

Foto: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Marburg
Brigitte gab sich zu Beginn ihrer Therapie sehr motiviert und krankheitseinsichtig, es zeigte sich jedoch schnell, dass ihre eigentliche Erwartung nicht darin bestand, die Essstörung zu bearbeiten, sondern dass sie sich unter stationären Bedingungen eine Gewichtsabnahme erhoffte. Nach Meinung der Patientin müsse sie lediglich ihr Gewicht reduzieren, und dann würde die Symptomatik von selbst „verschwinden“. Da sie dies aber allein nicht schaffe, war sie zu einem Klinikaufenthalt bereit gewesen.
Nach wie vor ist der Wunsch nach „dünn sein“ bei Brigitte vorherrschend. Sie konnte sich inzwischen auf das Therapiekonzept einlassen und schafft es, regelmäßige und ausgewogene Mahlzeiten nach Plan zu essen, ohne zu erbrechen.
Es fällt ihr jedoch schwer, sich in therapeutischen Gesprächen anderen Themen zuzuwenden. Immer wieder versucht sie, über Körpergewicht, Kalorienzahl oder Sport zu diskutieren und kann sich kaum anderen Bereichen öffnen oder Hilfsangebote annehmen.
In der Ergotherapie entschied sich Brigitte für ein Motiv, das die Körperschemastörung von Patienten mit Anorexia nervosa versinnbildlicht: Eine offensichtlich untergewichtige Person steht vor einem Spiegel und nimmt sich in diesem als übergewichtig und unförmig wahr. Das von Brigitte gemalte Bild zeigt quasi eine „Umkehr“ von Spiegelbild und Realität: Die Person, die vor dem Spiegel steht, zeigt das Wunschbild der Patientin, der Hintergrund bleibt schwarz und unwirklich, mit „schwebenden“ Blumen (wie in einem Traum?), das Spiegelbild die Wirklichkeit mit einem sorgfältig ausgearbeitetem Himmel.
Die Person im Spiegel hat kein Gesicht – so, wie sich Brigitte selbst ausschließlich über ihre Figur definiert und alles andere als völlig unbedeutend bezeichnet. Charaktereigenschaften oder Persönlichkeitsmerkmale sowie Begabungen (wie zum Beispiel das künstlerische Talent der Patientin) werden negiert, dahingehendes Lob bedeutet ihr nichts, als größten Traum gibt sie an, „alle irgendwann damit zu überraschen, wie dünn ich sein kann“.
Brigitte wird noch eine längere stationäre Therapie und darüber hinaus weitere Unterstützung in einer therapeutischen Einrichtung benötigen, um ihre ausgeprägte Störung zu überwinden. Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung und die Entwicklung eines Störungskonzepts hat jedoch bereits begonnen.
Ines Schröder
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