ArchivDeutsches Ärzteblatt34-35/2006Sambia: Livingstone und der donnernde Rauch

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Sambia: Livingstone und der donnernde Rauch

Motz, Roland

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LNSLNS Braune Buschlandschaft, ockergelbe Steppe, ein blaues Band, das plötzlich in weißem Rauch verschwindet. Dann ist die Maschine aus Johannesburg auch schon über das Weltwunder der Natur hinweggeflogen und sicher in Livingstone gelandet. Sambia, Simbabwe, Botswana und Namibia grenzen hier am Sambesi aneinander, aber nur zwei Länder haben direkten Zugang zu den Fällen. Bis vor drei Jahren hat sich die Zahl der Touristen um die Victoriafälle zwischen Simbabwe und Sambia in etwa gleich verteilt. Doch seit Präsident Mugabe die weißen Farmer und andere Volksgruppen verfolgen lässt, bleiben die Touristen im Sambesi Falls National Park aus. Die Hotelanlagen in Simbabwe stehen leer, und auch der grenzüberschreitende Tagestourismus ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. „That Mugabe, he eats alone“, werfen die fliegenden Händler vor der Brücke, die den sambesischen mit dem simbabwischen Teil der Fälle verbindet, ihrem Präsidenten vor. Essen teilen in der Not, das ist der älteste afrikanische Traum, den Mugabe nach Ansicht vieler verraten hat. Mit der Enteignung der weißen Farmer habe er dem Land geschadet – vor allem, um sich zu bereichern. So kommen im September 2005 nur noch die Elefanten wie immer um diese Zeit über die Grenze. Die Touristen bleiben in Sambia.
Sambia: Vicotriafälle, vor 150 Jahren entdeckt
Sambia: Vicotriafälle, vor 150 Jahren entdeckt
Livingstone liegt acht Kilometer von den Fällen entfernt und hat seine Existenz dem „donnernden Rauch“ zu verdanken. Folgerichtig heißt die Hauptstraße Mosi oa Tunya, und die rund 100 000 Einwohner zählende Stadt selbst ist nach dem Entdecker des Wasserfalls benannt. Post und Bank, der Busbahnhof, ein paar Kolonialbauten mit ihren abbröckelnden Fassaden, wo unter schattigen Arkadengängen Safaris, Rafting- und Bootstouren angeboten werden – das Zentrum von Livingstone ist überschaubar, und das ist auch gut so bei der großen Hitze. Im Museum kann man für ein paar Kwacha die Entdeckungsgeschichte der Fälle nachvollziehen. Auf der Suche nach den Nilquellen erreichte David Livingstone 1855 die große Abbruchkante am Sambesi. Von der Mbusi-Insel blickte er als erster Weißer in die brodelnde Tiefe, ohne dass ihm der Schlamm von emsigen schwarzen Händen von den Füßen gewaschen wurde, wie es sich heutige Luxusausflügler dort in emaillierten Badewannen gefallen lassen. Drei Jahre später hatte der durch Tropenkrankheiten bereits niedergestreckte Afrika-Forscher das Rätsel des Nils noch immer nicht gelöst, wurde dafür selbst vom Sensationsreporter Stanley in einer aufwendigen Suchaktion weiter flussaufwärts gefunden und mit dem zum geflügelten Wort für britisches Understatement gewordenen Satz begrüßt: „Mr. Livingstone, I presume.“
Fotos: Roland Motz
Fotos: Roland Motz
Die einzige asphaltierte Straße Livingstones leitet an einem von Elefanten niedergetrampelten Dorf vorbei aus dem Sambesi-Tal heraus zur Hauptstadt Lusaka. In entgegengesetzter Richtung führt sie neben der von Buschgras überwucherten Eisenbahnlinie zu den Victoriafällen. Zuerst ist es nur so ein Gefühl, hervorgerufen durch ein immer bedrohlicher werdendes Grollen und weißen Rauch über den Baumwipfeln: das Gefühl, am großen Wasser zu sein. Dann öffnet sich der dichte Regenwald und gibt den Blick frei auf Felswände, Wasserfontänen, Gischt. Auf einer Breite von zwei Kilometern rauscht der mächtige Sambesi, begleitet von Regenbögen, über 100 Meter tief