ArchivDeutsches Ärzteblatt6/2006Ethik im Gesundheitswesen: Behandlungsqualität – oberste Priorität

THEMEN DER ZEIT

Ethik im Gesundheitswesen: Behandlungsqualität – oberste Priorität

Krüger, Carsten; Rapp, Boris

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Die Ökonomie hat heute weitgehend das Arztethos und die Fürsorglichkeit der Pflege verdrängt. Foto: Peter Wirtz
Die Ökonomie hat heute weitgehend das Arztethos und die Fürsorglichkeit der Pflege verdrängt. Foto: Peter Wirtz
Krankenhäuser sind gezwungen, die Anforderungen von Wirtschaft und Ethik miteinander in Einklang zu bringen.

Neben der früher überwiegend religiös geprägten Fürsorglichkeit der Pflege und dem Arztethos hat inzwischen die weitgehend dominierende Ökonomie Einzug in das Gesundheitswesen gehalten. Infolgedessen kommt es immer häufiger zu einem Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Ethik im Krankenhaus. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um das Aufeinanderprallen zweier auseinander liegender Moralvorstellungen: die zumeist von den patientennahen Berufsgruppen vertretene deontologische Moralvorstellung und die eher von den patientenfernen Akteuren verkörperte teleologische beziehungsweise utilitaristische Moralvorstellung. Da die Sozialwissenschaften bislang keine kombinierte, substituierende Moraltheorie entwickelt haben, sind die beiden Moralvorstellungen nicht miteinander vereinbar. Wirtschaftlichkeit und Ethik sind hingegen keineswegs unvereinbar. Im Gegenteil: Sie bedingen einander, will ein Krankenhaus im Wettbewerb nachhaltig erfolgreich sein. Denn einerseits ist die Verschwendung von Ressourcen unethisch, weil mit diesen Mitteln eine bessere Behandlung finanziert werden könnte. Andererseits muss das Krankenhaus die ethischen Anforderungen erfüllen, um eine im Wettbewerb notwendige hohe Behandlungsqualität zu gewährleisten.
Die Deontologie (griechisch: todeon, das Erforderliche, die Pflicht) ist ein Theorieansatz, der die strikte Beachtung von Normen, Pflichten und Rechten als Grundlage moralischen Handelns sieht. Aus den normativen Vorgaben können Gesetze abgeleitet werden. Immanuel Kant, der bedeutendste Vertreter dieses Theorieansatzes, prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des kategorischen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das so vorgegebene Normverhalten entscheidet also über gut und böse, über richtig und falsch. Jede Abweichung ist nicht tugendhaft und somit unmoralisch. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen ist der deontologische Ansatz im Krankenhaus, wenn auch zumeist unbewusst, noch stark vertreten. Verkörpert wird er vornehmlich von den patientennahen Mitarbeitergruppen.
In der Teleologie liegt der moralische Wert einer Handlung nicht in der Sittlichkeit der Handlung selbst, sondern ergibt sich aus den Folgen der Handlung für die Allgemeinheit. Die Teleologie liegt dem Utilitarismus zugrunde. Die Entscheidung darüber, ob eine Handlung moralisch, gut und sittlich ist, hängt mit dem sich daraus ergebenden Nutzen zusammen. Es ist also möglich, dass eine Handlungsentscheidung auf Kosten des Wohlergehens Einzelner und zugunsten des Wohlergehens der Mehrheit getroffen wird. Die typischen Repräsentanten der utilitaristischen Sicht stellen die patientenfernen Gruppen dar. Dazu gehören die Betriebsführung im Krankenhaus, die Politik und die Krankenkassen. Für alle drei Gruppen gilt, dass sie Entscheidungen zum Wohl der Gemeinschaft treffen müssen. Sie haben mit knappen Mitteln eine optimale Leistung zu erzeugen. Dabei werden Entscheidungen nach dem teleologischen Prinzip auf Kosten von Einzelfällen getroffen.
