ArchivDeutsches Ärzteblatt8/2006Medizinstudium: Neue Lernkonzepte gegen den Nachwuchsmangel

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Medizinstudium: Neue Lernkonzepte gegen den Nachwuchsmangel

Lüring, Christian; Grifka, Joachim

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Die Ärztliche Approbationsordnung (in Kraft getreten im Oktober 2003) stellt neue Anforderungen an die medizinische Lehre. Der Frontalunterricht wird mehr und mehr durch Kleingruppen- Unterricht, Bedside-Teaching und das problemorientierte Lernen (POL) ersetzt. Angesichts des zunehmenden Ärztemangels sind die Neuerungen zielführend, da sie das Studium attraktiver machen.
Kritikpunkt der vorherigen Ausbildung war stets die mangelnde Praxisnähe. Studenten hatten bis zum Abschlussexamen nur sehr wenig direkten Patientenkontakt. Zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn waren viele Absolventen des Medizinstudiums überfordert. Das in den USA seit vielen Jahren praktizierte Bedside-Teaching und das POL sollen derartige Schwierigkeiten verhindern. In Deutschland etablierten sich diese Lernformen in der Vergangenheit an einigen Universitätskliniken im Rahmen von Pilotprojekten.
Das Prinzip des Bedside-Teachings, kombiniert mit dem POL, sieht folgendermaßen aus: Ein klinischer Lehrer schult problemorientiert maximal vier Studenten an einem Patienten(bett). Entscheidend bei den Lehr-Lern-Konzepten ist, dass der Studierende in den klinischen Alltag integriert wird. So können interessierte Medizinstudenten mittlerweile in vielen Abteilungen an der Frühbesprechung teilnehmen, um den Ablauf großer universitärer Abteilungen näher kennen zu lernen. Die dabei besprochenen Krankheitsbilder, Indikationsstellungen und Patientenverläufe werden anschließend in Seminaren detailliert besprochen und den
Studenten unter Verwendung von Fallbeispielen und anhand von Patientenvorstellungen vermittelt. Häufige und wichtige Krankheitsbilder werden hinsichtlich Entstehung, Beschwerden, Diagnosestellung, Behandlungsoptionen, Differenzialdiagnosen und Entwicklung rekapituliert. Studenten sind dabei aufgefordert, sich auf den Folgetag in Eigenarbeit vorzubereiten. Der POL-Unterricht soll das klinisch orientierte Denken in die medizinischen Überlegungen der Studenten integrieren.
Mit der obligaten Fallvorstellung eines Patienten erlernen die Studenten ein zielgerichtetes Anamnesegespräch und differenzialdiagnostische Abgrenzungen. Ein weiterer Schritt ist die Vermittlung von speziellen Untersuchungstechniken, die in Kleingruppen trainiert werden. In manchen Kliniken werden sie auch anhand von Videosequenzen verbildlicht.
Entscheidend an allen Seminaren und Kursen im Rahmen der neuen Approbationsordnung: die Reduzierung der Studentenzahl pro Lerngruppe. Die Atmosphäre eines Lehr-Lern-Gesprächs wird somit geschaffen. Die Hemmschwelle, Fragen zu stellen, wird deutlich vermindert, und die Studierenden werden optimal motiviert. Der klinische Trainer wandelt sich so von einer Respektperson des Frontalunterrichts zum Wissensvermittler.
Im Asklepios Klinikum Bad Abbach ist die neue Approbationsordnung erfolgreich umgesetzt worden. Umfragen und die selbstverständlich gewordene Evaluation zeigen eine positive Resonanz auf die neuen Lehrkonzepte bei den Studierenden. Vor allem in der frühen Phase der Ausbildung besteht die Möglichkeit, bei den Studierenden Interesse zu wekken und sie für die prakti-sche Routine zu schulen. Diese erfreuliche Entwicklung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Lehr-Lern-Konzepte einen bedeutenden zeitlichen und personellen Mehraufwand bedeuten. Eine Verdichtung von Lehrkapazität auf jeden einzelnen Studenten mit Kleingruppen von zwei bis vier Studenten pro klinischen Lehrer ist eine immense Belastung für die universitäre ärztliche Belegschaft. Die Folge: wissenschaftliche Projekte und die Routinearbeit müssen in den Phasen der Blockpraktika mitunter auf die späten Abendstunden und das Wochenende verschoben werden.
Hinzu kommt die von den Krankenhausträgern praktizierte Stellenkürzung und das sich weiter reduzierende Gehalt der lehrenden Assistenz- und Oberärzte. Die neuen Lernformen sind nur praktikabel und sinnvoll, wenn die klinischen Lehrer motiviert sind und ihnen eine angemessene Zeit für die Studierenden zur Verfügung steht. Die Lehre darf nicht das Stiefkind der Universitätskliniken und Lehrkrankenhäuser sein, sondern muss als Kernkompetenz begriffen werden.
Nur so wird das Ziel der Approbationsordnung erreicht: zufriedene und gut ausgebildete Medizinstudenten, die motiviert sind für die klinische Arbeit. Diese Überlegungen müssen von den Verantwortlichen berücksichtigt werden, damit ein langfristig manifester Ärztemangel abgewendet werden kann.
Dr. med.Christian Lüring
Prof. Dr. med. Joachim Grifka
Lehrstuhl für Orthopädie der Universität
Regensburg, Klinik und Poliklinik für Orthopädie des Asklepios Klinikums Bad Abbach

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