VARIA: Feuilleton
Weltkulturerbe Kishi: Unbestechliche Farbenpracht


Die Zwiebeln der Verklärungskirche zählen mehr als 30 000 Platten.
Anfang 1000 n. Chr. begann sich das orthodoxe Christentum in Russland zu etablieren, und so ist bereits für das 13. Jahrhundert dort immer ein Holzkirchenbau auf dem Pogost, dem Dorfplatz, nachweisbar. Von den vielen mehrkuppligen Holzkirchen, die während der Herrschaft Peters des Großen erbaut wurden, ist nur noch die Verklärungskirche (1713-14) erhalten. Dieser mehrstufige Bau ist äußerst kompliziert und wohl das beeindruckendste Bauwerk der Alten Rus. Es ist mit 22 Kuppeln gekrönt. Zum Bau der Kirche wurde Espenholz verwendet. Bei Regen saugt sie sich voll und wird fast schwarz. Kommt aber die Sonne heraus, wird das Holz trocken, und es schimmert dann in einem dunklen glänzenden Grau. Espe verzieht sich nicht, sie gewährleistet eine dauerhafte Deckung. Die Zwiebeln der Verklärungskirche zählen mehr als 30 000 Platten.
Ein weiteres Kleinod ist die Fürsprachekirche (1764). Ihre Neunzwiebelkonstruktion ist einmalig und nirgendwo mehr in der russischen Holzbaukunst zu finden. Von allen Bauten des Museums von Kishi ist die Kirche Auferstehung St. Lazar, die aus dem Kloster von Murom gebracht wurde, das älteste Gebäude, das Ende des 14. Jahrhunderts errichtet wurde.
Die eigentlichen Höhepunkte, die Kishi zu bieten hat, sind die Ikonen und die Ikonenwände. Fotos: Iris Schatz
Gefährdete Holzbauwerke
Die wahren Höhepunkte, die Kishi zu bieten hat, sind die einzelnen Ikonen und die beiden großen Ikonenwände in der Verklärungs- und Fürsprachekirche. Sie wurden im 17. und 18. Jahrhundert gemalt und erzählen in unbestechlicher Farbenpracht die Geschichten der Bibel. Zwar sind die beiden Hauptkirchen dunkel gehalten, doch die vergoldeten Kunstwerke lassen den Innenraum in einem eigenen Licht erstrahlen. Nach 50 Jahren Sowjetherrschaft werden heute wieder in den Kirchen von Kishi Gottesdienste abgehalten. Aber wie lange noch?
Holzbauwerke sind anfälliger als die Steinbauten und bedürfen ständiger Renovierungsarbeiten. Heutzutage sind diese Bauwerke durch die politischen Umbrüche in Russland, den wachsenden, von der örtlichen Museumsverwaltung aktiv geförderten Tourismus sowie durch das wirtschaftliche Wachstum der Region gefährdet. Die Folgen vergangener Ausbesserungsarbeiten beschleunigen den Verfall. Besonders gravierend sind die Probleme bei der Verklärungskirche. Gegenwärtig wird sie durch ein Stützgerüst im Inneren vor dem Einsturz bewahrt. Ohne geeignete Maßnahmen werden die Gebäude zusammen mit den kostbaren Ikonenwänden und den verzierten Altarteilen in zehn bis 15 Jahren verloren sein. Iris Schatz