ArchivDeutsches Ärzteblatt34-35/2006Weltkulturerbe Kishi: Unbestechliche Farbenpracht

VARIA: Feuilleton

Weltkulturerbe Kishi: Unbestechliche Farbenpracht

Schatz, Iris

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LNSLNS Die Kirchen und Bauernhäuser geben einen Eindruck davon, wie die Menschen im 17. Jahrhundert gelebt haben.

Die Zwiebeln der Verklärungskirche zählen mehr als 30 000 Platten.
Die Zwiebeln der Verklärungskirche zählen mehr als 30 000 Platten.
Der Onegasee mit seinen mehr als 50 Zuflüssen liegt im europäischen Nordwesten Russlands, zwischen dem Ladogasee und dem Weißen Meer. Er erstreckt sich über eine Fläche von 9 700 Quadratkilometern. Das gelblich-braune Wasser des Sees, der mehr als 40 verschiedene Fischarten, darunter Hecht, Barsch und Lachs, beheimatet, fließt in den Fluss Svir. Im nördlichen und nordwestlichen Teil des Sees gibt es mehr als 1 650 Inseln, und eine davon ist Kishi, die in der Republik Karelien liegt und heute Weltkulturerbe ist. Es heißt, dass Kishi auf das karelische Wort „kizhat“, was „Spielplatz“ bedeutet, zurückgeht. Sehr wahrscheinlich war dort in Urzeiten der „heilige Ort“ an dem die ugro-finnischen Stämme ihren rituellen Kult vollzogen.
Anfang 1000 n. Chr. begann sich das orthodoxe Christentum in Russland zu etablieren, und so ist bereits für das 13. Jahrhundert dort immer ein Holzkirchenbau auf dem Pogost, dem Dorfplatz, nachweisbar. Von den vielen mehrkuppligen Holzkirchen, die während der Herrschaft Peters des Großen erbaut wurden, ist nur noch die Verklärungskirche (1713-14) erhalten. Dieser mehrstufige Bau ist äußerst kompliziert und wohl das beeindruckendste Bauwerk der Alten Rus. Es ist mit 22 Kuppeln gekrönt. Zum Bau der Kirche wurde Espenholz verwendet. Bei Regen saugt sie sich voll und wird fast schwarz. Kommt aber die Sonne heraus, wird das Holz trocken, und es schimmert dann in einem dunklen glänzenden Grau. Espe verzieht sich nicht, sie gewährleistet eine dauerhafte Deckung. Die Zwiebeln der Verklärungskirche zählen mehr als 30 000 Platten.
Ein weiteres Kleinod ist die Fürsprachekirche (1764). Ihre Neunzwiebelkonstruktion ist einmalig und nirgendwo mehr in der russischen Holzbaukunst zu finden. Von allen Bauten des Museums von Kishi ist die Kirche Auferstehung St. Lazar, die aus dem Kloster von Murom gebracht wurde, das älteste Gebäude, das Ende des 14. Jahrhunderts errichtet wurde.
Die eigentlichen Höhepunkte, die Kishi zu bieten hat, sind die Ikonen und die Ikonenwände. Fotos: Iris Schatz
Die eigentlichen Höhepunkte, die Kishi zu bieten hat, sind die Ikonen und die Ikonenwände. Fotos: Iris Schatz
Aber nicht nur die Kirchen, auch die Bauernhäuser mit ihren eingerichteten Wohnräumen, Stall, Scheune, Werkstatt und Lagerräumen sowie die Mühle und das Badehaus geben einen Eindruck davon, wie die Menschen im 17. Jahrhundert im Norden Russlands gelebt haben. Sie sind mit kunstvollem Schnitzwerk verziert, und die gewebten Decken, gestickten Handtücher und Unterdecken, in den traditionellen Farben Weiß und Rot gehalten, sind übersät mit Mustern von Blumen, Pflanzen und Tieren.
Gefährdete Holzbauwerke
Die wahren Höhepunkte, die Kishi zu bieten hat, sind die einzelnen Ikonen und die beiden großen Ikonenwände in der Verklärungs- und Fürsprachekirche. Sie wurden im 17. und 18. Jahrhundert gemalt und erzählen in unbestechlicher Farbenpracht die Geschichten der Bibel. Zwar sind die beiden Hauptkirchen dunkel gehalten, doch die vergoldeten Kunstwerke lassen den Innenraum in einem eigenen Licht erstrahlen. Nach 50 Jahren Sowjetherrschaft werden heute wieder in den Kirchen von Kishi Gottesdienste abgehalten. Aber wie lange noch?
Holzbauwerke sind anfälliger als die Steinbauten und bedürfen ständiger Renovierungsarbeiten. Heutzutage sind diese Bauwerke durch die politischen Umbrüche in Russland, den wachsenden, von der örtlichen Museumsverwaltung aktiv geförderten Tourismus sowie durch das wirtschaftliche Wachstum der Region gefährdet. Die Folgen vergangener Ausbesserungsarbeiten beschleunigen den Verfall. Besonders gravierend sind die Probleme bei der Verklärungskirche. Gegenwärtig wird sie durch ein Stützgerüst im Inneren vor dem Einsturz bewahrt. Ohne geeignete Maßnahmen werden die Gebäude zusammen mit den kostbaren Ikonenwänden und den verzierten Altarteilen in zehn bis 15 Jahren verloren sein. Iris Schatz

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