Genau darin liegt der Grundkonflikt der deontologischen und utilitaristischen Theorieansätze. Aus der deontologischen Sicht ist eine Entscheidung, bei der jemand zu Schaden kommt, unmoralisch. Sie betrachtet nur die Einzelbeziehungen und sieht das moralische Handeln in ihr als oberste Pflicht. Daraus ergibt sich ein Dilemma, denn die Absichten der Normen im Gesundheitswesen sind heute utilitaristisch geprägt. Der Wille zu deontologisch moralischem Handeln wird durch gesetzliche Vorgaben eingeschränkt.
Steigerung der Konkurrenzsituation
Der Grundkonflikt lässt sich im Krankenhaus in zahlreichen Situationen erkennen, besonders aber bei Rationierung und Rationalisierung. Eine Form der Rationierung sind die Budgets und das DRG-Fallpauschalensystem. Um seine Gewinne zu maximieren, muss das Krankenhaus die Kosten senken oder zusätzliche Einnahmen in anderen Bereichen erwirtschaften. Durch DRG-Fallpauschalen ist das Krankenhaus zur Rationalisierung und zur Verschlankung der Kostenstrukturen gezwungen, denn der vormals gewinntreibende Faktor langer Liegezeiten hat sich ins Gegenteil verkehrt. Die Behandlung ist jetzt umso rentabler, je kürzer die Verweildauer des Patienten ist. Die wirtschaftliche Anforderung des Krankenhauses besteht infolgedessen darin, die Effizienz und Produktivität der Behandlung zu steigern und die Prozesse der Behandlung zu optimieren. Durch die Verkürzung der Verweildauer ohne eine Fallzahlensteigerung entstehen Überkapazitäten. Diese verursachen einen verschärften Konkurrenzkampf um den Kunden zwischen den Krankenhäusern. Wegen dieses Wettbewerbs ist es das oberste wirtschaftliche Ziel des Managements, den Bestand des Krankenhauses zu sichern.
Solange es den Sozialwissenschaften nicht gelingt, aus den beiden im Krankenhaus existierenden Moralvorstellungen eine gemischte Theorie der Pflichten im Sinne des Substitutionsprinzips zu entwickeln, sollte das Krankenhaus einen bestmöglichen Konsens schaffen, der beide Moralvorstellungen gleichermaßen erfüllt. Das bedeutet, dass es die Aufgabe der Krankenhausleitung ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen die zweckrationalen, utilitaristischen Entscheidungen nicht mit dem Moralverständnis der patientennahen Mitarbeiter kollidieren. Übertragen auf die Praxis bedeutet das, dass die Behandlungsqualität Priorität besitzen muss. Nur wenn die Behandlungsqualität optimal ist, stellt sich für die Pflegeberufe und die Ärzteschaft nicht die Frage nach der
moralischen Entscheidung zwischen Wirtschaftlichkeit und Ethik. Das Fällen solch moralischer Entscheidungen erzeugt bei der Belegschaft das Gefühl, dass die Probleme des Gesundheitswesens auf ihrem Rücken ausgetragen
würden. Diese wahrgenommene Machtlosigkeit kann zu Demotivation und hoher Fluktuation führen und ist für die
Behandlungsqualität kontraproduktiv.
Die Steigerung der Konkurrenzsituation unter den Krankenhäusern erhöht die Notwendigkeit von wirtschaftlicher Kompetenz und zweckrationalem Denken. Das birgt zweifellos die Gefahr der Vergrößerung der Kluft zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Moralvorstellungen. Deshalb ist es wichtig, neben den ökonomischen Anforderungen auch die ethischen zu erfüllen, denn ohne das Mitwirken der patientennahen Gruppen ist Behandlungsqualität und damit ein hohes Ansehen des Krankenhauses nicht zu erreichen.
Ein modernes Krankenhaus ist gezwungen, die Anforderungen von Wirtschaftlichkeit und Ethik in Einklang zu bringen, um einen nachhaltigen Erfolg zu sichern. Einige Konzepte erfüllen diese Prämissen. Im Bereich des Personalwesens lässt sich der ethisch-wirtschaftliche Konflikt verdeutlichen. Die Gesundheitsdienstleistung ist ein personalintensiver Bereich. Die Personalkosten stellen mit durchschnittlich 70 Prozent den größten Kostenanteil im Krankenhaus dar. Das ist auch die Ursache dafür, dass bei Rationalisierung oftmals zuerst ein Personalabbau erwogen wird. Mit der Personalstärke hängt aber auch die Behandlungsqualität zusammen. Deshalb ist eine Professionalisierung im Personalmanagement notwendig. Die wichtigsten Aufgaben sind die Erstellung einer Personalbedarfsplanung und die Neuorganisation von Arbeitsabläufen. Bei einer Prozessoptimierung müssen die Stellenbeschreibungen den Umständen angepasst beziehungsweise neue Berufsfelder geschaffen werden. Die Anstellung von Hotelfachkräften könnte eine Verbesserung des Servicegedankens im Sinne einer Kundenorientierung mit sich bringen. Die wirtschaftlichen Anforderungen machen die Stelle eines Controllers unumgänglich und lassen die Konzepte von Kodierfachkräften höchst sinnvoll erscheinen.
