

„Tunamshukuru
mungu sana“ –
die Eltern bedanken
sich bei Gott, dass
ihr kleines Mädchen
wohlauf ist.
Mit Nachdruck und voller Vertrauen nimmt er mich an die Hand und führt mich zu seiner sehr bescheidenen Gesundheitsstation. Die medizinische Außenstation hat weder Wasseranschluss noch Strom, nur drei Stühle, eine zerrissene Liege, verstreute Medikamentendosen, einige Infusionsflaschen, immerhin. Wir untersuchen die erschöpfte, sehr tapfere Patientin: festsitzende Schädellage, kindliche Herztöne regelmäßig bei 120 Schlägen die Minute, leichte vaginale Blutung wegen der früheren Beschneidung, prall gefüllte Harnblase, Zervix acht Zentimeter, in Beckenmitte der unverrückbare Kopf. Patrick berichtet von der Vorgeschichte: Vor zwei Jahren wurde die damals Erstgebärende auch wegen obstructed labour ins Hospital nach Mount Kulal geflogen, leider zu spät, es wurde eine Sectio mit Totgeburt. Jetzt wollen wir es besser angehen. Gemeinsam laufen wir zur nahen Polizeistation, um per Funk einen Flug ins nächste Hospital zu organisieren. Es dauert aufreibende Minuten, bis sich endlich Mount Kulal meldet, die Cessna sei startklar. Wir garantieren persönlich für die Flugkosten von etwa 500 Euro und warten auf das Okay für den Abflug. Die Zeit läuft uns davon, denn um 18.30 Uhr versinkt hier, 300 Kilometer nördlich des Äquators, abrupt die Sonne. Die nahe Landebahn kann nur bei Tageslicht angeflogen werden. Endlich der Funkruf von Mount Kulal, doch es ist nur die Absage, kein Pilot und kein Arzt verfügbar.
Patrick berichtet voller Entsetzen, dass die fetalen Herztöne auf unter 60 gesunken seien. Krisensitzung zusammen mit Susanne, meiner pädiatrisch sehr erfahrenen Frau. Jetzt muss schnell entschieden werden. Während Susanne die Mutter, den Vater und den herbeigeeilten Chief von Dukana auf Kiswahili über die Risiken einer Sectio aufklärt, bereite ich mit Patrick den „OP-Raum“ vor.
Die Holzpritsche decken wir mit einem sauberen Laken aus der Sakristei ab. Father Hermann hat inzwischen die OP-Beleuchtung übernommen, indem er mit seinem Landrover ums Haus gefahren ist und mit einem großen Wagenheber den Landrover so hoch aufgebockt hat, dass unser „dispensary theatre“ durchs Fenster fast schon komfortabel beleuchtet wird. Ausgerüstet mit drei starken LandsAid-Stirnlampen und sterilen Handschuhen, führen wir bei der sehr tapferen Patientin die Jod-Desinfektion durch. Die islamische Dorfhelferin hält mit souveräner Ruhe die laufende Infusionsflasche hoch und legt liebevoll ihre Hand auf den Kopf der Patientin. In sitzender Katzenbuckelhaltung der Patientin führe ich die hundertfach bewährte peridurale Anästhesie (PDA) durch, hier in der Höhe thorakal 10/11, mit 10 ml Lidocain 2 Prozent. Nach frustranem Versuch, einen suprapubischen Katheter zu legen, punktieren wir mühsam 150 ml klaren Urin ab.
Das OP-Team:
Albert Joas und Susanne
Holtz-Joas
mit „medical assistant“
Patrick.
Fotos: LandsAid
Fotos: LandsAid
Die neonatologische Erstversorgung
Ich nehme das Neugeborene in Empfang und beginne mit der Reanimation. Das kleine Mädchen ist puls- und atemlos, schlaff und reflexlos. Es gibt im Raum keine feste Unterlage. So drücke ich das Kind der Dorfhebamme auf den Schoß, sauge ab und warte auf ein Lebenszeichen, während ich weiter Herzdruckmassage und Beatmung durchführe. Während die Hebamme fassungslos unserem – wie sie meint aussichtslosen – Handeln zuschaut, übernimmt Patrick das Absaugen mit dem kleinen Mundgerät. Nach fünf Minuten ein leises Stöhnen. Ich beatme mehrmals Mund zu Mund – Nase, trotz bekannter HIV-Gefahren in Schwarzafrika. Kein Ambubeutel, kein Adrenalin vorhanden. Meine homöopathischen Notfallmittel habe ich griffbereit in meinem Notfallset. Ich gebe Opium MK und Notfalltropfen. Hätte der Neonatus so spontan auf Epinephrin reagiert, gäbe es wohl bei uns allen keinen Zweifel, dass hier eine wirksame Therapie erfolgt ist. Anders bei der Homöopathie: Wir wissen, dass eine Beweisführung der Effektivität dieser Methode im Einzelfall schwer möglich ist. Ich erlaube mir dennoch zu schildern, dass fast unmittelbar nach der Gabe der zwei Globuli Leben in das kleine Wesen kommt. Innerhalb der nächsten zehn Minuten stabilisiert sich der Zustand.
