MEDIZIN: Diskussion
Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit: Ethik der Verantwortung gefordert


Leider formulieren sie nicht entscheidende Konsequenzen: Behandlungsverzicht oder Behandlungsbegrenzung sind keineswegs Ausdruck suboptimaler Methoden oder Strukturen, sondern der bejahenden Annahme der Theoriebildung und praktischen Methodenlehre von Medizin und Ethik. Demnach ist hier, nach den Präferenzen der Patienten (beziehungsweise Eltern), das dominierende Prinzip das der Vermeidung weiteren Schadens; nicht die Lebenserhaltung – schon gar nicht „um (fast) jeden Preis“, weil hierdurch Patienten, gar ganze Betroffenenkollektive in viel höherer Zahl und mit weit größerer Wahrscheinlichkeit geschädigt werden, als dass sie irgendeinen Nutzen erfahren. Im Sinne einer tatsächlich auch evidenzbasierten „Ethik der Verantwortung“ ist hier also unter Umständen zu rechtfertigen, Behandlungsversuche anzubieten.
Es sind jedoch eben diese Behandlungsversuche, oder gar deren Intensivierung, die einer besonderen, ausdrücklichen und kritischen Rechtfertigungspflichtigkeit zu unterwerfen sind – und nicht deren meist viel vernünftigere Begrenzung.
Der Versuch, dies als „therapeutischen Nihilismus“ zu diffamieren, ist unangemessen. Rechtlich ist darauf hinzuweisen, dass Eltern oder Zuweisende umfassend aufzuklären sind. Palliative und stützende Behandlungsalternativen sind mit gleicher Selbstverständlichkeit zu erläutern und vor allem auch mit gleicher Effizienz verfügbar zu machen. Versuche, insbesondere Eltern durch tendenziöse Informationen, suboptimale Palliation, emotionalen Druck oder gar unter Androhung familiengerichtlicher Zwangsmaßnahmen zur „Einwilligung“ in fragwürdige Behandlungsversuche zu drängen, sind unethisch, unärztlich sowie straf-, zivil-, haftungs- und standesrechtlich sanktionabel.
PD Dr. med. Meinolfus Strätling, Christian Noske
Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt Ethik
Recht Geschichte und Didaktik im Spektrum der klinischen Medizin
Universität zu Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
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