ArchivDeutsches Ärzteblatt19/2006Ärztliche Tätigkeit in Großbritannien: Steuerliche Auswirkungen

VARIA: Wirtschaft

Ärztliche Tätigkeit in Großbritannien: Steuerliche Auswirkungen

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Foto: BilderBox [m] Um ihr Einkommen aufzubessern, fliegen deutsche Ärzte am Wochenende nach England.
Foto: BilderBox [m] Um ihr Einkommen aufzubessern, fliegen deutsche Ärzte am Wochenende nach England.
Damit aus einem medizinischen Notfall in Großbritannien kein steuerlicher Notfall in Deutschland wird

Eine immer größer werdende Gruppe in Deutschland niedergelassener Allgemeinmediziner und praktischer Ärzte zieht es aus finanziellen Erwägungen nach Großbritannien – sei es nur über das Wochenende oder für längerfristige Einsätze. Ein Aspekt, der dabei häufig vernachlässigt wird, ist die Frage, wie das dort verdiente Geld zu versteuern ist. Ob es nun „Der Nächste, bitte!“ oder „Who’s next?“ heißt, ist dabei aus steuerlicher Sicht zunächst einmal unerheblich: Wer in Deutschland ansässig ist (unbeschränkte Einkommensteuerpflicht), der hat dort auch sein Welteinkommen zu versteuern. Da das deutsche Steuerrecht aber sehr komplex ist, sollen die nachfolgenden Ausführungen einen Überblick über die steuerlichen Auswirkungen der Arzttätigkeit in Großbritannien geben und die Sensibilität für steuerliche Problemfelder wecken.
Zuweisung des Besteuerungsrechts
Im Laufe der steuerrechtsgeschichtlichen Entwicklung haben sich zwei wesentliche Anknüpfungspunkte herausgebildet, an denen Staaten ihr Recht zur Besteuerung festmachen: der Wohnsitz und der Tätigkeitsort. Die Wahl der Anknüpfung kann dazu führen, dass, wie hier, Deutschland als Wohnsitzstaat und Großbritannien als Tätigkeitsstaat Anspruch auf Besteuerung erheben und es zur Doppelbesteuerung kommt. Um diese zu vermeiden, haben Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) geschlossen. Um die ärztliche Tätigkeit unter die Begrifflichkeiten des DBA Großbritannien (GB) zu subsumieren, sind verschiedene Fälle zu unterscheiden. Folgende Ausgangssituation sei angenommen: „Ein in Deutschland angestellt oder selbstständig tätiger Arzt wird in GB tätig, der Wohnsitz (Lebensmittelpunkt) befindet sich weiterhin in Deutschland.“ Dabei sind grundsätzlich folgende Ausgestaltungsformen der Arzttätigkeit zu unterscheiden: Freiberufler (selbstständiger Arzt) mit fester Einrichtung in GB, Freiberufler ohne feste Einrichtung in GB und nichtselbstständige Tätigkeit (Angestellter) in GB.
Freiberufliche Tätigkeit. Steht dem freiberuflich tätigen Arzt in GB „gewöhnlich eine feste Einrichtung zur Verfügung“, so greift nicht mehr der Grundsatz der Besteuerung im Wohnsitzstaat. Das „DBA GB“ weist das Besteuerungsrecht in diesem Fall dem Tätigkeitsstaat (GB) zu. Es ist somit britische „Income Tax“ zu entrichten. Wann liegt eine feste Einrichtung in GB vor? Aus steuerlicher Sicht ist eine feste Einrichtung gegeben, wenn man über einen bestimmten Punkt der Erdoberfläche eigenständig verfügen kann und diese Verfügungsmöglichkeit auf längere Dauer (in der Regel länger als sechs Monate) angelegt ist. Dies ist etwa der Fall,
- wenn nicht nur für eine einmalige Nutzung ein Praxisraum angemietet wurde (Beispiel: der Praxisraum eines britischen Kollegen wird einmal wöchentlich genutzt),
- wenn eine längerfristige Nutzung der Praxis eines britischen Kollegen vertraglich vereinbart wurde oder
