ArchivDÄ-TitelSupplement: ReisemagazinSUPPLEMENT: Reisemagazin 2/2006Vive la Réunion: Wanderparadies im Indischen Ozean

SUPPLEMENT: Reisemagazin

Vive la Réunion: Wanderparadies im Indischen Ozean

Dtsch Arztebl 2006; 103(41): [20]

Willenberg, Ulrich

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Der Cirque de Mafate, ein gewaltiger Talkessel am Fuß des erloschenen Piton des Neiges, zieht Wanderer aus aller Welt an.
Der Cirque de Mafate, ein gewaltiger Talkessel am Fuß des erloschenen Piton des Neiges, zieht Wanderer aus aller Welt an.
Abenteuerurlaub in einem erloschenen Vulkan – im Cirque des Mafate suchten einst Sklaven Zuflucht.

Der Mann macht Mut. Gut gelaunt verkündet der Sprecher im Fernsehen von La Réunion den Wetterbericht für die nächsten Tage. Strahlend schön soll es werden bei Temperaturen bis zu 27 °C. Ideale Bedingungen für Wanderungen in die Bergwelt der französischen Insel, die sich 9 000 Kilometer von Paris entfernt im Indischen Ozean verliert. Doch das Wetter hält sich nicht an die Prognose. Stattdessen treiben Passatwinde düstere Wolken heran, die sich an den Hängen abregnen.
Die Laune der Touristen in der Pension von Madame Yvette Boyer sinkt auf den Tiefpunkt. Tagelang sind sie schon durch den Regen gelaufen, obwohl die feuchte Monsunzeit eigentlich längst vorüber ist. Nun wartet die Gruppe im Dörfchen Grand Ilet auf besseres Wetter. „Wenn man die Sonne im Herzen hat, ist sie auch am Himmel“, flachst die Wirtin. „Der Vulkan ist schuld. Immer wenn er ausbricht, wird das Wetter schlecht“, glaubt dagegen ihr Gast Marie, die an der Küste lebt. Tatsächlich brodelt es seit einer Woche im Inneren des Piton de la Fournaise, der zu den aktivsten Vulkanen der Welt gehört.
Schon vor 12 000 Jahren erloschen ist der benachbarte Piton des Neiges, der mit 3 070 Metern höher ist als die Zugspitze. Seither nagen Wind und Wasser an dem „Dach des Indischen Ozeans“. Durch eingestürzte Krater und Erosion entstanden drei gewaltige Talkessel (Cirques), die den Gipfel wie ein dreiblättriges Kleeblatt umschließen. Vor allem der Cirque de Mafate zieht Wanderer aus aller Welt an.
Wir wählen den kürzesten Einstieg über den 1 940 Meter hohen Col des Boeufs, wo die Straße endet. Als wir den Kraterrand erreichen, versperrt dichter Nebel die Sicht. Doch plötzlich bricht die Sonne durch und gewährt einen atemberaubenden Blick in die Tiefe. Bis zu 1 200 Meter hohe, zum Teil senkrechte Felswände begrenzen den Kessel wie ein natürliches Bollwerk. Ein weiß gefiederter Tropicvogel durchstößt einen Regenbogen, der sich über die etwa 80 Quadratkilometer große Senke spannt.
Über einen glitschigen, mit Holzbohlen befestigten steilen Pfad geht es hinab. Wir durchqueren einen Märchenwald aus riesigen Farnen, Agaven, meterhohen Bambusrohren und mit Flechten überwucherten, knorrigen Tamarinden. Zahlreiche durchnässte Wanderer schmettern uns ein freudiges „Bonjour“ entgegen.
Nichts für zarte Gemüter: Der Weg von Marla nach La Nouvelle führt über eine Hängebrücke. Foto: Ulrich Willenberg
Nichts für zarte Gemüter: Der Weg von Marla nach La Nouvelle führt über eine Hängebrücke. Foto: Ulrich Willenberg
Der starke Regen der letzten Tage hat Rinnsale in reißende Bäche verwandelt und Wege überflutet. Hechelnd überholen uns asketische, mit Trinkflaschen behängte Läufer. Sie trainieren für den 125 Kilometer langen „Grand Raid“, eines der härtesten Crossrennen der Welt, das quer über die Insel führt. Alljährlich beteiligen sich mehr als 2 000 Sport-Junkies an dem organisierten Wahnsinn. Die Bestzeit liegt bei 16 Stunden, wer nach drei Tagen das Ziel nicht erreicht, wird disqualifiziert.
Den Cirque de Mafate muss man sich hart erarbeiten. Ständig geht es steil bergauf oder bergab. Die 15 Siedlungen mit zusammen 800 Einwohnern liegen weit verstreut auf fruchtbaren Plateaus, die durch tiefe Schluchten voneinander getrennt sind. Wegen ihrer isolierten Lage werden die Dörfer „Ilets“ (Inselchen) genannt und sind nur zu Fuß oder mit dem Hubschrauber erreichbar. Obwohl der Kessel an der längsten Stelle nur zehn Kilometer misst, brauchen Wanderer zwei bis drei Tage, um von einem Ende ans andere zu gelangen.
Der Weg zwischen dem Col des Boeufs und dem größten Ort La Nouvelle gehört zu den einfacheren Abschnitten. Dennoch benötigen wir fast drei Stunden für die nur fünf Kilometer lange Strecke. Am Rande des Dorfes, das auf einer Hochebene liegt, weiden schwarz-weiß gefleckte Kühe. Weiße Girlanden aus Holz und Blech verzieren die bunten Dächer. Das feuchtwarme Klima lässt in den Gärten Bananenstauden, Pfirsiche, Trompetenbäume und Mispeln gedeihen. Der Duft von Geranien und Fuchsien erfüllt die klare Bergluft. Rund 200 Menschen leben in dem Dorf, die meisten sind Kinder und Jugendliche. Es gibt sogar eine Schule; einer der Lehrer heißt ausgerechnet Specht und stammt aus dem Elsass.
Viele Mafatais sind Nachfahren entlaufener Sklaven, die in den Bergen Zuflucht suchten. Erst 1848 verbot die französische Regierung mit dem Pariser Edikt die Leibeigenschaft. In der Folgezeit siedelten sich auch verarmte weiße Pflanzer in den Bergen an und vermischten sich mit den Schwarzen. Das abgeschiedene Leben prägt den Charakter der Menschen, die zumeist Bègue oder Horeau heißen und mehr oder weniger miteinander verwandt sind. Viele wirken zunächst verschlossen und etwas schroff.
Der Wandertourismus hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Broterwerb entwickelt und den Bewohnern einen bescheidenen Wohlstand gebracht. Von allen Dörfern bietet La Nouvelle das größte Angebot an Unterkünften. Hohe Ansprüche sollte man jedoch nicht stellen, zumeist werden nur enge Mehrbettzimmer angeboten. Zu den Gewinnern des Tourismus zählt André Bègue. Gestresst wie ein Manager sitzt er in seinem muffigen Büro am Computer und koordiniert die Flüge seines Helikopters. Neben der Charterfirma betreibt er ein Restaurant und ein Lebensmittelgeschäft. Zudem vermietet er Zimmer und backt Brot. Da bleibt kein Raum mehr für einen kleinen Plausch.
Etwas gesprächiger zeigt sich dagegen Sylvie Bègue. Mit Blick auf die grandiose Bergwelt wartet sie vor ihrem kleinen Laden auf Kundschaft. Die junge Mutter liebt das überschaubare Leben in der Abgeschiedenheit. „Ich fühle mich sehr aufgehoben. Es ist so schön und ruhig hier“, schwärmt die Geschäftsfrau. Das soll auch so bleiben. Den Plänen, eine Straße nach La Nouvelle zu bauen, erteilten die Dorfbewohner eine klare Absage. „Jeder ist dagegen“, berichtet Sylvie Bègue. Eines ist sicher: La Réunions Wanderparadies würde durch eine Straße mehr verlieren als gewinnen. „Wir wollen keinen Autolärm“, sagt Madame Bègue bestimmt. Und mit dem gelegentlichen Geknatter des Hubschraubers kann sie gut leben. Der kommt mehrmals am Tag, um die Bewohner mit Waren zu versorgen. Auch der Arzt und der Zahnarzt schweben regelmäßig mit dem Helikopter zur Visite ein. Im Notfall lassen sie Patienten ausfliegen. Nur zehn Minuten benötigt der Pilot bis hinunter ins Hospital von Saint-Denis. Vier Tage braucht dagegen der Briefträger, um alle Dörfer abzuklappern. Auch der Pfarrer besucht seine Schäfchen zu Fuß. Ulrich Willenberg


Informationen:
Veranstalter: DERTOUR bietet Wandertouren durch die Bergwelt von La Ré-
union sowie Rundreisen mit dem Auto individuell oder in der Gruppe. Telefon: 0 69/95 88-00, Internet: www.dertour.de. Meier’s Weltreisen hat eine Busrundreise sowie eine individuelle Mietwagentour im Programm. Telefon: 0 69/95 88-00, Internet: www.meiers-weltreisen.de.
Anreise: Mit Air Mauritius von Frankfurt/M. nach Mauritius. Von dort tägliche Anschlussflüge nach La Réunion (Flugdauer circa 30 Minuten). Telefon: 0 69/24 00-19 90, Internet: www.airmauritius.com. Viele Urlauber verbinden eine Wandertour auf La Réunion mit einem Badeurlaub auf Mauritius.
Informationen: Fremdenverkehrsbüro von La Réunion, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt/Main, Telefon: 0 69/97 59 04 94, Internet: www.insel-la-reunion@france guide.com.
Beste Reisezeit: von April bis November.
Wandern: Es gibt rund 1 000 Kilometer Wanderwege auf La Réunion, davon führen allein 100 Kilometer durch den Cirque de Mafate. Eine gute Kondition sowie Trittsicherheit sind erforderlich. Die Wege im Cirque de Mafate sind gut ausgeschildert. Wer auf eigene Faust losgeht, sollte eine detaillierte Karte mitnehmen und sich vorher bei der Maison de la Montagne über Wetter und Zustand der Wege informieren (Telefonnummer vor Ort: 02 62/90 78 78).
Literatur: Réunion, Dumont Reise-Taschenbuch.

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