ihrer Patienten gefährdet ist. Niemandem sonst wird die Öffentlichkeit die Kompetenz zumessen, das zu beurteilen. Sollen Wartezeiten und graue Gesundheitsmärkte wie in anderen Ländern vermieden werden, müssen in diesem Jahr die Weichen für die geplante Finanzierungsreform des deutschen Gesundheitswesens gestellt werden. In dieser Hinsicht besteht zu Beginn des neuen Jahres kein Anlass für besonderen Optimismus. Bundespräsident Horst Köhler mahnt nicht ohne Grund ein schlüssiges Konzept der großen Koalition für die Sozialpolitik an. Bisher handelt die neue Regierung hier so widersprüchlich wie die alte. Sie ist sich nicht einmal einig, ob die Solidarität der Gesellschaft bei der Absicherung des Krankheitsrisikos über einkommensabhängige Beiträge oder über Steuern organisiert werden soll. „Wenn ein Jahr nicht leer verlaufen soll, muss man beizeiten anfangen“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe. Die Koalitionäre sollten sich daran halten. Heinz Stüwe
Zielinski, Hans-Joachim
Leuchs, Walther-F.
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