ArchivDeutsches Ärzteblatt PP2/2006Anja: Gefühl des Gefangenseins

KINDER-PSYCHE

Anja: Gefühl des Gefangenseins

Anlauf, Martina

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Foto: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Marburg
Foto: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Marburg
Ein Fenster mit einem massiven Holzrahmen gewährt dem Betrachter einen Blick auf die Welt einer Jugendlichen. Abdrücke ihrer Handflächen auf dem Fensterglas fordern ihn auf, näher heranzutreten und sich an ihre Stelle zu begeben. Lässt sich der Betrachter darauf ein, entsteht ein Gefühl des Unbehagens. Drei symbolhafte Kugeln, zwei größere in gedeckten Farben und eine kleine schwarze bewegen sich direkt auf ihn zu und bedrohen ihn. Er stellt sich die Frage, was da auf ihn zukommt und wie es zu bewerten ist. Steht dem Reflex, sich von der Scheibe wegzudrücken, um mögliches Unheil abzuwehren, die Faszination des unberechenbaren Schicksals gegenüber? Oder soll der kleinen schwarzen Kugel durch Abwehr der großen farbigen „Geschwister“ eine Chance gegeben werden?
Das Bild der 17-jährigen Anja mit dem Verdacht einer beginnenden Borderline-Störung entstand während eines sechswöchigen Aufenthaltes in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Nach langer Erkrankungsgeschichte wurde sie mit akuten Angstsymptomen und depressiver Verstimmung aufgenommen. Jetzt hatte sie sich emotional stabilisiert und sollte in einem Heim untergebracht werden. Dies bedeutete eine starke Veränderung in ihrem Leben, da die Patientin von ihren Eltern trotz ihrer Rolle als „Aschenputtel“ unter ihren Drillingsschwestern wegen ihrer psychischen Probleme besonders umsorgt wurde. In der Psychiatrie fühlte sich die Patientin manchmal „gefangen“ und erwartete ungeduldig den Tag des Umzuges in die Einrichtung. Aber sie fürchtete sich auch vor dem Verlassen dieses Schutzraumes und vor den neuen Anforderungen. Getragen von der Hoffnung, eines Tages vielleicht symptomfrei leben zu können, konnte sie schließlich den entscheidenden Schritt vollziehen. Martina Anlauf

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