KULTUR
Friedrich Wolf: Revolutionär im Einfamilienhaus


Foto: picture alliance/akg
Der Hinweis auf den Holzplanken ist schon etwas verwittert, der „Alte Kiefernweg“ holprig. Die Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz blüht ein wenig im Verborgenen. Die Nr. 5 ist ein schmuckes Einfamilienhaus in gelbem Klinker, modern möbliert im Stil der Deutschen Werkstätten. Friedrich Wolf (1888 bis 1953), der Arzt, Dramatiker und Agitator im Dienst der Arbeiterklasse, hat in der Idylle die letzten fünf Lebensjahre verbracht, zusammen mit seiner Frau Else, von der er lange getrennt war. Wolf hatte 1948, als ihm die DDR das Haus in Lehnitz zuwies, ein abenteuerliches Leben hinter sich. Zeitbedingt, aber auch weil es seiner Art entsprach.
Mit 14 riss er zum ersten Mal von zu Hause, einem gutbürgerlichen Elternhaus in Neuwied, aus, ging zur See, wanderte nach Rom, studierte Medizin und Bildhauerei, wurde Arzt. Als Truppenarzt im Ersten Weltkrieg „den Sinn des imperialistischen Krieges, wenn auch langsam, begreifend“ (Wolf), nahm er nach dem Krieg an Arbeiteraufständen teil. Seine Erfahrungen mit der Rätedemokratie spiegeln sich in seinem wohl bekanntesten Stück, „Die Matrosen von Cattaro“ (1930), wider. Die Meuterei der Matrosen im Jahr 1918 implodiert infolge interner Zwistigkeiten. Die Anführer scheitern ehrenvoll, im Glauben, ein Zeichen gegen die Unterdrückung gesetzt zu haben.
Dr. med. Friedrich Wolf wurde in den 20er-Jahren Armenarzt in Remscheid und auf der Rauhen Alb. Dort kam ihm die Idee zu dem Drama „Der Arme Konrad“ (1923), ein immer noch spannendes Stück, das die Bauernrevolte 1514 thematisiert. Wolf war Anhänger der Lebensreform und praktizierte als Arzt Naturheilkunde. Neben den Dramen entstand so 1927 sein Haus- und Lehrbuch „Die Natur als Arzt und Helfer“, das bis heute erhältlich ist. Zu seinen Glanzzeiten in den 20er- und 30er-Jahren war Wolf bekannt und umstritten, als Dramatiker und als politischer Agitator der äußersten Linken. Wolf strebte mit allen Mitteln nach Gerechtigkeit. Nur durch Revolution von links glaubte er, sie erreichen zu können. Damit wurde er zu einem „Lieblingsfeind“ der Nazis.
Sein Drama „Cyankali“ (1929), das die Nöte einer ungewollt schwangeren Arbeiterin behandelt, löste eine heftige politische Debatte über den § 218 aus. Der darauf basierende Film wurde immer wieder zensiert und unter den Nazis 1933 sogleich verboten. Das Stück „Professor Mamlock“ schrieb Wolf 1933 schon im französischen Exil. Wolf, der aus einem jüdischen Elternhaus stammte, schildert darin hellsichtig das Schicksal eines jüdischen Chirurgen, der lange nicht glauben will, dass man ihn, den überzeugten Deutschen, aus dem Beruf drängen darf. Die deutschsprachige Premiere hatte „Professor Mamlock“ 1934 im Zürcher Schauspielhaus unter heftigem Störfeuer der „Schweizer Faschisten“ (Wolf). In Deutschland ist das Stück erst 1946 (im Hebbel-Theater in Berlin) aufgeführt worden. Da ist Wolf längst wieder aus dem Exil zurück, aktiv als Dramatiker und auch Politiker. Das Exil hatte er vorwiegend in der Sowjetunion, aber auch im französischen KZ Le Vernet verbracht. Dort schrieb er, gedeckt von seinen
Die Friedrich-
Wolf-Gedenkstätte
blüht ein wenig
im Verborgenen.
Oben: Friedrich Wolf
mit seinen Söhnen
Konrad (links) und
Markus (Mitte) in
der Emigration in
Moskau
Foto: Norbert Jachertz
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Leben für Wolf geregelter. In der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR schrieb er fleißig weitere Dramen, wurde Kulturfunktionär und gar für zwei Jahre Botschafter in Polen. Nach seinem Tod (1953) an einem Herzinfarkt (hin und wieder kursierten Gerüchte über einen Suizid) diente er als Namenspatron für Schulen und Straßen.
Seit der „Wende“ ist es sehr ruhig um Friedrich Wolf geworden. Bekannter dürfte heute sein Sohn Markus sein, der ehemalige Spionagechef der DDR. Immerhin, Friedrich Wolfs Heimatstadt Neuwied erinnert sich neuerdings des als Dramatiker sicherlich großen Sohnes. Seit 1992 gibt es zudem die Friedrich-Wolf-Gesellschaft (www.friedrichwolf-gedenkstaette.de). Sie betreut die idyllische Gedenkstätte in Oranienburg-Lehnitz. Die Idylle ist übrigens trügerisch. Das Einfamilienhaus im gelben Klinker gehört zu einer Siedlung, in der Testpiloten der Heinkel-Werke wohnten. Heinkel produzierte ab 1937 in Oranienburg den Bomber He 111. Die Siedlung wurde von Insassen des KZ Sachsenhausen gebaut, die an Heinkel „ausgeliehen“ waren. Und die gelben Klinker brannten KZ-Insassen im damals größten Ziegelsteinwerk Europas, das mit Sachsenhausen verbunden war. Die Ziegelproduktion war an sich bestimmt für den Aufbau der neuen Reichshauptstadt Berlin. Dessen Umbenennung in „Germania“ war für 1950 geplant.
Bekanntlich kam alles ganz anders.
Norbert Jachertz
Bonfils, Peter