- wenn längerfristig ein bestimmtes Zimmer zu Untersuchungszwecken durch ein Krankenhaus oder eine Gemeinde zur Verfügung gestellt wird.
Problematisch ist die Rechtslage, wenn der Arzt wechselnde Zimmer benutzt.
Liegt keine feste Einrichtung in GB vor, so ist der Ausübungsort der Tätigkeit ohne Auswirkung auf die Besteuerung. Deutschland als dem Wohnsitzstaat steht weiterhin das Besteuerungsrecht zu. Das in GB erzielte Einkommen unterliegt in diesen Fällen der deutschen Einkommensteuer.
Nichtselbstständige Tätigkeit. Ist der Arzt nichtselbstständig in GB tätig, weist das „DBA GB“ das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat (GB) zu, das heißt die Versteuerung des in GB zugeflossenen Lohns/Gehalts unterliegt im Regelfall immer der britischen „Income Tax“.
Steuerliche Auswirkungen in Deutschland
Besteuerungsrecht Deutschland. Steht das Besteuerungsrecht Deutschland zu, ergeben sich folgende steuerlichen Auswirkungen: volle Steuerpflicht in Deutschland (also keine Steuerpflicht in GB), Versteuerung als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit (Regelfall) im Rahmen der jährlichen (deutschen) Einkommensteuererklärung und Anwendung des individuellen Steuersatzes.
Besteuerungsrecht Großbritannien. Steht das Besteuerungsrecht Großbritannien zu, ergeben sich folgende steuerliche Auswirkungen: volle Steuerpflicht in GB und keine Steuerpflicht in Deutschland (aber Anwendung des „Progressionsvorbehalts“). Was ist unter dem Progressionsvorbehalt zu verstehen? Wenn der deutsche Fiskus wegen des DBA schon von der steuerlichen Erfassung der in GB erzielten Einkünfte Abstand nehmen muss, so behält er sich allerdings das Recht vor, dass diese (ausländischen) Einkünfte bei der Ermittlung des Steuersatzes auf die übrigen in Deutschland bezogenen Einkünfte steuersatzerhöhend herangezogen werden. Ein Beispiel: Das in Deutschland zu versteuernde Einkommen betrage 60 000 Euro, das in Großbritannien zu versteuernde Einkommen 50 000 Euro. Ohne Progressionsvorbehalt müsste der Arzt in Deutschland bei einem durchschnittlichen Steuersatz von 28,8 Prozent 17 286 Euro Steuern abführen (28,8 Prozent von 60 000 Euro). Mit Progressionsvorbehalt erhöhte sich die Steuerschuld um 3 594 Euro auf 20 880 Euro, weil nun ein Steuersatz von 34,8 Prozent (bezogen auf 60 000 Euro) zugrunde gelegt würde. Denn bei Gesamteinkünften des Arztes in Höhe von 110 000 Euro ergibt sich wegen der progressiven Einkommensteuer in Deutschland dieser höhere Steuersatz.
Steuerliche Auswirkungen in Großbritannien
Besteuerungsrecht Deutschland. Steht das Besteuerungsrecht Deutschland zu, ergeben sich folgende steuerliche Auswirkungen: keine Steuerpflicht in GB (das heißt volle Steuerpflicht in Deutschland) und keine Notwendigkeit zur Abgabe von Steuererklärungen in GB.
Besteuerungsrecht Großbritannien. Steht das Besteuerungsrecht Großbritannien zu, ist zwischen freiberuflicher und nichtselbstständiger Tätigkeit zu unterscheiden.
Für den Fall der freiberuflichen Tätigkeit in GB ergeben sich folgende Konsequenzen:
- Über die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ist zunächst das HM Revenue & Customs (HMRC) zu informieren.
- Das HMRC schickt dem Steuerpflichtigen dann die entsprechenden Steuererklärungsformulare zu.
