POLITIK
Kongress „Armut und Gesundheit“: Gefährdungen frühzeitig erkennen
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Leipziger Tafel:
Die „Tafeln“ verteilen
gespendete Lebesmittel
an Bedürftige.
Alleinerziehende
sind besonders
häufig von Armut
betroffen.
Foto: ddp
Armut und „schlechte“ Gesundheit hängen unmittelbar zusammen: Menschen aus unteren Einkommensschichten leben kürzer; im Vergleich zum oberen Einkommensviertel haben sie eine um etwa sieben Jahre kürzere Lebenszeit. Gerade sozial Schwache sind häufig von chronischen Erkrankungen betroffen – und verursachen das Gros der Behandlungskosten. Darauf haben kürzlich zahlreiche Wissenschaftler und Public-Health-Experten im „Bielefelder Memorandum zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten“ hingewiesen. Sie fordern die Politik auf, der „voranschreitenden Polarisierung im Gesundheitssystem“ entgegenzuwirken. Der ungleiche Zugang zum Gut Gesundheit verletze die Gerechtigkeitsnorm einer demokratischen Gesellschaft.
Die gesundheitlichen Unterschiede beginnen bereits in der Kindheit: Von fast allen Krankheiten sind Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger betroffen. Die Frage, wie Wege aus solch prekären Lebenswelten gefunden werden können, stand im Mittelpunkt des Berliner Kongresses. „Wir brauchen Projekte und Regelangebote, die Gefährdungen früh erkennen und Menschen in schwierigen Lebensssituationen kompetent fördern“, erklärte BZgA-Direktorin Dr. med. Elisabeth Pott. Rund 2 800 solcher Projekte und Angebote bundesweit werden seit 2001 in einer Datenbank gesammelt, die im Rahmen des nationalen Kooperationsverbundes „Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten“ aufgebaut wurde. 42 Kooperationspartner (Ärzteorganisationen, Bundes- und Landesvereinigungen für Gesundheit, Krankenkassen, Wohlfahrtsverbände) beteiligen sich an dem von der BZgA initiierten Verbund.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die „regionalen Knoten“: Koordinierungsstellen für Präventionsprojekte, die es inzwischen in 15 Bundesländern gibt. In den meisten Ländern werden sie von den Landesvereinigungen für Gesundheit getragen und von gesetzlichen Krankenkassen und teilweise auch von der BZgA finanziert. Damit die Arbeit der regionalen Knoten gesichert werden kann, „brauchen wir in jedem Bundesland eine gemeinsame Finanzierung vom Land und allen gesetzlichen Kassen und möglichst auch von den privaten Krankenkassen“, forderte Dr. jur. Hans-Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands bei dem Kongress.
Das Verbundprojekt arbeitet nach dem „Good-Practice-Ansatz“: Gute Projekte sichtbar machen und in die Fläche bringen. 33 als besonders gut bewertete Projekte sind auf der Internetplattform veröffentlicht: (www.gesundheitliche-chancen gleichheit.de). Der BKK-Bundesverband, der mit der 2003 gestarteten Initiative „Mehr Gesundheit für alle“ bei der Gesundheitsförderung von sozial Benachteiligten besonders aktiv ist, hat im Rahmen des Kongresses Präventionsprojekte „guter Praxis“ ausgezeichnet: Das Projekt „Waldameisen“ der Kita „Storchennest“ im brandenburgischen Cottbus bringt sozial benachteiligten Kindern im Vorschulalter den Lebensraum Wald nahe. „Connect“ vernetzt im sozial schwachen Hamburger Stadtteil Osdorf Hilfen für Kinder aus suchtbelasteten Familien. „Schutzengel e.V.“ in Flensburg bietet alleinerziehenden Müttern mit Säuglingen und Kleinkindern niedrigschwellige Hilfen durch Familienhebammen, Kinderbetreuung und Elterntreffpunkte.
Bedürftig trotz Vollzeitbeschäftigung
Damit es erst gar nicht zu sozialer Benachteiligung und damit häufiger verbundenem schlechten Gesundheitszustand kommt, müsse sich arbeitsmarktpolitisch einiges ändern, forderte Bury von der Bremer Arbeitnehmerkammer. Derzeit seien die Löhne so niedrig, dass viele Arbeitnehmer ergänzende Hilfen aus dem Arbeitslosengeld (ALG) II in Anspruch nehmen müssten. Darunter befänden sich auch Vollzeitbeschäftigte. Allein in Bremen habe sich die Zahl der ALG-II-Empfänger von Juni 2005 bis Juni 2006 von 52 811 Personen auf 56 690 Personen erhöht. „Bedürftigkeit trotz Arbeit ist also längst Realität“, befand Bury. Besonders stark betroffen seien Frauen, weil sie häufiger als Männer im Niedriglohnsektor arbeiten oder deren Teilzeitstelle durch die Reformen auf dem Arbeitsmarkt in Mini-Jobs umgewandelt worden sind. „Armut“, unterstrich die Gesundheitsreferentin, „hat ein Geschlecht“. Die Forderung der Arbeitnehmerkammer: Die Politik müsse einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, der die fortlaufende „Prekarisierung“ der Erwerbsarbeit unterbinde – und damit auch gesundheitliche Prävention betreibe.
Petra Bühring, Martina Merten
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