KULTUR
(Familien-)Geschichte: Mit sanfter Ironie


W. Paul Strassmann:
Die Strassmanns.
Schicksale einer
deutsch-jüdischen
Familie über zwei
Jahrhunderte. Campus,
Frankfurt, New York,
2006, 376 Seiten,
gebunden, 24,90 F
Prof. Paul Ferdinand Strassmann (1866–1938) war einer der bedeutendsten Frauenärzte der Weimarer Republik. Sein Name ist noch heute aufgrund seiner Metroplastik (Strassmann-Operation) in den operativen Lehrbüchern zu finden und bleibt auch mit der 1844 gegründeten Berliner Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, deren Schriftführer und Vorsitzender er jahrzehntelang war, verbunden. Zahlreiche ausländische Ärzte besuchten damals die als vorbildlich geltende Strassmann-Klinik in der Schumannstraße, so auch die Mayo-Brüder aus Rochester, die später Erwin Strassmann, dem Sohn Pauls, bei der Emigration in die USA halfen. Prof. Erwin Strassmann (1895–1972), Frauenarzt wie sein Vater, seit 1942 amerikanischer Staatsbürger und 1965 von Bundespräsident Heinrich Lübke mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet, lieferte wesentliche Beiträge zur Etablierung der modernen Frauenheilkunde in den USA.
Prof. Fritz Strassmann (1858– 1940), ein Schüler Virchows und Limans, war über Jahrzehnte einer der führenden Gerichtsmediziner Deutschlands. Sein Wirken führte unter anderem dazu, dass sich die Rechtsmedizin zu einem eigenständigen Fach im universitären Fächerkanon entwickelte. Die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin ehrt heute ihre verdienten Mitglieder mit der Fritz-Strassmann-Medaille, und die Freie Universität Berlin hat ihr Gebäude für Rechtsmedizin in Fritz-Strassmann-Haus umbenannt.
Zahlreiche, bisher unbekannte Originalfotografien illustrieren eindrucksvoll die Höhepunkte der fruchtbaren deutsch-jüdischen Symbiose, wie sie von vielen gesehen wurde – bis 1933 die Nationalsozialisten einen mörderischen Schlussstrich unter den hohen Traum der vollendeten Emanzipation zogen. Entrechtung und Erniedrigung, Ausbürgerung und Emigration, staatlich sanktionierter Raub, Folter und systematische Ermordung folgten. Auch die Strassmann-Familie wurde nicht verschont. Ein Strassmann, Ernst, leitete sogar eine Widerstandsgruppe. Andere Familienmitglieder konnten emigrieren, doch der Name Theresienstadt wurde für immer in den Stammbaum der Familie eingebrannt.
W. P. Strassmann erzählt kenntnisreich mit sanfter, gelegentlich bitterer Ironie und lässt deutsche Geschichte subjektiv Revue passieren. Strassmann hat dieses Buch zu seinem 80. Geburtstag herausbringen können, den er in beneidenswerter Gesundheit und Frische mit seiner amerikanischen Familie und den deutschen Freunden im Juli in Berlin feierte. Der Kreis, ausgehend von seiner Berliner Kindheit, der erzwungenen Emigration und dem Neubeginn sowie der Blüte der Strassmann-Familie in den USA und anderswo in der Welt, hat sich teilweise geschlossen.
Andreas D. Ebert
Geserick, Gunther
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