ArchivDeutsches Ärzteblatt48/2006Aktionstag: Patient in Not – diese Reform schadet allen

POLITIK

Aktionstag: Patient in Not – diese Reform schadet allen

Maus, Josef

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Foto: ddp
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Mehr als 40 Organisationen und Verbände stehen hinter dem bundesweiten Aktionstag gegen die geplante Gesundheitsreform. Die Bevölkerung soll auf breiter Front über die fatalen Folgen informiert werden.

Montag, der 4. Dezember, könnte ein denkwürdiger Tag für das Gesundheitswesen werden. An diesem Tag werden Ärzte, Krankenhäuser, Psychologische Psychotherapeuten, Apotheker, Zahnärzte, Pflegekräfte und viele weitere Angehörige von Gesundheitsberufen bundesweit ihre Kräfte bündeln und erneut ein deutliches Signal in Richtung Berlin senden. „Patient in Not – Diese Reform schadet allen“, lautet das Motto des Aktionstages gegen die Gesundheitsreform, der von mehr als 40 Verbänden und Organisationen getragen wird.
Da ist was faul! Mit diesem Plakat warnen die Initiatoren des Aktionstages vor der geplanten Gesundheitsreform.
Da ist was faul! Mit diesem Plakat warnen die Initiatoren des Aktionstages vor der geplanten Gesundheitsreform.
Der Impuls zu dieser bundesweiten Protestaktion ging vom außerordentlichen Deutschen Ärztetag aus, der am 24. Oktober in Berlin zusammentrat. Seither organisieren die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Marburger Bund gemeinsam mit weiteren Organisationen und Verbänden den Widerstand auf breiter Basis. Anders als bei den bisherigen nationalen Protesttagen, die überwiegend in Berlin stattgefunden haben, soll es an diesem Montag in ganz Deutschland nur ein Thema geben: die fatalen Folgen einer untauglichen Gesundheitsreform.
Keine Normalversorgung in weiten Teilen des Landes
Ein Schwerpunkt des bundesweiten Aktionstages wird dem Präsidenten der Bundesärztekammer zufolge Nordrhein-Westfalen sein. Dort werde es in weiten Teilen des Landes keine Normalversorgung geben, kündigte Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe an. Die Notfallversorgung sei aber gewährleistet.
Praxisschließungen wie in Nordrhein-Westfalen sind auch in den anderen Bundesländern geplant. „Es ist so, als ob es Sonntag wäre“, sagt Dr. med. Frieder Hutterer, Vorsitzender der KV-Kreisstelle Köln. „Die Patienten werden in akuten Fällen von den örtlichen Notfallpraxen oder dem ärztlichen Bereitschaftsdient betreut.“ Sein Kölner Kollege, der Gynäkologe Dr. med. Volker Meyer, nimmt schon seit geraumer Zeit keine Termine „für diesen Montag“ mehr an.
Auch in Rheinland-Pfalz bleiben viele Praxen geschlossen. So besucht die Mainzer Allgemeinärztin und Psychotherapeutin Dr. med. Renate Borg-Kopp am Aktionstag ein Qualitätsmanagement-Seminar, das die Kasssenärztliche Vereinigung am 4. Dezember ausrichtet. Borg-Kopp hält die Reform für „reine Augenwischerei“. Die wirklich drängenden Probleme blieben ungelöst. „Das Geld wird nicht mehr, und unsere Leistungen werden immer schlechter bezahlt“, klagt die Allgemeinärztin.
Dipl.-Med. Bruno Jung aus Aschersleben in Sachsen-Anhalt wird zwar am Aktionstag Termine vergeben. Dennoch werden die Patienten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes merken, dass an diesem Tage etwas anders ist. Jung gibt seinem Praxispersonal frei und schiebt ganz alleine Dienst: „Ich werde die Anmeldung übernehmen, Karteikarten heraussuchen und Rezepte vorbereiten.“ Dass seine Patienten dabei ungewohnt lange auf die Behandlung warten müssen, ist in diesem Fall erwünscht: „Es geht darum“, sagt Jung, „den Patienten die Folgen einer verfehlten Gesundheitspolitik deutlich zu machen.“
Aufklärung: „Die Patienten müssen erfahren, was auf sie zukommt“, sagt die Gynäkologin Kerstin Jäger aus Halle in Sachsen-Anhalt. Foto: NAV
Aufklärung: „Die Patienten müssen erfahren, was auf sie zukommt“, sagt die Gynäkologin Kerstin Jäger aus Halle in Sachsen-Anhalt. Foto: NAV
Dr. med. Kerstin Jäger, Gynäkologin aus Halle, hat sich vorgenommen, ihre Patientinnen (nur dringende Fälle werden angenommen) direkt auf die Gesundheitsreform anzusprechen: „Die Patienten müssen darüber informiert sein, was mit der Reform auf sie zukommt.“ Dass das nichts Gutes sein wird, weiß auch Dr. med. Wolf Neher aus dem bayerischen Wolfratshausen. Der 62-jährige HNO-Arzt ist seit 25 Jahren niedergelassen und hat schon viele Reformen erlebt. Die jetzigen Pläne der Regierung empfindet er als akute Bedrohung für die fach- und hausärztliche Versorgung. Deshalb wird auch er seine Praxis an diesem Montag schließen und sich an einer Informationsveranstaltung für Patienten beteiligen. Seine bisherigen Erfahrungen mit den Reaktionen der Politik auf die ärztlichen Proteste sind jedoch ernüchternd: „Sachargumente zählen nicht, sondern nur der Machterhalt der Koalition.“
