ArchivDeutsches Ärzteblatt3/2006Der eingebildete Kranke . . . ist wirklich krank.

VARIA: Post scriptum

Der eingebildete Kranke . . . ist wirklich krank.

Ellermann, Bernd

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Foto: KPA
Foto: KPA
Ein Hypochonder ist ein Mensch, der sich nicht wohl fühlt, wenn er sich wohl fühlt“, lautet einer der vielen hämischen Sinnsprüche über die eingebildeten Kranken. So wie jener Dauerpatient aus Essen, der in fünf Jahren mehr als 50 Ärzte konsultierte, darunter acht Kardiologen. Dass sein Herz gesund war, dokumentierten am Ende 30 EKGs. Anschließend suchte er – wegen angeblicher Magenbeschwerden – Dutzende von Ärzten auf, die wieder nichts fanden.
Medizinstatistiker haben ermittelt: Fünf bis zehn Prozent der Patienten in einer Hausarztpraxis leiden unter einer extremen Selbstbeobachtung. Auch nicht wenige Ärzte sind selbst davon betroffen – hervorgerufen durch das Studium und die tägliche Praxis, einzig und vor allem auf den Körper fixiert zu sein. Und der Schauspieler Woody Allen hat den Hypochonder kinofähig gemacht: In seinen Filmen mimt er häufig den Neurotiker, den hysterischen Simulanten, der in ständiger Sorge um seine Gesundheit lebt. Und auch im wahren Leben ist ihm die Krankheitsangst nicht fremd. So wie auch seinem Kollegen Charlie Chaplin: Schon der geringste Hauch von Zugluft konnte bei ihm zur Panik führen. Denn stets fürchtete der begnadete Komiker sich vor Erkältungen und erlaubte auch bei größter Hitze keinerlei Luftzufuhr.
Es gibt noch viele prominente Beispiele – von Winston Churchill oder Friedrich dem Großen über Thomas Mann und Howard Hughes bis hin zu Harald Schmidt. Ganz schlimm war es bei Andy Warhol: Ein paar Gramm mehr auf der Waage begegnete er sofort mit weniger Essen. Wenn einen Tag später das Gewicht nicht seinen Vorstellungen entsprach, diagnostizierte Warhol eine Stoffwechselstörung. Ständig trug er ein ganzes Arsenal an Pillen mit sich. Nach einer Zerrung schloss er nicht aus, dass eventuell ein Tumor in der Leistengegend die Ursache sein könnte.
In der Öffentlichkeit gelten Hypochonder als Pseudokranke, die sich wichtig tun wollen: „Manche bringen es vom Hypochonder bis zum Fachpatienten“ oder „Ein richtiger Hypochonder begleitet seinen Arzt in den Urlaub“ – das sind so gängige Kalauer. Echte Hypochondrie ist jedoch ein noch nicht wirklich erforschtes Leiden, das das Leben zur Hölle machen kann. Und das manchmal nur in psychosomatischen Kliniken geheilt werden kann. Bernd Ellermann

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote