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Ärzte für die Dritte Welt: Einsatz in Nicaragua


Wo sind die vielen spielenden Kinder auf staubigen Wegen geblieben? Hier ist alles irgendwie verplant – und eng. Im 130 000 Quadratkilometer großen Nicaragua ist dagegen sehr viel Platz. Täglich musste ich bis zu vier Stunden im Geländewagen sitzen, um die Streusiedlungen der Indianer zu erreichen. Das tropische Klima war nur sehr schwer zu ertragen. Hinzu kamen tägliche Höhenunterschiede von etwa 1 200 Meter bei den Fahrten zu den Bergsiedlungen. Auf Dauer am anstrengendsten war es aber, sich auf das Zeitgefühl der Mittelamerikaner einzustellen.
Fehlende Straßenanbindung, schlechte Bildung, traditionelle Landwirtschaft mit Mais und roten Bohnen auf schlechten Böden mit langen Trockenzeiten, schlechtes Trinkwasser, Nichtnutzung von WC-Häuschen, fehlendes Stromnetz, offene Lehmhütten, lange Wege zum nächsten staatlichen Gesundheitsposten, anstrengendes Klima, die Folgen eines Wirbelsturmes und wiederholte Hungersnöte – die Probleme der Ureinwohner sind vielfältig. Bis zu 30 Prozent der Kleinkinder sind stark unterernährt. Fast alle Kleinkinder zwischen zwei und fünf Jahren haben einen Wurmbauch, „Chimbombita“ genannt. Zahnärztliche Behandlungen kann sich niemand leisten.
Essen, Gegenstände oder Land zu teilen ist ein zentraler Wert der Kultur. So bekam ich selbst vom ärmsten Bauern noch das letzte Ei gebraten, eine Tasse selbst gemachten Kaffee angeboten, Tortilla mit Bohnen serviert oder eine Ayote, eine Kürbisfrucht, geschenkt.
Ein Arzt verdient etwa 200 Dollar im Monat. Während meiner Aufenthaltszeit streikten die Ärzte seit sechs Monaten für mehr Einkommen. „Meine“ Krankenschwestern bekamen zwischen 60 und 120 Dollar Gehalt im Monat.
Papiere benötigte ich in der kleinen Kolonialstadt Ocotal nicht. Eine persönliche Vorstellung beim katholischen Pfarrer, Francisko Robles, und ein Abendessen beim örtlichen Ärzteverein und bei Bürgermeisterin Marta reichten aus. Ein Besuch bei der Deutschen Botschaft zur Beantragung eines Jahresvisums war allerdings notwendig.
Geduldig
warten die Indianerfrauen
mit ihren
Kindern auf den
deutschen Arzt.
Fotos: Martin Steinert
15 000 Kilometer
legte der Autor
unfallfrei über
staubige Straßen im
Gebirge zurück.
Tropenkrankheiten kamen selten vor. Für das häufige Denguefieber gibt es ein staatliches Insektenbekämpfungsprogramm. Tuberkulosebehandlung und Sputumtest erfolgten über speziell ausgebildete Krankenschwestern. Auf Malaria konnten von meinen Mitarbeiterinnen alle Patienten mit lang anhaltenden Fieberzuständen durch einen Blutausstrich (Großer Tropfen) kontrolliert werden. Chronische Wunden waren verdächtig auf Berglepra (Hautleishmanias). Für die sehr häufige südamerikanische Schlafkrankheit (Chagas) und die Cholera gibt es ein Prophylaxeprogramm von „Ärzte ohne Grenzen“. Eine spanische Krankenschwester in Mozonte bildete Dorfhelfer für die Erste Hilfe bei Durchfallerkrankungen, Erkennung von Pneumonien, Mütterberatung oder Trinkwasserkontrolle aus. Die Verbreitung von Aids soll bei etwa einem bis zwei Prozent liegen; insbesondere in den Großstädten und in den Karibikregionen gibt es stark zunehmende Zahlen. Die gleichen Gebiete betreffen auch Drogen und Alkoholprobleme. Mit Nahrungsmittelhilfe, Trinkwasserbohrungen und Schulneubauprogrammen sind die UNO, das Rote Kreuz, die EU und das Welt-Food-Programm im Regierungsbezirk aktiv.
Was bleibt nach der langen Zeit in Nicaragua? Ich bin vielen hilfsbereiten Menschen begegnet und habe unvergessliche Erfahrungen gesammelt – auch, dass die unmittelbaren Lebensumstände wie Kultur, Ernährung, Bewegung, Wasserqualität, Stress oder Bildung mehr Einfluss auf die Lebensqualität haben als unsere teure Medizin. Unserer ärztlichen Kunst täte daher die Einbeziehung aller Lebensumstände unserer Patienten und mehr Bescheidenheit gut. Martin Steinert
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