ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2007Die Nierenkolik – „Schwester Bärbel und ich schauten uns skeptisch an, und dann entschied ich: ,Nein, keine zweite Spritze!‘ “

SCHLUSSPUNKT

Die Nierenkolik – „Schwester Bärbel und ich schauten uns skeptisch an, und dann entschied ich: ,Nein, keine zweite Spritze!‘ “

Zimmermann, Telse

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LNSLNS Anfang der 60er-Jahre hatte ich als junge Ärztin eine Allgemeinpraxis in Hamburg-Altona. Und wie es damals manchmal war, heute kann man es sich kaum noch vorstellen, ging in der mittelgroßen Wohnung, die ich gemietet hatte, alles ein bisschen familiär durcheinander. Allerdings war ich in dem Viertel aufgewachsen.
Zeichnung: Elke Steiner
Zeichnung: Elke Steiner
Die Patienten warteten im Flur, schauten auch schon mal in die Küche, in meinem Wohn-Schlafzimmer wurden die Patientengespräche geführt (einen richtigen Behandlungsraum gab es natürlich auch), aber alle waren zufrieden, und es wurde wohl recht gute Medizin gemacht. Damals sprach man übrigens immer mit allen Fachkollegen persönlich.
Eines Samstagnachmittags klingelte es, und herein kam ein mittelalter Mann. Er klagte über wahnsinnige Schmerzen im Bereich der rechten Niere. Wir schickten ihn für eine Urinprobe auf die Toilette – und tatsächlich –, es fand sich Blut im Urin. Er sagte, dass er schon öfter Nierenkoliken gehabt hätte, und in Anbetracht des Samstagnachmittags gab ich ihm eine Injektion eines damals üblichen Morphins und riet ihm dringend, sich im Altonaer Krankenhaus auf der Urologie zu melden. Glücklich und schmerzfrei zog er von dannen.
Drei Stunden später klingelte es wieder, und wieder kam der Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht herein und verlangte eine weitere Spritze. Schwester Bärbel und ich schauten uns skeptisch an, und dann entschied ich: „Nein, keine zweite Spritze! Wir werden Ihnen jetzt den Rücken so lange heiß duschen, bis die Schmerzen vorbei sind, denn Hitze hilft auch bei Koliken!“
Er wurde also ins Badezimmer gebracht, kam in die Wanne, und Bärbel und ich duschten ihm den Rücken so heiß, wie er es eben aushielt. Tatsächlich, nach kurzer Zeit waren seine Schmerzen weg, er zog sich an und trollte von dannen.
Bärbel und ich waren stolz wie die Spanier, und natürlich erzählten wir die Geschichte dieser außergewöhnlichen Therapie allen Leuten, bis – ja, bis das nächste Hamburger Ärzteblatt kam mit folgender Warnung:
„Seit kurzem treibt ein älterer, morphiumsüchtiger Mann in Hamburg sein Unwesen! Unter dem Vorwand, er habe Nierenkoliken, versucht er, Morphiumspritzen zu bekommen. Er ist so geschickt, dass er den verlangten Urinproben Blut beimischt.“
Telse Zimmermann

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