POLITIK
Deutschsprachige Ärzteorganisationen: „Wir brauchen eine Wertediskussion“


Der Präsident der gastgebenden Österreichischen Ärztekammer, Dr. med. Reiner Brettenthaler;
links neben ihm Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe
Foto: ÖÄK
Zum 52. Mal trafen sich in diesem Jahr Vertreter der Ärzteorganisationen aus Deutschland, Luxemburg, Österreich, der Schweiz und aus Südtirol zum Erfahrungsaustausch und entdeckten erneut viele, nicht immer angenehme Gemeinsamkeiten. Drohende Rationierung und zunehmende Reglementierung machen den Ärzten in den deutschsprachigen Ländern zu schaffen. „Verpflichtet gegenüber dem Einzelnen oder Erfüllungsgehilfe des sozialen Systems – das ist der eigentliche ärztliche Grundkonflikt bei vielem, das wir derzeit erleben“, sagte der diesjährige Gastgeber, der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Dr. med. Reiner Brettenthaler. Er setzte mit seinem Eröffnungsvortrag über „Megatrends in der Gesellschaft und der Medizin“ zugleich einen der Diskussionsschwerpunkte der Tagung, die vom 6. bis 8. Juli in Wien stattfand. „Wir müssen uns fragen, welches unsere Werte sind und ob diese es wert sind, verteidigt zu werden“, betonte Brettenthaler. Einfache Antworten gebe es nicht angesichts eines „alternden Europas“, drohenden Ärztemangels und der europaweiten Debatten über die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.
„Es zeichnet sich ein paradigmatischer Trendwechsel ab“, gab der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, zu bedenken. Die ärztliche Freiberuflichkeit stehe einer sich entwickelnden Angestelltenmentalität gegenüber. „Der niedergelassene Arzt, der sich Tag und Nacht für seine Patienten einsetzt, stirbt aus.“ Die nachrückende Ärztegeneration werde in einem regulierten und ökonomisierten System groß, in dem sie sich zunehmend in die Rolle des Erfüllungsgehilfen einfinde. Entwicklungen wie die Disease-Management-Programme (DMP), die in Deutschland bereits Realität sind und in Österreich derzeit eingeführt werden, beschleunigten diesen Trend. Als „Krankheitshandhabungsvorschriften“ bezeichnete BÄK-Präsident Hoppe die Chronikerprogramme, die seiner Ansicht nach in Deutschland eine besondere Bedeutung erlangt haben. Zum einen verlagerten sie den Fokus vom Patienten auf die Erkrankung. Zum anderen trügen sie mehr Kontrolle vonseiten Dritter in das Arzt-Patient-Verhältnis hinein. „Die DMP tragen dazu bei, das Arztbild zu verändern“, lautete Hoppes Fazit – eine Befürchtung, die man in Österreich teilt. „DMP sind ein weiterer Schritt in die Reglementierungs- und Rechtfertigungsmedizin“, kritisierte Dr. med. Wolfgang Routil, Vizepräsident der Ärztekammer Steiermark.
Um den Stellenwert von Freiberuflichkeit und Eigenverantwortung auch in der ärztlichen Fortbildung herauszustellen, hat die 52. Konsultativtagung ein Papier zur „Kontinuierlichen beruflichen Entwicklung (Continuous Professional Development, CPD) verabschiedet. Ziel der ärztlichen Fortbildung seien Erhalt und Weiterentwicklung ärztlicher Kompetenz. Fortbildung sei Bestandteil der ärztlichen Berufsausübung, und jeder Arzt sei zur Fortbildung verpflichtet, heißt es in dem Papier. Besonders hervorgehoben wurde die ärztliche Eigenverantwortung. Dazu stellten die Tagungsteilnehmer fest: „Jeder Arzt hat seinen individuellen Fortbildungsbedarf.“ Aufgrund seines individuellen Fortbildungsbedarfs soll jeder Arzt Themata und Methoden der Fortbildungsmaßnahmen auswählen können und diese später dokumentieren. Man wolle weg vom reinen Punktezählen, begründete Wolfgang Routil die Initiative der Konsultativtagung, einen eigenen Standpunkt zu veröffentlichen. „Wir wollen hin zu einem mehr outcome-orientierten System, damit die Erkenntnisse der Fortbildung in die Praxis umgesetzt werden können“, betonte der Ärztekammer-Vize aus der Steiermark. „Wichtig ist, dass der Arzt selbst seinen Fortbildungsbedarf bestimmt.“ Heike Korzilius