

. . . Ärzte werden von ihren Patienten zunehmend gebeten, zur Eigenbevorratung antivirale Mittel (wie etwa Oseltamivir) prophylaktisch auf Privatrezept zu verschreiben. Dieser Wunsch wird in der gemeinsamen Mitteilung unter Punkt 4.4.3 nun wie folgt kommentiert: „Eine solche Form der Bevorratung unterliegt in erheblichem Maß der individuellen Entscheidung des nachfragenden Patienten und muss von diesem geprüft und getroffen werden. Aufgabe des Arztes ist es dabei, seiner Sorgfalts- und Aufklärungspflicht nachzukommen und ggf. mit dem Patienten zu vereinbaren, vor Einnahme des Präparates mit dem Arzt nochmals Kontakt aufzunehmen, um so dem Anliegen einer gezielten, strengen Indikationsstellung und adäquater Einnahme gerecht zu werden.“ Eine erstaunliche Äußerung, mit der sich die Spitzenorganisationen der deutschen Ärzteschaft fundamental von anders lautenden Empfehlungen durch international ausgewiesene Experten (-vereinigungen) abheben! Aber ist es denn glaubwürdig, dass „eine gezielte, strenge Indikationsstellung und adäquate Einnahme“ gewährleistet werden kann, wenn Monate bis Jahre zwischen einer „gegebenenfalls“ getroffenen mündlichen Vereinbarung und der (sinnvollen) Einnahme liegen dürften? Es gibt gute Gründe, Oseltamivir unter Rezeptpflicht zu stellen, wie die beunruhigende Resistenzentwicklung in Südostasien zeigt. Eine Praxis, bei der die Ausgabe von Medikamenten in die Eigenverantwortung des Patienten überstellt wird, hebelt faktisch jede ärztliche Kontrolle aus mit dem Risiko einer breiten unkontrollierten und unkontrollierbaren Einnahme durch (vermeintliche) Patienten. Und das bei einer Medikamentengruppe, die im Falle einer echten Pandemie drin-
gend benötigt würde! Auch aus gesundheitspolitischen Gründen sollte die Knappheit an antiviralen Mitteln durch eine nicht-indizierte individuelle Bevorratung nicht noch zusätzlich verstärkt und damit der sinnvolle Aufbau einer öffentlichen Bevorratung erschwert werden. Im Hinblick auf die anstehende („normale“) Grippewelle könnte eine solche Verknappung zudem ganz aktuell zu Versorgungsschwierigkeiten von akut Erkrankten führen, die diese Medikamente dringend benötigen. Das kann nicht gewollt sein! Beide Argumente, nicht-indizierte Einnahme mit der möglichen Folge von Resistenzentwicklungen und Verschärfung der Knappheit, werden durch die Spitzenverbände in ihrer Mitteilung sehr wohl erkannt und explizit aufgeführt. Sie kommen dann aber zu einer in dieser Form nicht mehr nachvollziehbaren Schlussfolgerung, nämlich die individuelle Bevorratung trotzdem zu ermöglichen. Leider werden die Gründe dafür nicht genannt. Ist es die Scheu vor einer ethisch schwer zu rechtfertigenden Bevormundung des „mündigen“ Patienten? Ich bin durchaus der Ansicht, dass der Patientenwunsch leitend sein sollte, wenn auch aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ein Nutzen für den Patienten ersichtlich ist. Selbstbevorratung eines Medikaments gegen ein vollkommen hypothetisches neues Virus, bei dem die Wirksamkeit noch vollkommen unklar ist, zählt aber sicherlich nicht dazu!
Literatur bei dem Verfasser
Prof. Dr. Dr. W. Bautsch, Städtisches Klinikum Braunschweig gGmbH,
Celler Straße 38, 38114 Braunschweig