- Nach Ende des Steuerjahres (6. April bis 5. April des Folgejahres) besteht eine Verpflichtung zur Abgabe einer britischen Steuererklärung.
- Der britische Steuerbescheid dient in Deutschland als Nachweis über die Höhe der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte (Angabe in der deutschen Einkommensteuererklärung).
Für den Fall der nichtselbstständigen Tätigkeit in GB erfolgt die Besteuerung nach den Regelungen des britischen Steuerrechts, das heißt:
- Zu Beginn der Tätigkeit in GB ist das Formular P46 auszufüllen und an das HMRC weiterzuleiten.
- Das HMRC teilt dem Steuerpflichtigen mit, ob er verpflichtet ist, jährliche Steuererklärungen einzureichen. Soweit dies zu bejahen ist, werden die Steuererklärungsformulare vom HMRC bereitgestellt.
- Zum Ende des Steuerjahres wird vom Arbeitgeber das Formular P60 ausgestellt, welches, wie die deutsche Lohnsteuerbescheinigung, alle Angaben zum Einkommen des betreffenden Jahres enthält. Diese Bescheinigung ist auch von Relevanz für die deutsche Besteuerung, da sie die Höhe der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte enthält und gleichzeitig als Nachweis dient, dass es zur Versteuerung in GB gekommen ist (wichtig für die deutsche Einkommensteuererklärung).
c Beim Wechsel des Arbeitgebers oder bei Beendigung der Tätigkeit in GB ist das Formular P45 auszufüllen, welches alle gezahlten Steuern zusammenfasst. Auch soweit keine Steuererklärung einzureichen ist, sollte bei Beendigung der Tätigkeit in GB überprüft werden, ob Steuererstattungen möglich sind.
Sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen in Großbritannien
Im Unterschied zu Deutschland sind in GB sowohl Ärzte im Anstellungsverhältnis wie auch selbstständig tätige Ärzte sozialversicherungspflichtig. Es besteht jedoch die Möglichkeit, Sozialversicherungsbeitragszahlungen (SVB) in GB zu vermeiden, wenn SVB in Deutschland nachgewiesen werden.
Im Fall der freiberuflichen Tätigkeit dient die „Bescheinigung über die anzuwendenden Rechtsvorschriften“, so genannter Vordruck E 101, als Nachweis gegenüber den zuständigen britischen Sozialversicherungsstellen.
Im Fall des Angestelltenverhältnisses in GB greift grundsätzlich die Beitragspflicht in GB. In individuell begründeten Fällen kann jedoch eine Ausnahmevereinbarung, sprich die Freistellung von britischen SVB und Entrichtung derselbigen in Deutschland, beantragt werden. Hinsichtlich dieser Ermessensentscheidung ist auf der deutschen Seite die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) und auf der britischen Seite die Inland Revenue zuständig, wobei die Anfrage möglichst drei Monate vor Aufnahme der Beschäftigung in GB gestellt werden sollte. Der Antrag auf Ausnahmevereinbarung sollte insbesondere dann gestellt werden, wenn der Auslandseinsatz von vornherein einer zeitlichen Befristung unterliegt und nach dem Auslandsaufenthalt wieder eine Beschäftigung in Deutschland angestrebt wird.
Abschließend bleibt festzustellen, dass die Optimierung der Besteuerung nur für jeden Einzelfall gesondert vorgenommen werden kann, da viele Faktoren Einfluss nehmen, deren weitere Erörterung den Umfang der vorherigen Ausführungen sprengen würde. Aber ist erst einmal die Sensibilität für Probleme geweckt, so dürfte deren Lösung möglich sein.
WP/StB Klaus Erkens
Dr. rer. oec. Ariane Lucassen

Internet: www.egsz.de

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