POLITIK
Europäischer Arzneimittelmarkt: Schwierige Gratwanderung


Auf der Klaviatur des Anwalts der Patienteninteressen spielt es sich gut. Das hat auch der liberale Europaabgeordnete Dr. Jorgo Chatzimarkakis erkannt. Stolz präsentiert der Deutsch-Grieche in Brüssel eine Petition von Patientenorganisationen aus Deutschland, Italien und Polen. Inhalt der Eingabe: Das Verbot, Patienten über verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Europäischen Union (EU) zu informieren, muss fallen. „Das gesetzliche Verbot ist nicht mehr zeitgemäß. Die Menschen haben ein Recht darauf, sich über pharmazeutische und technologische Neuerungen umfassend zu informieren. Das garantiert ihnen die europäische Charta der Patientenrechte.“
Ein erster Anlauf der Kommission, die Vorschrift zu kippen, endete 2002 allerdings mit einer Bauchlandung. Die Brüsseler Beamten wollten der Pharmaindustrie erlauben, für Innovationen zur Behandlung von Aids, Diabetes und Asthma zu werben. Die Vorschläge scheiterten jedoch am Widerstand des Europaparlaments (EP).
Es geht um die Interessen der Industrie
Nun will Chatzimarkakis mit Unterstützung weiterer Liberaler und christdemokratisch-konservativer Vertreter des EP einen zweiten Versuch wagen. Er ist überzeugt: „Nur wenn wir das Informationsverbot aufheben, können wir langfristig auch die Kosten im Gesundheitswesen senken.“ Dass es bei der Initiative jedoch gar nicht so sehr um die Patienten als vielmehr um die Interessen der Industrie geht, verdeutlicht die EU-Strategie für die Zukunft des europäischen Arzneimittelmarkts. Aus dem ersten Fortschrittsbericht des Pharmazeutischen Forums, einer von der Kommission einberufenen Expertengruppe, geht klar hervor, was sich die Kommission von der forschenden Pharmaindustrie in Europa künftig erhofft, nämlich Wachstum und Arbeitplätze.
Derzeit beschäftigen europäische Arzneimittelunternehmen rund 600 000 Arbeitnehmer. 100 000 von ihnen sind in der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel tätig. Der Handelsbilanzüberschuss der Branche betrug 2004 mehr als 30 Milliarden Euro. Dennoch hat die europäische Pharmaindustrie an Boden verloren. Stammten 1992 noch sechs von zehn der meist verkauften Medikamente in der EU aus europäischer Herstellung, waren es zehn Jahre später nur noch zwei. Die USA haben der EU eindeutig den Rang abgelaufen. Das schmerzt die Branche. Denn im selben Zeitraum investierten die europäischen Unternehmen jährlich gut 20 Milliarden Euro in die Entwicklung neuer Produkte. Das sind rund fünf Milliarden Euro mehr als zehn Jahre zuvor.
Industriekommissar Günter Verheugen hat daher den Ehrgeiz, die EU für die forschende Pharmaindustrie wieder attraktiver zu machen. Eine Liberalisierung des Arzneimittelrechts im Hinblick auf das Informationsverbot ist dabei nur eine Stellschraube, um den Markt zu reformieren. Wie es jedoch gelingen soll, eine saubere Definition dafür zu finden, wo sachliche Information aufhört und Werbung beginnt, ist selbst den Verantwortlichen noch schleierhaft.
Erfahrungen aus den USA zeigen jedenfalls, dass die Industrie wenig Interesse daran hat, Patienten objektiv über ihre Produktneuheiten zu informieren. So wurden beispielsweise in San Francisco Informationskampagnen abgemahnt, die den Patienten suggerierten, Aids sei einfach und erfolgreich zu behandeln. „Da wollen wir in Europa natürlich nicht hinkommen“, räumt Chatzimarkakis ein.
Mehr Flexibilität bei der Preisgestaltung
Die zweite Stellschraube, an der sowohl der liberale Politiker als auch Verheugen drehen wollen, sind die unterschiedlichen Preisbildungs- und Kostenerstattungsmechanismen in der EU. Zu unterscheiden sind dabei im Wesentlichen drei Ansätze: eine Preisfestsetzung durch den Staat (wie in Frankreich, Griechenland und zahlreichen osteuropäischen Ländern); Preisverhandlungen zwischen Pharmaunternehmen und staatlichen Behörden (Finnland, Italien, Portugal, Belgien) sowie eine Festlegung der Preise durch die Hersteller (Deutschland, Dänemark, Malta). Staatliche Interventionen, wie die Bildung von Festbeträgen als Referenzpreise für die Erstattung, dienen dabei dem Ziel, die Kosten zu dämpfen. Verheugen weiß, dass seine Idee, den Herstellern künftig mehr Flexibilität bei der Preisgestaltung einzuräumen, ohne die Kompetenzen der Mitgliedsländer für die Kontrolle der Gesundheitsbudgets zu beschneiden, der Quadratur des Kreises gleichkommt: „Dennoch müssen wir eine Lösung finden, wenn wir Europa wieder zu einem attraktiven Standort für Investoren machen wollen.“
„Die Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland und Frankreich, blockieren bislang jegliche Änderung des Arzneimittelmarktes“, kritisiert Chatzimarkakis. Dennoch glaubt er, dass sich das EP einer Liberalisierung des Marktes gegenüber inzwischen aufgeschlossener zeigt.
Petra Spielberg
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.