Case-Manager sorgen für optimierte Arbeitsabläufe
Case-Manager können die reibungslose und schnelle Terminplanung gewährleisten, dazu gehört auch die Klärung der Entlassungs- oder Verlegungsbedingungen (Übergangspflege, Reha-Platz, ambulante Pflege, Unterbringung in Pflegeeinrichtungen). Die Qualität wird durch den Fallbegleiter also indirekt verbessert. Die Medizintechnik fordert zudem eine ständige Weiterbildung des Fachpersonals. Eine weitere Verbesserung kann durch eine systematische Personalbeurteilung erzielt werden, wodurch die Mitarbeiter ihren Kompetenzen nach an den richtigen Stellen eingesetzt werden können. Außerdem stellt eine Karriereplanung einen Leistungsanreiz für die Beschäftigten dar. Eine attraktive berufliche Zukunftsperspektive könnte den Ausstieg ambitionierter Mitarbeiter verhindern. Deshalb sollten neue Berufsbilder geschaffen werden, die sich vom Niveau der Tätigkeit dem Ausbildungsniveau anpassen. Diesbezüglich fordern Klinikleitungen eine Reform der starren Tarifverträge im öffentlichen Dienst. Diese verhindern eine leistungsgerechte und -fördernde Bezahlung sowie den Aufbau neuer Organisationsstrukturen, die bessere Aufstiegschancen ermöglichen. Gerade die neuen Berufsfelder führen zu Problemen. Das derzeitige Tarifsystem macht das öffentliche Krankenhaus beispielsweise für Controller und Computerspezialisten finanziell wenig attraktiv. Der Zwiespalt ist deutlich erkennbar. Einerseits braucht ein modernes Krankenhaus eine hohe Behandlungsqualität, um wettbewerbsfähig zu bleiben, was aufgrund der erforderlichen Anstellung und Weiterbildung von qualifiziertem Personal eine Erhöhung des Personalaufwands bedeutet. Andererseits zwingen die Rahmenbedingungen durch den Wettbewerbsdruck zur Kostenreduzierung.
Um sich den Luxus des gut ausgebildeten Personals leisten zu können, ist es erforderlich, die Leistungsprozesse zu optimieren, und dadurch Kosten zu sparen. Eine Möglichkeit ist die Standardisierung von patientenorientierten Behandlungsabläufen. Im Ergebnis bedeutet dies eine noch kürzere Verweildauer bei einer qualitativ hochwertigen Versorgung. Der Informationszuwachs gibt dem Patienten Sicherheit und Vertrauen und macht den Ablauf für ihn kontrollierbar und qualitativ einschätzbarer. Auf diese Weise wird der Patient mit in das Behandlungsteam integriert. Ziel ist die Steigerung der Patienten-, aber auch der Mitarbeiterzufriedenheit. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ergibt sich zum Beispiel aus der Qualität der Behandlung, dem reibungslosen Ablauf und nicht zuletzt aus der Zufriedenheit der Patienten. Ersparnisse ergeben sich aus der Verkürzung der Verweildauer, der Vermeidung von Doppeluntersuchungen und der Ressourcenreduzierung auf den notwendigen Bedarf. Die aufgezeigten Konzepte und Rationalisierungsmöglichkeiten beweisen, dass es möglich ist, ethische und wirtschaftliche Anforderungen gewinnbringend zu kombinieren.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2006; 103(6): A 320–2.


Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit0606

Anschriften der Verfasser:
Carsten Krüger
Suhrenkamp 22 b
22335 Hamburg
E-Mail: carsten.krueger@mediclin.de
Dr. Boris Rapp
MediClin AG, Stab Strategische Planung
Okenstraße 27
77652 Offenburg
E-Mail: boris.rapp@mediclin.de
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