Ärzte fühlen sich getäuscht
Ganz konkrete Sorgen veranlassen Dr. med. Andreas Rühl aus Ulm dazu, seine Praxis am Aktionstag geschlossen zu halten. Der Allgemeinarzt mit naturheilkundlichem Schwerpunkt befürchtet, die anstehende Gesundheitsreform könne die individuelle, ganzheitliche Medizin noch weiter zurückdrängen. „Das ist so“, sagt der 51-Jährige, „als wenn sie einen Gärtner beauftragen, etwas anzupflanzen, ihm aber das Wasser abdrehen.“
Warum viele Ärztinnen und Ärzte in allen Teilen der Republik bereit sind, die massiven Proteste gegen die Gesundheitsreform fortzusetzen, erläutert Dr. med. Klaus Becker, Onkologe aus Hamburg. „Ich fühle mich von der Politik getäuscht“, sagt Becker, der in der Hansestadt eine Gemeinschaftspraxis mit fünf weiteren Kollegen betreibt. Becker ist dafür, „sich zu wehren und den Mund aufzumachen, weil wir sonst fremdbestimmt werden“. Der Onkologe ist davon überzeugt, dass die Praxen der niedergelassenen Ärzte durch die Reform Schaden nehmen werden. Vor allem durch die Absicht der Regierung, die Budgetierung fortzusetzen, sieht Becker gewaltige Probleme auf die ohnehin unterfinanzierte ambulante Versorgung zukommen.
Das sieht auch Dr. med. Susanne Neuß, Dermatologin in Hürth, so: „Was uns am meisten an dieser geplanten Reform stört, ist, dass die Budgetierung bleibt und unsere Leistungen nach wie vor nicht bezahlt werden. Uns wurde eigentlich etwas anderes versprochen.“
Stimmen aus Hamburg: Klaus Becker und Karin Hanke „Ich fühle mich von der Politik getäuscht“, sagt der Onkologe und verweist auf die Absicht der Regierung, die Budgetierung fortzusetzen. Die Allgemeinärztin Karin Hanke wirft der Politik vor, ein falsches Bild von den Anliegen der Ärzteschaft zu zeichnen. „Es ist alles schon gesagt, ohne dass es verstanden worden wäre“, sagt Hanke mit Blick auf die Ignoranz der Politik. Fotos: privat (l.), Michael Zapf (r.)
Stimmen aus Hamburg: Klaus Becker und Karin Hanke „Ich fühle mich von der Politik getäuscht“, sagt der Onkologe und verweist auf die Absicht der Regierung, die Budgetierung fortzusetzen. Die Allgemeinärztin Karin Hanke wirft der Politik vor, ein falsches Bild von den Anliegen der Ärzteschaft zu zeichnen. „Es ist alles schon gesagt, ohne dass es verstanden worden wäre“, sagt Hanke mit Blick auf die Ignoranz der Politik. Fotos: privat (l.), Michael Zapf (r.)
Die Hamburger Allgemeinärztin Dr. med. Karin Hanke wirft der Politik vor, dass sie ein falsches Bild von den ärztlichen Protesten zeichne. Sie reduziere die Probleme lediglich auf zu hohe Honorarforderungen der Ärzte und auf die Arzneimittelausgaben. Auch Hanke hat anfangs an den nationalen Protesttagen teilgenommen, die jedoch wenig Eindruck bei der Politik hinterlassen hätten. „Es ist alles schon gesagt, ohne dass es verstanden worden wäre“, sagt sie. „Dennoch dürfen wir bei den Protesten nicht lockerlassen.“ Dr. med. Rüdiger Langer ist hausärztlich tätiger Internist in Berlin. Er hält am 4. Dezember seine Praxis geschlossen und weist in seinem Wartezimmer mit einem Plakat darauf hin, dass er an diesem Tag an einer Demonstration in Potsdam teilnimmt. Langer fürchtet noch mehr Bürokratie durch die Reform und eine unübersehbare Vertragsvielfalt: „Wir kommen auf den orientalischen Basar!“ Der Internist spricht allerdings auch ein Problem an, von dem die Politik bei ihren bisherigen Reformen profitiert hat: „Die Selbstausbeutung der Leistungserbringer ist immer noch unglaublich hoch, und damit meine ich keineswegs nur die Ärzte.“
Auch das wird ein wichtiger Punkt sein, den die Angehörigen der Gesundheitsberufe am 4. Dezember den Patienten bundesweit vermitteln werden. Die Information der Bevölkerung steht im Mittelpunkt des Aktionstages, wobei die Initiatoren nicht nur auf eine Vielzahl ungewöhnlicher Protestaktionen setzen, sondern ganz gezielt auch auf die Reaktionen der Medien. In allen Bundesländern sind Pressekonferenzen geplant – alle im Hinblick auf den Leitgedanken des Aktionstages: Patient in Not. Die Bevölkerung soll davon in Kenntnis gesetzt werden, dass die geplante Gesundheitsreform keine Probleme löst, sondern allen schadet. Auf dem Plakat heißt es dazu an die Patienten gerichtet:
- Gegen Wartelisten – für Ihre individuelle Betreuung
- Keine staatliche Zuteilungsmedizin für eine bürgernahe Patientenversorgung
- Stopp der chronischen Unterfinanzierung! Damit Sie auch morgen noch ausreichend versorgt werden!
Josef Maus

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