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Gesundheitsreform 2006: Das Eckige muss noch rund werden
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Allzu viele abschließende Details wurden zu Wochenanfang noch nicht öffentlich – trotz der demonstrativen Einigung am 3. Juli. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teilte lediglich mit, dass die Krankenkassenbeiträge 2007 um bis zu 0,5 Prozentpunkte steigen könnten. Das bringt etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 2007 rund sieben Milliarden Euro fehlen.
Dennoch werde es keine Steuererhöhung zugunsten der GKV geben, sondern lediglich Steuergelder, kündigte die Kanzlerin an. Die Versicherung für Kinder soll von 2008 an aus Staatsmitteln mitfinanziert werden: erst mit 1,5 Milliarden Euro, dann 2009 mit drei Milliarden, in den Folgejahren mit noch mehr Geld. Insgesamt gelten dafür jährlich rund 16 Milliarden Euro als realistisch.
Warum einige Politiker der großen Koalition diese Steuerfinanzierung als Durchbruch oder Paradigmenwechsel lobten, bleibt ihr Geheimnis. Der vorgesehene Fonds gilt vielen als bürokratisches Monster. Eine Gegenfinanzierung lag am 3. Juli noch nicht auf dem Tisch. Zudem hatte die rot-grüne Koalition bereits Steuergelder für versicherungsfremde Leistungen in der GKV eingeplant, wenn auch die guten Vorsätze nicht lange hielten.
Ulla Schmidt (SPD) war die Einigung gerade neun Zeilen wert: Es sei „von herausragender Bedeutung, dass künftig niemand mehr in unserem Land ohne Schutz durch die Krankenversicherung sein wird“, teilte die Bundesgesundheitsministerin mit. Ihr Parteivorsitzender Kurt Beck ließ sich eine Präzisierung nicht nehmen: Leistungskürzungen werde es nicht geben, aber für Komplikationen beispielsweise nach Piercings sollten die Krankenkassen nicht länger aufkommen. Und dafür der ganze wochenlange Aufwand?
Zumindest das Eckpunkte-Konzept, das für den 2. Juli zusammengestellt wurde, listet mehr Reformschritte auf. Darunter finden sich aus Sicht der Ärzteschaft durchaus sinnvolle Ansätze. „Mit vielen Zielsetzungen können wir uns grundsätzlich identifizieren. Entscheidend werden die Detailformulierungen sein“, stellte der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) fest. Und, muss man ergänzen, das Geld, das zur Verfügung gestellt wird. Folgendes wurde ausgehandelt:
- Es wird eine neue ärztliche Gebührenordnung erstellt, die Eurobeträge anstelle von Punkten vorsieht. Die Budgets sollen bis 2009 abgeschafft werden. Darüber hinaus soll den Krankenkassen das Morbiditätsrisiko übertragen werden. Vorgesehen ist aber auch, für GKV und private Krankenversicherung vergleichbare Vergütungen zu entwickeln.
- Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden in ihrer Existenz nicht infrage gestellt. Ihre Hauptaufgaben sollen in Zukunft „beim Qualitätsmanagement und der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung liegen“. Sie sollen zudem vermehrt als „Dienstleister“ für ihre Mitglieder fungieren. Aus dem differenzierter werdenden Vertragsgeschäft werden sie nicht weiter gedrängt, im Gegenteil: Sie sind in den Eckpunkten ausdrücklich als Partner auch bei Einzelverträgen aufgelistet.
- Eine sehr viel weitergehende Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung ist nicht vorgesehen. Allerdings sollen die bisherigen Möglichkeiten der Kliniken, zum Beispiel das ambulante Operieren, stärker genutzt werden.
- Die Eckpunkte enthalten Vorschläge zum Bürokratieabbau. Wirtschaftlichkeitsprüfungen sollen auf gravierende Fälle von Ressourcenverschwendung begrenzt werden.
- Im Bereich der Arzneimittel sollen flexiblere Preisvereinbarungen, die Einzelabgabe von Tabletten, Verordnungen unter dem Vorbehalt einer positiven Zweitmeinung sowie die Kosten-Nutzen-Bewertungen von Medikamenten für Sparpotenzial sorgen. Sabine Rieser
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