ArchivDeutsches Ärzteblatt33/2006Gesundheitsreform 2006: Uniformisten am Werk

POLITIK: Kommentar

Gesundheitsreform 2006: Uniformisten am Werk

Stüwe, Heinz

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LNSLNS Als Union und SPD nach der Bundestagswahl im Herbst 2005 ihren Dissens über die Gesundheitsreform im Koalitionsvertrag festgehalten hatten, wagte Ulla Schmidt eine Prognose. Womöglich, so sinnierte die Bundesgesundheitsministerin in kleinem Kreis, würden sich SPD und CDU 2006 auf einen Kompromiss verständigen, der jeder der beiden großen Parteien gestatte, nach einer gewonnenen Wahl 2009 die Weichen endgültig in ihrem Sinne zu stellen. Nun gibt es den Kompromiss, der das politische Problem des Koalitionsstreits um Bürgerversicherung und Kopfpauschale löst, nicht aber die Probleme der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Deshalb tun sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Ministerin so schwer, der Öffentlichkeit eine Grundidee der Reformeckpunkte zu vermitteln. Beide müssten wissen: Das Modell des Gesundheitsfonds bringt für das Gesundheitswesen keine zusätzlichen Einnahmen. Nicht einmal die drängendsten Finanzprobleme haben die Koalitionäre einer Lösung näher gebracht, wie die völlig ungerechtfertigte pauschale Budgetkürzung bei den Krankenhäusern um 500 Millionen Euro belegt. Die Beiträge werden 2007 steigen, aber nicht um die Unterfinanzierung zu beheben, sondern um das politisch verursachte Defizit auszugleichen. Zwar soll der gerade abgebaute Bundeszuschuss an die GKV von 2008 an in bescheidenem Umfang wieder eingeführt werden, doch woher das Geld kommen soll, steht noch in den Sternen. Mit diesem Hin und Her hat die große Koalition innerhalb weniger Monate den Beweis erbracht, dass eine Finanzierung des Gesundheitswesens aus Steuermitteln nie verlässlich sein wird.
Programmatisches Ziel der CDU (weniger der CSU) ist ein System, in dem die Krankenkassen im Wettbewerb stehen, jedes Mitglied unabhängig vom Einkommen eine Kopfpauschale zahlt und alle, die den Beitrag nicht aufbringen können, aus Steuermitteln unterstützt werden. Dass die einzelne Krankenkasse nach dem Reformplan eine Pauschale aus dem neuen Gesundheitsfonds erhält, die sie, wenn sie damit nicht auskommt, durch einen von den Versicherten zu zahlenden Zusatzbeitrag aufstocken kann, mag in diese Richtung weisen. Auch die Steuerfinanzierung könnte man so deuten, weil die Versicherung von Kindern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gilt, die nicht nur den Beitragszahlern aufgebürdet werden solle.
Die Politiker kündigen stärkeren Wettbewerb zwischen den Krankenkassen und mehr Wahlfreiheit für die Versicherten an. Aber Kernelemente des Entwurfs weisen in eine ganz andere Richtung: hin zu einer staatlichen Einheitsversicherung. Zwar bleibt die private Krankenversicherung (PKV) bestehen, auch von einer Bürgerversicherung, die Selbstständige und Beamte der Versicherungspflicht unterwerfen würde, ist nicht die Rede. Aber die Plattform dafür wird geschaffen: Der Wechsel in die PKV wird erschwert, die Privatversicherung durch Ausweitung des Basistarifs und ein gemeinsames Leistungsverzeichnis mit vergleichbarer Vergütung der GKV angenähert. Vor allem aber wird die Gesetzliche Krankenversicherung umgekrempelt. Die Umstellung des in Jahrzehnten bewährten Beitragseinzugsverfahrens für die gesamte Sozialversicherung ist überflüssig. Zwei parallele Erhebungsverfahren – durch den Fonds und durch die Krankenkasse für den Zusatzbeitrag – werden nicht weniger, sondern mehr Geld kosten, das für die Versorgung nicht zur Verfügung steht.
Wirklich systemverändernd sind weitere Maßnahmen: Die Kassen sollen ihre Beitragshoheit verlieren, den Beitragssatz bekommen sie vom Bundestag vorgegeben. Da ist es konsequent, die gemeinsame Selbstverwaltung durch eine Behörde zu ersetzen, die auf der Basis des politisch bewilligten Geldes Mangelverwaltung betreiben darf. Die Organisationen der Kassenarten will die Koalition zu gemeinsamen Bundes- und Landesverbänden zwangsvereinigen, die sämtliche Kollektivverträge schließen sollen. Für die Ärzteschaft ist das keine gute Perspektive, säße dann doch auf der anderen Seite des Tisches nur noch ein übermächtiger Vertragspartner. Auch für die Patientenversorgung verspricht es nicht Gutes, dass Ulla Schmidt eine staatsnahe Einheitsversicherung anstrebt. In diesem Leitbild ist für miteinander im Wettbewerb stehende Kassenarten kein Platz. Uniformität und Reglementierung statt Vertragsfreiheit und Vielfalt lautet die Devise. Nicht nur die Ministerin unterliegt dabei dem Irrtum, dass viele Kassen hohe Verwaltungskosten verursachen, wenige Kassen geringe und dass eine einzige am günstigsten wirtschaften würde. Wäre dies so, müsste die Bundesagentur für Arbeit eine effiziente Behörde sein. Tatsächlich nimmt mit der Größe die Bürokratie eher zu.
Sollten die Uniformisten und Verstaatlicher nicht noch gestoppt werden, wären die Weichen falsch gestellt – viele, so steht zu befürchten, auf Dauer. Heinz Stüwe

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