Ich übergebe das Kind der Hebamme und helfe meinem Mann bei dem Verschluss der Bauchdecke. Sehnsüchtig erwartet die Mutter den ersten Schrei ihres Kindes, aber sie ist zu erschöpft, um ihn dann wirklich wahrzunehmen. Der Kreislauf ist nun doch etwas instabil geworden. Nach zwei Ampullen Methergin i. v. und etwas Diazepam für die erschöpfte Mutter ist es ein Leichtes, in mehreren Schichten fortlaufend mit Catgut beziehungsweise Nylonline die Bauchdecke zu schließen. Über drei Tage werden wir sie prophylaktisch mit Amoxicillin und Gentamycin i. v. abdecken.
In einem stabilen Zustand tragen die Angehörigen Mutter und Kind auf den kleinen dunklen „female ward“ im Schein der Taschenlampen. Vor dem Dispensary hatten sie im Feuerschein ausgeharrt und murmeln jetzt immer wieder voller Dankbarkeit: „Tunamshukuru mungu sana“ („Wir danken Gott“). Wir genießen noch den klaren Sternenhimmel der kleinen Wüstenstadt und sind erleichtert. Selbst das warme Tusker-Bier erscheint uns als Köstlichkeit.
In der Nacht gehen wir noch mehrmals zur Kontrolle in die Krankenstation. Die Kleine nuckelt genüsslich an der mit Glucoselösung gefüllten Spritze. Als wir das kleine Gabramädchen am folgenden sowie am zweiten postpartalen Tag neurologisch untersuchen, ist so weit alles in Ordnung, keine Krämpfe, ein wacher Blick, sehr gute Spontanmotorik.
Unser eigentlicher Auftrag: Für Montagmorgen zehn Uhr hatten wir uns verabredet mit den „Wazee“, den Ältesten der 300 Gabra-Flüchtlinge aus Äthiopien, zusammen mit den Chiefs des Grenzstädtchens Dukana. Die Gruppe von 30 Leuten hockt in traditioneller Kleidung unterm Schatten der Schirmakazie im Kreis. Der anhaltende Ostwind macht die Hitze erträglich. Auf Kiswahili erklären wir die Ziele unse-rer Sendeorganisation LandsAid. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Durch die Dürre der letzten sechs Monate hatten diese Nomaden einen großen Teil ihrer Ziegen und Kamele verloren. Auf der Suche nach Weideland hatten sie die grüne Grenze nach Äthiopien überschritten und waren vor einigen Monaten von dort vertrieben worden. Alle Tiere mussten sie zurücklassen. Um sie aus der Abhängigkeit der „Relief-Food-Lieferungen“ zu befreien und den Weg zurück in ihr traditionelles Nomadenleben zu ermöglichen, griff LandsAid den Vorschlag der North Horr Mission auf und sagte Unterstützung zu. 20 Ziegen sollte vorerst jede der bedürftigen Flüchtlingsfamilien erhalten: als Wiedereinstieg in das Nomadenleben.
Ach, ja: Das Baby ist nun vier Monate alt. Per Satellitentelefon hören wir, dass es – wie auch die Mutter – wohlauf ist. Wie sich die Kleine wohl weiterentwickelt? Wir sind sehr zuversichtlich.
Dr. med. Albert Joas
Dr. med. Susanne Holtz-Joas
Weitere Informationen: Im Internet (www.LandsAid.org) werden Unterstützer fortlaufend über das Keniaprojekt informiert. Ärzte, die mitarbeiten wollen, sollten sich direkt mit LandsAid in Verbindung setzen.
LandsAid führt laufend Seminare durch, in denen humanitäre Einsatzkräfte auf ihren Auslandsaufenthalt vorbereitet und geschult werden.
Kontakt: LandsAid e.V., Dr.-Gerbl-Straße 5, 86916 Kaufering, Telefon: 0 81 91/4 28 78 32, E-Mail: info@LandsAid.org
Spenden: Konto: 10 022, VR Bank Landsberg/Lech, BLZ 700 932 00
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