in eine Schlucht. Wenn der Fluss in der Regenzeit mehr als 500 Millionen Liter Wasser je Minute über die senkrechte Abbruchkante in die Tiefe kippt und sich in einen röhrenden Hexenkessel verwandelt, steigt die Gischtwolke 300 Meter aus dem „Boiling Pot“. Aber auch jetzt im September werden wir nass bis auf die Haut. Immerhin sind die von Livingstone auf den Namen der englischen Königin Victoria getauften Katerakte doppelt so breit und hoch wie die Niagarafälle. Mosi oa Tunya, Rauch mit Donner, wie die Einheimischen das Naturwunder nannten, ist einer der aufregendsten Plätze Afrikas. Wer einmal abends beim Sundowner im Royal Livingstone in Sichtweite der Fälle unter einer Rotbuche am Sambesi gesessen hat, während die Elefanten am anderen Ufer grasen und sich die Flusspferde träge zwischen den zahlreichen Inseln fläzen, fühlt sich auch ohne neuzeitlichen Firlefanz wie Bungee-Sprung von der Victoria-Falls-Brücke oder Candle Light Dinner auf der African Queen dem Paradies sehr nahe.
Traumatisiertes Simbabwe
Um das andere Gesicht Afrikas zu sehen, muss man weder in das traumatisierte Simbabwe noch über die Grenze nach Botswana fahren, wo die Schulen halbleer stehen, weil die Eltern die wenigen Cents für das Essensgeld nicht aufbringen können. Bereits mitten im Zentrum von Livingstone zwischen den Matutu- Haltestellen für die Sammeltaxis und dem großen Maramba-Markt beginnen die Elendsviertel. „Es ist immer dasselbe. Die Eltern sterben an Aids, Großeltern und Verwandte können keinen weiteren Mund durchfüttern“, beklagt die resolute Leiterin des Lubasi-Waisenhauses das Schicksal der ihr anvertrauten Kinder. Die südafrikanische Hotelgruppe Sun International unterstützt mit Geld- und Sachspenden die Waisen- und Altersheime der Stadt. Der seit 2001 mit tausend Angestellten größte Arbeitgeber Livingstones will sich damit auch die Zustimmung der Bevölkerung für den aus ökologischen Gründen umstrittenen Bau zweier Hotels in Sichtweite der Fälle sichern. Nur noch aus „skin and bones“ bestehend, würden die Kinder das Heim erreichen, so wie Julia und Diana, die vor Wochen am Bahnhof mit einem Zettel um den Hals von Sozialarbeitern aufgefunden wurden, ausgesetzt von ihrer Mutter, die schnell auf den abfahrenden Zug nach Lusaka gesprungen war. „Jetzt lachen sie wieder, sogar viel, aber etwas Trauriges hat sich für immer in ihren Blick eingegraben“, sagt Lady Mokwema, „sie vertrauen niemandem, weil sie so oft enttäuscht worden sind in ihrem kurzen Leben.“ Es gibt Bohnen zum Babotie, dem Rindfleischgericht mit Minze und Curry, zu dem wir eingeladen sind. „Es ist besser, sein Baby wegzuwerfen als Bohnen“, ruft uns die Leiterin des Waisenhauses ein altes afrikanisches Sprichwort zum Abschied hinterher. Gleichmut, Ironie und Lebenskraft unter schwierigsten Bedingungen – auch das ist Afrika. Roland Motz


Reise-Tipps

Auskunft Anreise
Mehrmals täglicher Direktflug von Johannesburg nach Livingstone, Flug- und Busverbindung (sieben Stunden) nach Lusaka. Unterkunft: The Royal Livingstone. Unter anderem bei der TUI, Airtours und Dertour oder direkt unter www.suninternational.
com buchbar. Das am Ufer des Sambesi innerhalb des Mosi Oa Tunya Wildlife Parks in Sambia liegende luxuriöse Hotel verfügt über 170 Zimmer im afrikanischen Kolonialstil – ein geradezu paradiesischer Ort in Sichtweite der Victoriafälle.
Zambezi Sun
Auch das preiswerte 3-Sterne-Hotel in Sichtweite der Fälle gehört zu der südafrikanischen Hotelkette Sun International.
Literatur
Henning Mankell – Das Auge des Leoparden, Zsolnay-Verlag 2004, 21,50 Euro; Reisen in Sambia und Malawi, Ilona Hupe-Verlag, 23,90 Euro.

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