WISSENSCHAFT
Verhaltenstherapie: Integrativer Ansatz zugunsten der Patienten


Die Verhaltenstherapie (VT) ist längst nicht mehr gekennzeichnet durch ein strikt verhaltensorientiertes Vorgehen, bei dem der Therapeut gewünschtes Verhalten verstärkt oder gedankliche Fehlhaltungen durch Verhaltensexperimente korrigiert. Bei der internationalen Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie Ende September in Frankfurt am Main wurde vor allem die Frage diskutiert, inwieweit die Integration verschiedener therapeutischer Elemente in die VT auch theoretisch begründbar und zu rechtfertigen ist. Die Referenten stellten aktuelle Forschungsergebnisse vor und präsentierten zum Teil auch provokative Inhalte. Einige Beispiele:
Verhaltenstherapie bei Borderline-Störungen hilfreich
Prof. Arnold Arntz, Maastricht, belegte in einer randomisierten Studie, dass die schemafokussierte Verhaltenstherapie bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen – also Patienten, die in der Regel als „schwierig“ gelten und für die psychodynamisch orientierte Therapieformen schon länger elaborierte Ansätze entwickelt haben – wirksam ist. Nach bis zu drei Jahren Behandlung konnten Besserungen bei der automatischen Informationsverarbeitung, also tiefgreifende Veränderungen, nachgewiesen werden. Die Behandlung erwies sich gegenüber der psychodynamischen Therapie, in Bezug auf Heilerfolg und niedrigere Abbrecherquote, als überlegen. Letzteres wurde mit der „wärmeren“ und akzeptierenden therapeutischen Beziehung des VT-Ansatzes erklärt.
In der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen geht Prof. Anke Ehlers, London, einen konsequent kognitiv-verhaltenstheoretisch orientierten Weg. In ihrem Behandlungsansatz müssen die Patienten lernen, ihre automatischen Bewertungen des Traumageschehens zu erkennen und umzubewerten. Ebenso lernen sie, die Auslöser für Flashbacks zu identifizieren, um sie von denen der tatsächlichen traumatischen Situation zu unterscheiden. Die Erinnerung an das Trauma wird mit neuen, das Erleben umbewertenden Informationen ergänzt, und die Patienten schreiben ihre Geschichte mit diesen neuen Bewertungen nochmals neu. Dadurch kann in der Therapie die Dauer der imaginativen Trauma-Exposition verringert werden, ohne dass Wirksamkeit eingebüßt wird – dies fördert die Akzeptanz der Patienten.
Prof. Michael Lambert, Utah, argumentierte, dass die Anwendung von
Behandlungsmethoden, die sich wissenschaftlich als wirksam erwiesen haben, noch lange nicht eine tatsächlich erfolgreiche Behandlung im praktischen Alltagsgeschehen garantiere. Dazu sei eine ständige Erhebung der (Zwischen-) Ergebnisse erforderlich, um den aktuellen Status eines Patienten – ähnlich wie das tägliche Fiebermessen bei Infektionen – vor Augen zu haben. Die große Mehrzahl der Therapeuten neige dazu, ihren Therapieerfolg zu überschätzen, so Lambert. Er forderte daher dazu auf, das Befinden der Patienten kontinuierlich zu beurteilen und an die Therapeuten zurückzumelden, um bei denjenigen, die nicht von der Behandlung profitieren, eingreifen zu können.
Für die Behandlung von Patienten mit generalisierter Angststörung (GA) liefert Prof. Tom Borkovec, Pennsylvanien, ein Erklärungsmuster für das anhaltende Sich-Sorgen der betroffenen Personen. Dies sei Ausdruck eines festgefahrenen Ablaufs, welches bei Gefahrenhinweisen – und seien sie noch so entfernt – versucht, Beruhigung herbeizuführen, indem die Patienten sich ständig (und automatisiert) gedanklich mit ihnen beschäftigen. Dabei werden die tatsächlichen inneren und äußeren situativen Bedingungen übersehen, sodass sie keinen Zugang zu ihren aktuellen Empfindungen haben. Gerade diese würden jedoch wichtige Hinweise für das weitere Handeln geben. Daher werden in die Therapie der GA Elemente aus der Gestalttherapie eingebaut, die das emotionale Erleben unterstützen.
Therapie aus verschiedenen Bausteinen
Der Beitrag zeigte, wie sich Interventionen verschiedener Therapieschulen sinnvoll integrieren lassen. Die Integration – in diesem Fall der Gestalttherapie – wird sowohl von theoretischer als auch von empirischer Seite gestützt. Es handelt sich nicht um ein wahlloses Zusammenwerfen verschiedenster Therapieformen und auch nicht darum, welche Therapieschule nun das „bessere“ Störungsmodell hat – die Integration ist abgestimmt auf die Eigenheiten bestimmter Probleme innerhalb einer Störung. Die Frage stellt sich, ob für eine solche Therapie noch die Bezeichnung „Verhaltenstherapie“ zutrifft. Wichtig ist es, dass mit störungsspezifischen und integrativen Ansätzen den Patienten besser geholfen werden kann. Sollte sich dies in den weiteren Untersuchungen bestätigen, wäre es an der Zeit, die verschiedenen Therapieschulen nur noch als Namensgeber für bestimmte Interventionen zu gebrauchen, wohingegen die Therapie aus gezielt eingesetzten Bausteinen verschiedener Schulen besteht. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die Ausbildung und die berufspolitische Organisation.
Anschrift des Verfassers:
Dr. phil. Matthias Richard, Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie Universität Würzburg, Klinikstraße 3, 97070 Würzburg, Telefon: 09 31/31 27 13, E-Mail: richard@mail.uni-wuerzburg.de
Jonas, Martin; Lofredi, Patrick
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